Wer gewinnt das Rennen in den Orbit?
Kleine und günstige Raketen werden immer mehr nachgefragt, um Satelliten in den Weltraum zu befördern. Ein Milliardenmarkt, in dem die Augsburger Rocket Factory und Isar Aerospace mitmischen wollen.
Augsburg Als Ende 2020 zwei bayerische Start-ups Schlagzeilen machten, weil sie ein sehr interessantes Produkt fabrizieren, war das Interesse groß. Raketen nämlich finden die meisten Menschen irgendwie faszinierend. Das ist auch gut zwei Jahre später noch so. Genau genommen ist die Spannung sogar noch etwas gestiegen. Denn Ende 2020 hieß es von den beiden jungen Unternehmen selbstbewusst: RFA One, die erste Rakete aus der Augsburger Rocket Factory, soll 2022 starten. Und Isar Aerospace aus Ottobrunn wollte mit der Spectrum schon Ende 2021 hoch hinaus. Inzwischen haben wir 2023. Allerdings haben weder eine Spectrum noch die RFA One bislang ihren ersten Countdown gehört.
Fragt man bei den beiden konkurrierenden Unternehmen nach, heißt es von den Augsburgern, dass die RFA One „Ende 2023“abheben soll. Auch In Ottobrunn will man die Spectrum dieses Jahr so weit haben, dass sie „den ersten Testflug“absolvieren kann.
Warum verzögern sich die Starts immer weiter? Jörn Spurmann, Mitgründer & Chief Commercial Officer (CCO) von RFA, begründet das so: „Raketen zu bauen und zu starten, ist schwierig. Sehen konnte man das zuletzt beim Start der NASA-Mondmission Artemis I mit dem Space Launch System (SLS), welches, selbst auf der Startrampe stehend, noch um mehrere Monate verschoben wurde. Zeitliche Verschiebungen gehören in der Raumfahrt einfach dazu, um wirklich sicherzustellen, dass alles funktioniert.“Auch Daniel Metzler, CEO und Mitgründer von Isar Aerospace, sagt zum Aufschub: „Raketen zu entwickeln ist ein äußerst komplexes Unterfangen – insbesondere, wenn die gesamte Wertschöpfungskette von Design, Produktion und Testen inhouse liegt, wie bei Isar Aerospace.“Und er bekräftigt: „Wir kommen in der Entwicklung gut voran und planen, unseren ersten Testflug 2023 durchzuführen.“
Dieses Jahr also. Es gibt gute Gründe, sich zu beeilen, denn der
Weltraummarkt boomt. Und die New-Space-Firmen machen sich mit ihren Kleinraketen – sogenannte Microlauncher, die Satelliten transportieren – daran, die Raumfahrt zu kommerzialisieren. Sie wollen schneller und billiger sein als der Rest. Zeit ist Geld. Auch deshalb bleibt es so interessant, das bayerische Space-Race zu beobachten. Der erste Testflug der Spectrum soll vom norwegischen Andøya losgehen. Mittelfristig will Metzler seine Raketen aber vom Europäischen Weltraumbahnhof in Französisch-Guayana starten. Die RFA One dagegen soll sich vom auf den Shetland-Inseln gelegenen SaxaVord Spaceport, im äußersten Norden Großbritanniens, erheben. Laut Spurmann erwäge man zudem weitere potenzielle Startplätze wie eben Kourou in Französisch-Guayana, Southern Launch in Australien oder aber die GOSAPlattform in der Nordsee (German
Offshore Spaceport Alliance). Auch die Rocket Factory will flexibel für alle Orbits bleiben und die Logistikrouten kurz halten.
Warum braucht es all diese noch zu produzierenden Raketen, die auf einen Laster passen? Der Bedarf an kleineren und mittleren Satelliten steigt. Die werden für das Internet der Dinge, die Industrie 4.0, gebraucht. Oder damit bald schon Roboterschwärme auf schwäbischen Äckern das Saatgut auf den Zentimeter genau einpflanzen können, damit autonom fahrende Autos künftig da lang fahren, wo sie auch wirklich lang fahren sollen. Es ist ein wachsender Multi-Milliardenmarkt.
Es kann aus Sicht der Raketenbauer daher ein Fortschritt sein, dass ein deutscher Weltraumbahnhof schon 2023 den Betrieb aufnehmen soll. Die GOSA, die German Offshore Spaceport Alliance, arbeitet daran. Beteiligt daran ist unter anderem der Bremer Luftund Raumfahrtkonzern OHB, zu dem auch die Rocket Factory gehört. Nach derzeitigen Planungen, teilt eine GOSA-Sprecherin mit, würde der Startort dafür in der ausschließlichen Wirtschaftszone der Nordsee sein. Und der erste Start? Wohl noch dieses Jahr – und zwar von Spezialschiffen aus. Abhängig vom Wetter, von Wind und Wellengang. Pro Jahr könnten es künftig laut GOSA „realistisch betrachtet und abgeleitet am wahrscheinlichen Bedarf“derzeit etwa zehn Starts pro Jahr werden.
Anna Christmann, Koordinatorin der Bundesregierung für die Deutsche Luft- und Raumfahrt, sieht das Vorhaben grundsätzlich positiv. Sie sagte unserer Redaktion auf Anfrage: „Für Europas Zugang zum All ist es wichtig, dass wir neben Kourou weitere Raketenstartplätze in Europa zur Verfügung stehen haben. Neben einem möglichen mobilen Startplatz in der Nordsee sind gerade in Schweden, Norwegen und Schottland Weltraumbahnhöfe im Aufbau. Diese Entwicklung begrüße ich ausdrücklich.“Das Ziel, schon 2023 aus der Nordsee Raketen zu starten, sei sicher sehr ambitioniert, „auch wenn der Start vielleicht zuerst mit einer Forschungsrakete durchgeführt werden sollte“. Am Ende sei es der Wettbewerb unter den insbesondere europäischen Startplätzen, der zeigen werde, welche Standorte sich durchsetzen können. Christmann meint: „Entscheidend ist, dass wir in Europa ein gutes Angebot für Raketenstarts haben.“
Wie finden es eigentlich die Fische in der Nordsee, wenn künftig Weltraumverkehr über ihnen in Gang kommt? Umweltfragen spielen bei dem Nordsee-Weltraumbahnhof natürlich auch eine Rolle. Aus dem Wirtschaftsministerium heißt es dazu, man habe stets deutlich gemacht, dass als nächster Schritt die rechtlichen Rahmenbedingungen, auch mit Blick auf das Umweltrecht, geklärt werden müssen. Eine Ministeriumssprecherin sagt: „Das Betreiberkonsortium muss eine entsprechende Untersuchung durchführen. Dies steht bislang aus.“Die Gosa-Sprecherin wiederum sagt: „Wir haben bisher keine Auflagen bekommen, wir sind mit den zuständigen Stellen der Bundesregierung im Austausch und sehen bisher weiterhin sehr positiv auf mögliche Auflagen. Der Dialog mit dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie stehe noch am Anfang.
Die Bundesregierung arbeitet seit Anfang Oktober an einer neuen Raumfahrtstrategie, die bis zum Herbst vorliegen soll. Der Bereich „New Space“sei darin für Deutschland ein „zentrales Element“. Das Wirtschaftsministerium unternimmt zudem einen weiteren Anlauf für ein nationales Weltraumgesetz. Dieses wäre wichtig, um Rechtssicherheit zu gewährleisten, wenn private, nicht staatliche Unternehmen künftig Richtung Orbit unterwegs sind. Die alte Bundesregierung hatte dieses Gesetz nicht hingebracht, die Ressorts hatten sich nicht einigen können.