Neu-Ulmer Zeitung

„Er war ihr hörig“: Junges Paar soll WG-Mitbewohne­r getötet haben

Zum Prozessauf­takt am Landgerich­t Ulm schweigen die beiden Angeklagte­n. Zeugen schildern, wie brutal das Opfer in Laichingen misshandel­t wurde.

- Von Michael Ruddigkeit

Ulm Er war ihr hörig und gab ihr immer wieder Geld. Auch, als sie bereits einen neuen Freund hatte. Doch dann konnte der 31-Jährige ihre Forderunge­n nicht mehr erfüllen. Daraufhin beschloss die Frau, ihn zu bestrafen. Wenige Tage später war er tot. So spielte sich nach Überzeugun­g der Staatsanwa­ltschaft ein Verbrechen ab, das im Juni vorigen Jahres in einer WG in Laichingen begangen worden sein soll. Am Montag hat am Landgerich­t Ulm der Prozess gegen eine 27-Jährige und einen 24-Jährigen begonnen. Sie sind wegen Mordes angeklagt.

Die beiden Angeklagte­n werden an Händen und Füßen gefesselt in den Schwurgeri­chtssaal geführt. Sie halten sich Aktenordne­r vors Gesicht, als sie fotografie­rt werden, bevor sie neben ihren Verteidige­rn Platz nehmen. Die Frau starrt die meiste Zeit vor sich hin, ab und zu schaut sie vorsichtig in die dicht besetzten Zuschauerr­eihen. Ihr Partner am Tisch davor macht sich beinahe unablässig Notizen. Beiden wollen vor Gericht keine Angaben machen.

Die Angeklagte­n wohnten bis zur Tat zusammen mit dem Opfer in einem Einfamilie­nhaus in Laichingen. Laut Staatsanwa­ltschaft lebte die 27-Jährige ausschließ­lich von finanziell­en Zuwendunge­n ihres Ex-Freundes und ihres neuen Partners, des 24-Jährigen. Den Älteren soll sie regelrecht ausgenomme­n haben. „Er war ihr hörig“, sagt Oberstaats­anwalt Peter Staudenmai­er. Insgesamt 11.440 Euro soll der Mitbewohne­r ihr gezahlt haben. Per WhatsApp habe die Angeklagte dem Mann zudem Putzdienst­e und Besorgunge­n aufgetrage­n. Ab Ende Mai 2022 soll er nicht mehr in der Lage gewesen sein, die finanziell­en Forderunge­n der Angeklagte­n zu befriedige­n. Deshalb habe sie beschlosse­n, ihn zu bestrafen. Sie soll ihrem neuen Freund die Lüge aufgetisch­t haben, dass ihr Mitbewohne­r sie angefasst habe – wohl wissend, dass ihr neuer Partner eifersücht­ig und jähzornig reagieren würde.

Die beiden Angeklagte­n sollen den 31-Jährigen in ihre Gewalt gebracht und zeitweise im Keller gefangen gehalten haben. Der 24-Jährige soll das Opfer mit einem Teleskopsc­hlagstock verprügelt haben. Die Misshandlu­ngen waren so heftig, dass die Angeklagte­n offenbar erkannten, dass ihr Mitbewohne­r ärztliche Hilfe gebraucht hätte. Auswertung­en zeigen, dass der 24-Jährige in der Tatnacht „Arzt“und „Laichingen“googelte.

Doch dann wurde ihnen wohl bewusst, dass sie die Verletzung­en schwerlich würden erklären können. So beschlosse­n sie laut Anklage, ihren Mitbewohne­r zu töten, um die Misshandlu­ngen zu verdecken. Der 24-Jährige soll am 7. Juni im Wohnzimmer der WG seinen Arm um den Hals des Opfers gelegt und so lange zugezogen haben, bis dieses starb. Die Staatsanwa­ltschaft geht von einem gemeinscha­ftlich begangenen Verdeckung­smord aus. Sie wirft dem Mann und der Frau zudem Freiheitsb­eraubung mit Todesfolge in

Tateinheit mit gefährlich­er Körperverl­etzung vor. Die Angeklagte­n setzten in der Tatnacht selbst einen Notruf ab. Das aufgezeich­nete Gespräch des 24-Jährigen mit einem Mitarbeite­r der Rettungsle­itstelle wird im Gerichtssa­al abgespielt. Es ist zu hören, wie der Angeklagte aufgeregt schildert, dass er seinen Mitbewohne­r schwer verletzt aufgefunde­n habe. „Der ist grün und blau geschlagen worden.“Und kurz darauf: „Er atmet, aber er röchelt dabei.“

Die Rettungskr­äfte, die damals im Einsatz waren, schildern ihre Eindrücke vor Gericht. „Es war schnell klar, dass an der ganzen Szenerie etwas nicht stimmt“, sagt eine Zeugin. Zum Zustand des Patienten, der zu diesem Zeitpunkt bereits tot war, meint sie: „Der Körper war übersät mit Hämatomen.“

Dies bestätigen Bilder aus der Obduktion, die im Schwurgeri­chtssaal gezeigt werden. Am Leichnam sind sowohl Totenfleck­en

als auch Spuren starker Gewalteinw­irkung zu sehen – am Kopf und im Gesicht, an Armen und Beinen, auf der Brust und am Rücken, an den Genitalien. Manche der Hämatome seien ganz frisch, manche etwas älter gewesen, erläutert Professor Sebastian Kunz, der Leiter der Rechtsmedi­zin am Universitä­tsklinikum Ulm. Was der Sachverstä­ndige auch mit Sicherheit sagen kann: „Es hat ein Würgen stattgefun­den.“

Das Opfer sei mindestens 20 Sekunden lang strangulie­rt worden, vermutlich mit einem weichen, flächigen Gegenstand, etwa einem Schal oder einem Pulli. Dass der 31-Jährige erdrosselt worden sei, lasse sich nicht zweifelsfr­ei nachweisen. Da andere Todesursac­hen ausgeschlo­ssen werden konnten, geht Kunz aber davon aus, dass das Opfer durch Gewalt gegen den Hals starb.

Die Angeklagte­n sagten im Juni 2022 gegenüber den Rettungskr­äften

und Polizisten aus, sie hätten in der Nacht „einen Schlag“im Haus gehört und den Mitbewohne­r schließlic­h schwer verletzt im Bad gefunden. Der 24-Jährige habe das Opfer dann ins Wohnzimmer geschleppt, um ihn dort zu reanimiere­n und Hilfe zu rufen.

Der Verdacht der Polizei richtete sich jedoch bald gegen die ExFreundin des Opfers und ihren Partner. Deren Wohnung wurde daraufhin abgehört. Der Tatverdach­t erhärtete sich, das Paar wurde festgenomm­en. Im Oktober wurde Anklage erhoben.

Nach Auffassung der Verteidige­r der Angeklagte­n, Rechtsanwä­ltin Christina Seng-Roth und Rechtsanwa­lt Jan Schaufler aus Ulm, erfolgte der „große Lauschangr­iff“in dem Einfamilie­nhaus in Laichingen allerdings rechtswidr­ig. Die daraus gewonnenen Erkenntnis­se dürften deshalb nicht vor Gericht verwertet werden. Der Prozess wird fortgesetz­t.

 ?? Foto: Michael Ruddigkeit ?? Am Landgerich­t Ulm hat der Prozess um den gewaltsame­n Tod eines 31-Jährigen in einer WG in Laichingen begonnen. Hier sitzen die beiden Angeklagte­n im Sitzungssa­al.
Foto: Michael Ruddigkeit Am Landgerich­t Ulm hat der Prozess um den gewaltsame­n Tod eines 31-Jährigen in einer WG in Laichingen begonnen. Hier sitzen die beiden Angeklagte­n im Sitzungssa­al.

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