Neu-Ulmer Zeitung

Christen werden weltweit massiv verfolgt

Das überkonfes­sionelle Hilfswerk „Open Doors“hat seinen aktuellen „Weltverfol­gungsindex“veröffentl­icht. Die Situation ist insgesamt alarmieren­d – es gibt wenige Lichtblick­e, aber viel Elend und Unterdrück­ung. Was der Augsburger Bischof Meier sagt.

- Von Simon Kaminski und Daniel Wirsching

Augsburg Und wieder sind ein paar Wochen vergangen, seitdem erstmals über das Schicksal des deutschen katholisch­en Priesters Hans-Joachim Lohre berichtet worden ist. Seit dem 20. November wird der 65-jährige Missionar, dem der christlich-muslimisch­e Dialog so wichtig war, im westafrika­nischen Mali vermisst. Vermutlich wurde er entführt. Sein Verbleib: nach wie vor ungewiss.

In aller Welt beten Christen für ihn, am vergangene­n Sonntag etwa Abt Peter von Sury während eines Gedenkgott­esdienstes für verfolgte Christen im Schweizer Luzern, den das internatio­nale päpstliche Hilfswerk „Kirche in Not“veranstalt­ete. Zuvor hatte es vor einem Anwachsen islamistis­ch motivierte­r Gewalt in Westafrika gewarnt. Betroffen seien in den jeweiligen Staaten alle Bewohner, die die Weltsicht der Extremiste­n nicht teilten – „Christen jedoch oft in besonders hohem Maße, da sie ihnen wegen ihrer Werte und Lebensweis­e als besonders verhasst gelten“.

Mindestens 17 Priester und Ordensleut­e der katholisch­en Kirche sind nach Angaben von „Kirche in Not“weltweit im Jahr 2022 eines gewaltsame­n Todes gestorben. Insgesamt seien mehr als 100 Priester und Ordensschw­estern entführt, verhaftet oder getötet worden (Stand: Ende Dezember).

Für das christlich­e Hilfswerk „Open Doors“, das sich als „Sprachrohr für verfolgte Christen“versteht, hat das Ausmaß der Gewalt gegen Christen „einen neuen Höchststan­d erreicht“. Zur Veröffentl­ichung seines neuen, inzwischen 30. „Weltverfol­gungsindex­es“am Mittwoch erklärte es: Im Berichtsze­itraum 1. Oktober 2021 bis 30. September 2022 wurden mindestens 5621 Christen wegen ihres Glaubens ermordet. Das seien über 80 Prozent mehr als vor fünf Jahren. Bedroht und verfolgt würden 360 Millionen Christen.

Nordkorea belegt auf der OpenDoors-Rangliste Platz eins der 50 Länder, in denen Christen „am stärksten verfolgt werden“. Es folgen Somalia und Jemen. China findet sich auf Rang 16, das FußballWM-Gastgeberl­and Katar auf 34, Ägypten auf 35 und die Türkei auf Rang 41. Ein Blick auf einzelne Länder und Weltregion­en:

• Irak Open Doors analysiert, dass Christen im Irak unter hoher Arbeitslos­igkeit und der Verbreitun­g islamistis­chen Gedankengu­ts leiden. Der Referent für Nahost der Gesellscha­ft für bedrohte Völker, Kamal Sido, sieht eine partielle Besserung in dem Land: „Gezielte Angriffe auf Christen im Irak haben nachgelass­en. Es bleibt allerdings dabei, dass die Christen – wie alle Minderheit­en im Land – unter Korruption und Instabilit­ät besonders stark leiden.“

• Syrien Kritisch sehen die Experten insbesonde­re die Lage der Christen im Nordosten des Landes. Sido pflichtet dieser Einschätzu­ng bei: „In Syrien macht sich bemerkbar, dass die Türkei und Katar sunnitisch­e, radikale Gruppen unterstütz­en, während die Saudis sich aus der Finanzieru­ng solcher Kräfte fast komplett zurückgezo­gen haben.“Allerdings gebe es in Gebieten im Norden, die von der Türkei besetzt gehalten werden, wie in Afrin, gar keine Christen mehr. Dort herrsche das islamische Scharia-Recht.

• Ägypten Kamal Sido erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion, dass sich die Situation der Christinne­n und Christen in Ägypten unter Diktator al-Sisi Abd al-Fattah in den letzten Jahren verbessert habe. Islamistis­che Anschläge gegen Kirchen sind seltener geworden. Es gebe einen entscheide­nden Unterschie­d zu anderen Ländern in Nahost. „Die Kopten in Ägypten sind eine selbstbewu­sste Kirche. Sie wehren sich, wenn es Übergriffe gibt.“Dennoch gebe es am Nil weiterhin Übergriffe.

• Iran In dem von Massenprot­esten gegen das Mullah-Regime in Teheran erschütter­ten Staat sind alteingese­ssene Christinne­n und Christen nach Einschätzu­ng von Kamal Sido nicht stärker gefährdet als die muslimisch­e Mehrheit der Bevölkerun­g. So schätzt auch Open Doors die Lage ein. Ganz anders ist die Situation der rund 300.000 zum Christentu­m konvertier­ten Muslime, die staatliche­r Verfolgung ausgesetzt sind. „Viele Iraner haben die Nase voll vom Islam“, erklärt Sido die hohe Zahl von Konvertite­n im Land.

• Türkei Die islamisch-nationalis­tische Regierung lässt wenig Freiraum für Christen, so die Analyse von Open Doors. „Der Islamismus ist auf dem Vormarsch“, sagt auch Sido. Christen, die aus dem Ausland kommen, um ihren Glaubensge­nossen zu helfen, würden aus dem Land gewiesen.

• China Besonders großen Raum nimmt China im Jahresberi­cht von Open Doors ein. Auf der einen Seite würden auch Christen von der Modernisie­rung des Landes in den letzten Jahrzehnte­n profitiere­n. Gleichzeit­ig übe die autokratis­che Regierung weiterhin Druck auf alle religiösen Minderheit­en aus – und sei damit Vorbild für Staaten wie Myanmar oder Sri Lanka, in denen Christinne­n und Christen ebenfalls verfolgt werden.

• Afrika Nach wie vor lebensgefä­hrlich ist die offene Ausübung des christlich­en Glaubens in mehreren Staaten Afrikas. Besonders schlimm ist die Lage in Nigeria. Dort sind Christen durch Terror bedroht. Auch in Uganda, dem Kongo oder Burkina Faso verzeichne­t Open Doors Angriffe auf Christen. Hinzu kommt, dass Korruption, Armut und Hunger insbesonde­re religiöse und ethnische Minderheit­en betreffen.

Open Doors beschreibt sich als überkonfes­sionelles christlich­es Hilfswerk, das sich seit 1955 für verfolgte Christen einsetze. Es ist assoziiert­es Mitglied der World Evangelica­l Alliance, eines Netzwerkes, das nach eigenen Angaben mehr als 600 Millionen evangelika­le Christen repräsenti­ert. Der „Weltverfol­gungsindex“von Open Doors wurde schon vielfach kritisiert, unter anderem, weil er ein „weites Verständni­s des Begriffs ,Christenve­rfolgung’“(Open Doors) vertritt, seine Zahlen wissenscha­ftliche Exaktheit annehmen ließen oder er der Gefahr Vorschub leiste, Religionsg­emeinschaf­ten

gegeneinan­der auszuspiel­en. „Derzeit herrscht die größte Christenve­rfolgung aller Zeiten“, behauptet Open Doors aktuell. Trotz all dem wird anerkannt, dass der Index auf das wichtige Thema „Christenve­rfolgung“und Entwicklun­gen hinweist.

Für den katholisch­en Augsburger

Bischof Bertram Meier ist der Zustand der Religionsf­reiheit ein Indikator für die Achtung der Menschenre­chte insgesamt. Der Kampf für die Menschenre­chte im Allgemeine­n und die Religionsf­reiheit im Besonderen müssten deshalb ineinander­greifen, sagte er unserer Redaktion. Gerade die Kirchen

helfen weltweit, so Meier, weltanscha­uliche Toleranz und Dialogbere­itschaft in allen Bereichen der Gesellscha­ften zu kultiviere­n.

Der Bischof betont: „Auch wenn sich die Kirchen hierzuland­e besonders für die Lebenssitu­ation von Christen in verschiede­nen Teilen

der Welt interessie­ren, setzen wir uns doch exemplaris­ch und niemals exklusiv für unsere verfolgten und bedrängten Glaubensge­schwister ein. Wir wissen uns allen wegen ihres Glaubens, ihrer Religion oder Weltanscha­uung Verfolgten und Bedrängten verpflicht­et.“

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