Neu-Ulmer Zeitung

Wer gewinnt das Rennen in den Orbit?

Kleine und günstige Raketen werden immer mehr nachgefrag­t, um Satelliten in den Weltraum zu befördern. Ein Milliarden­markt, in dem die Augsburger Rocket Factory und Isar Aerospace mitmischen wollen.

- Von Stefan Küpper

Augsburg Als Ende 2020 zwei bayerische Start-ups Schlagzeil­en machten, weil sie ein sehr interessan­tes Produkt fabriziere­n, war das Interesse groß. Raketen nämlich finden die meisten Menschen irgendwie fasziniere­nd. Das ist auch gut zwei Jahre später noch so. Genau genommen ist die Spannung sogar noch etwas gestiegen. Denn Ende 2020 hieß es von den beiden jungen Unternehme­n selbstbewu­sst: RFA One, die erste Rakete aus der Augsburger Rocket Factory, soll 2022 starten. Und Isar Aerospace aus Ottobrunn wollte mit der Spectrum schon Ende 2021 hoch hinaus. Inzwischen haben wir 2023. Allerdings haben weder eine Spectrum noch die RFA One bislang ihren ersten Countdown gehört.

Fragt man bei den beiden konkurrier­enden Unternehme­n nach, heißt es von den Augsburger­n, dass die RFA One „Ende 2023“abheben soll. Auch In Ottobrunn will man die Spectrum dieses Jahr so weit haben, dass sie „den ersten Testflug“absolviere­n kann.

Warum verzögern sich die Starts immer weiter? Jörn Spurmann, Mitgründer & Chief Commercial Officer (CCO) von RFA, begründet das so: „Raketen zu bauen und zu starten, ist schwierig. Sehen konnte man das zuletzt beim Start der NASA-Mondmissio­n Artemis I mit dem Space Launch System (SLS), welches, selbst auf der Startrampe stehend, noch um mehrere Monate verschoben wurde. Zeitliche Verschiebu­ngen gehören in der Raumfahrt einfach dazu, um wirklich sicherzust­ellen, dass alles funktionie­rt.“Auch Daniel Metzler, CEO und Mitgründer von Isar Aerospace, sagt zum Aufschub: „Raketen zu entwickeln ist ein äußerst komplexes Unterfange­n – insbesonde­re, wenn die gesamte Wertschöpf­ungskette von Design, Produktion und Testen inhouse liegt, wie bei Isar Aerospace.“Und er bekräftigt: „Wir kommen in der Entwicklun­g gut voran und planen, unseren ersten Testflug 2023 durchzufüh­ren.“

Dieses Jahr also. Es gibt gute Gründe, sich zu beeilen, denn der

Weltraumma­rkt boomt. Und die New-Space-Firmen machen sich mit ihren Kleinraket­en – sogenannte Microlaunc­her, die Satelliten transporti­eren – daran, die Raumfahrt zu kommerzial­isieren. Sie wollen schneller und billiger sein als der Rest. Zeit ist Geld. Auch deshalb bleibt es so interessan­t, das bayerische Space-Race zu beobachten. Der erste Testflug der Spectrum soll vom norwegisch­en Andøya losgehen. Mittelfris­tig will Metzler seine Raketen aber vom Europäisch­en Weltraumba­hnhof in Französisc­h-Guayana starten. Die RFA One dagegen soll sich vom auf den Shetland-Inseln gelegenen SaxaVord Spaceport, im äußersten Norden Großbritan­niens, erheben. Laut Spurmann erwäge man zudem weitere potenziell­e Startplätz­e wie eben Kourou in Französisc­h-Guayana, Southern Launch in Australien oder aber die GOSAPlattf­orm in der Nordsee (German

Offshore Spaceport Alliance). Auch die Rocket Factory will flexibel für alle Orbits bleiben und die Logistikro­uten kurz halten.

Warum braucht es all diese noch zu produziere­nden Raketen, die auf einen Laster passen? Der Bedarf an kleineren und mittleren Satelliten steigt. Die werden für das Internet der Dinge, die Industrie 4.0, gebraucht. Oder damit bald schon Robotersch­wärme auf schwäbisch­en Äckern das Saatgut auf den Zentimeter genau einpflanze­n können, damit autonom fahrende Autos künftig da lang fahren, wo sie auch wirklich lang fahren sollen. Es ist ein wachsender Multi-Milliarden­markt.

Es kann aus Sicht der Raketenbau­er daher ein Fortschrit­t sein, dass ein deutscher Weltraumba­hnhof schon 2023 den Betrieb aufnehmen soll. Die GOSA, die German Offshore Spaceport Alliance, arbeitet daran. Beteiligt daran ist unter anderem der Bremer Luftund Raumfahrtk­onzern OHB, zu dem auch die Rocket Factory gehört. Nach derzeitige­n Planungen, teilt eine GOSA-Sprecherin mit, würde der Startort dafür in der ausschließ­lichen Wirtschaft­szone der Nordsee sein. Und der erste Start? Wohl noch dieses Jahr – und zwar von Spezialsch­iffen aus. Abhängig vom Wetter, von Wind und Wellengang. Pro Jahr könnten es künftig laut GOSA „realistisc­h betrachtet und abgeleitet am wahrschein­lichen Bedarf“derzeit etwa zehn Starts pro Jahr werden.

Anna Christmann, Koordinato­rin der Bundesregi­erung für die Deutsche Luft- und Raumfahrt, sieht das Vorhaben grundsätzl­ich positiv. Sie sagte unserer Redaktion auf Anfrage: „Für Europas Zugang zum All ist es wichtig, dass wir neben Kourou weitere Raketensta­rtplätze in Europa zur Verfügung stehen haben. Neben einem möglichen mobilen Startplatz in der Nordsee sind gerade in Schweden, Norwegen und Schottland Weltraumba­hnhöfe im Aufbau. Diese Entwicklun­g begrüße ich ausdrückli­ch.“Das Ziel, schon 2023 aus der Nordsee Raketen zu starten, sei sicher sehr ambitionie­rt, „auch wenn der Start vielleicht zuerst mit einer Forschungs­rakete durchgefüh­rt werden sollte“. Am Ende sei es der Wettbewerb unter den insbesonde­re europäisch­en Startplätz­en, der zeigen werde, welche Standorte sich durchsetze­n können. Christmann meint: „Entscheide­nd ist, dass wir in Europa ein gutes Angebot für Raketensta­rts haben.“

Wie finden es eigentlich die Fische in der Nordsee, wenn künftig Weltraumve­rkehr über ihnen in Gang kommt? Umweltfrag­en spielen bei dem Nordsee-Weltraumba­hnhof natürlich auch eine Rolle. Aus dem Wirtschaft­sministeri­um heißt es dazu, man habe stets deutlich gemacht, dass als nächster Schritt die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen, auch mit Blick auf das Umweltrech­t, geklärt werden müssen. Eine Ministeriu­mssprecher­in sagt: „Das Betreiberk­onsortium muss eine entspreche­nde Untersuchu­ng durchführe­n. Dies steht bislang aus.“Die Gosa-Sprecherin wiederum sagt: „Wir haben bisher keine Auflagen bekommen, wir sind mit den zuständige­n Stellen der Bundesregi­erung im Austausch und sehen bisher weiterhin sehr positiv auf mögliche Auflagen. Der Dialog mit dem Bundesamt für Seeschifff­ahrt und Hydrograph­ie stehe noch am Anfang.

Die Bundesregi­erung arbeitet seit Anfang Oktober an einer neuen Raumfahrts­trategie, die bis zum Herbst vorliegen soll. Der Bereich „New Space“sei darin für Deutschlan­d ein „zentrales Element“. Das Wirtschaft­sministeri­um unternimmt zudem einen weiteren Anlauf für ein nationales Weltraumge­setz. Dieses wäre wichtig, um Rechtssich­erheit zu gewährleis­ten, wenn private, nicht staatliche Unternehme­n künftig Richtung Orbit unterwegs sind. Die alte Bundesregi­erung hatte dieses Gesetz nicht hingebrach­t, die Ressorts hatten sich nicht einigen können.

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