Die Stadt mit Licht übermalt
„Sinus“heißt das Projekt des Hamburgers Marcel Große, bei dem er Kommunikation und Stadträume untersucht. Es entstanden besondere Ansichten Neu-Ulms, die nun auch in einer Schaufensterausstellung in der Putte zu sehen sind.
Neu-Ulm „Unboxing Realitites“lautet der Jahreszyklus im Neu-Ulmer Projektraum für aktuelle Kunst. Ein Jahr lang geht es um die Frage von Realitätskonstruktionen. Welche Blickwinkel und Handlungen bestimmen unsere Wahrnehmung von Realität – und wie lassen sich ins vermeintlich Faktische erzählerische Momente einweben? Marcel Große, mit den Putte-Leitern Elisabeth Würzl und Michael Schlecht schon seit Längerem künstlerisch verbunden, begleitet das Jahresthema mit mehreren Projekten. Seine zweite Artistic Research führte ihn am Samstagabend – ausgestattet mit Kamera und einer Lichtapparatur – durch das nächtliche Neu-Ulm.
Für den flüchtigen Beobachter mag das zunächst wie eine Vermessungsaktion ausgesehen haben, denn Große baute für seine Aktion ein tragbares Gerät auf, dessen fließende Grenze zwischen Kunst und Wissenschaft nicht sofort erkennbar ist. Im Dunkeln porträtiert der Künstler, der in Halle an der Saale geboren ist, verschiedene Orte im Zentrum von Neu-Ulm und entlang der Donau – indem er mit seiner Licht-Apparatur und Langzeitbelichtung eine Sinus-Kurve vor die ausgewählten Orte zeichnet. Im Idealfall wird es die immer gleiche, sanft schwingende Kurve, die sich als Lightpainting vor das Rathaus, den Bahnhof oder den vom flämischen Künstler Jozef Legrand gestalteten Maxplatz legt.
Diese immer gleiche, ausgemittelte Lichtlinie verbindet die Orte, die Marcel Große ausgewählt hat -, „wie eine Erzählung“, sagt Kurator Michael Schlecht, der als ausgebildeter Theatermann das Performative dieser Aktion schätzt. Denn Großes Aktion im öffentlichen Raum besteht aus zwei Teilen – einer Projektion des gewonnenen Bildmaterials in der „Putte“und der Bilderzeugung im Stadtraum. Eine „Auseinandersetzung mit der
Stadt, mit dem Selbst, an der Schnittstelle von Analogem und Digitalem“sei „Sinus“, wie der Künstler erklärt. Assoziationen zu den geschwungenen Lichtbögen in den Fotos gibt es genug: Tonfrequenzen, Kommunikation, Donauwellen, aber auch die Linie, so geschwungen sie auch sein mag, als „Grenzziehung“.
Große begibt sich in seinen künstlerischen Untersuchungen in das Spannungsfeld zwischen räumlichen, physischen und historischen Kontexten. Erwünscht gewesen wäre also auch, dass Interessierte
sich ihm anschließen, sich mit eigenen Leuchtmitteln und Kameras in die Aktion einklinken. Denn, so Kuratorin Elisabeth Würzl, „die Putte bietet Plattformen der Zugänglichkeit für alle, jeder, der Lust an Kommunikation und Interaktion hat, ist eingeladen“. Das fand bei kaltem, regnerischem Wetter weniger Echo als gewünscht; dennoch gab es Passantinnen und Passanten, die aufmerksam beobachteten, wie Marcel Große die Apparatur in Gang setzte. Neugierige Blicke ins Kameradisplay führten dann doch zu Gesprächen zwischen technischer Neugierde und Kunst.
Großes Idee hat noch Zeit zu wirken: Die nächtlichen Aufnahmen sind bis 30. Januar durch die Schaufenster der Putte zu sehen, bevor am 3. Februar dann die nächste reguläre Ausstellung „Random Creation“startet. Gelungen ist Großes Vorhaben aus Sicht des Künstlers schon jetzt: „Meine Projekte verlaufen immer nach dem Energieerhaltungsgesetz: Alles, was man hineinsteckt, kommt auch zurück. Die Menschen sehen ja, was man an Energie und Herzblut eingesetzt hat.“
> Die Schaufensterausstellung zu Marcel Großes „Artistic Action No 2 Sinus“ist von Dienstag, 17. Januar, bis Montag, 30. Januar, immer von 17 Uhr (bei Anbruch der Dunkelheit) bis 22 Uhr in den Fenstern der Putte (Brückenstraße 2) zu sehen.