Trotz Autoimmunerkrankung sieht sie das Positive
Gerlinde Neuhäusler verlor ihre Sehkraft und wurde jahrelang aufgrund einer falschen Diagnose behandelt. Heute kann sie wieder sehen und will anderen Mut machen.
Buch Es begann damit, dass sie plötzlich auf einem Auge nichts mehr sehen konnte. Etwa 35 Jahre ist das her. Für Gerlinde Neuhäusler aus Christertshofen begann damals eine lange Leidenszeit – denn was ihr wirklich fehlte, fanden die Ärzte erst nach Jahren heraus. Vor zehn Jahren bekam sie zum ersten Mal die richtige Behandlung – und konnte danach wieder sehen. Heute lebt sie positiv gestimmt mit der Erkrankung – und möchte anderen Betroffenen Mut machen.
Gerlinde Neuhäusler hat eine seltene Autoimmunerkrankung. Abgekürzt heißt diese NMO und steht für Neuromyelitis optica. Es ist diese Erkrankung, die hinter ihrer Erblindung steckte. Dank einer Apherese kann sie wieder sehen. Das ist ein Blutreinigungsverfahren, das auch bei weiteren Krankheiten erfolgreich eingesetzt wird. „Ich will anderen Mut machen und Hoffnung geben“, sagt Gerlinde Neuhäusler. Deshalb soll ihre Geschichte publik werden.
Die Erkrankung der 56-Jährigen, die als heilpädagogische Schulhelferin in der Dominikus Schule in Ursberg arbeitet, begann bereits 1988. „Ich sah mit dem linken Auge plötzlich schlecht“, erinnert sie sich. Sie erblindete auf dem Auge. Es folgten Jahre der Diagnostik und schließlich die damals noch falsche Diagnose MS.
Sie bekam hohe Kortisondosen zur Eindämmung der Schübe verabreicht. Doch auch das rechte Auge folgte und wurde blind.
Vor zehn Jahren dann die Wende: 2013 dann wurde bei Gerlinde Neuhäusler zum ersten Mal eine Apherese durchgeführt. Nach der dritten Behandlung sei ihre Sehkraft zurückgekommen, erinnert sie sich. „Es war unbeschreiblich“, sagt sie, und das Glück darüber ist nach wie vor unüberhörbar. Grüne Wiesen habe sie auf dem Weg nach Kempten, wo sie diese Behandlung bis heute erhält, wiedererkannt. Und dann auch das wohl auffallend signalfarbene Hemd ihres Arztes konnte sie erkennen, wie sie sich lachend erinnert.
NMO (in der Fachsprache NMOSD) ist eine autoimmunvermittelte, neurologische Erkrankung. Früher erhielten Betroffene häufig fälschlicherweise die Diagnose Multiple Sklerose (MS) – ebenfalls eine Autoimmunerkrankung. NMO betrifft vorwiegend Frauen und ist sehr selten – sie tritt statistisch bei weniger als einem von 100.000 Menschen auf. Beim NMO bildet das Immunsystem Aquaporin-4-Antikörper gegen dieses im Nervengewebe ansässiges Protein, was zu entzündlichen Veränderungen bis hin zu dauerhafter Schädigung führt. Sehnerven, Rückenmark und zentrales Nervensystem sind davon betroffen. Schübe sind kennzeichnend für NMO – ähnlich wie bei MS-Erkrankten.
Bei der Apherese, mit der die Erkrankung behandelt wird, handelt es sich um ein Blutreinigungsverfahren ähnlich der Dialyse. Krank machende Substanzen werden aus dem Blut entfernt. Seit etwa vier Jahren wird bei Gerlinde Neuhäusler alle 14 Tage im Medizinischen Versorgungszentrum Heigl, Hettich MVZ Kempten-Allgäu eine Immunadsorptionsbehandlung durchgeführt. Krankheitsschübe sind seitdem bei ihr nicht mehr vorgekommen. Die Ausnahme: ein Schub in Zusammenhang mit einer CoronaImpfung.
Unterstützt durch ihre Brille habe sie ihre volle Sehkraft zurück, sagt sie. Das rechte Auge übernehme dabei das Sehen auch für das linke Auge. Dessen Sehnerv war durch die Erkrankung bereits irreversibel geschädigt. „Mit der regelmäßigen Durchführung der Immunadsorptionsbehandlung bei NMO, die wir neben Frau Neuhäusler bei einer weiteren Patientin in unserem Zentrum durchführen, haben wir Neuland in der Medizin betreten“, erklärt dazu Dr. Franz Heigl, ärztlicher Leiter im MVZ. Diese Erfolge seien so großartig, dass beide Fälle aktuell in einer englischsprachigen Fachzeitschrift für Neurologie publizieren werden, so der Arzt.
Das Apheresezentrum in Kempten, mit aktuell über 10.000 Behandlungen im Jahr, zählt laut Heigl zu den drei führenden Einrichtungen in Deutschland und weltweit. Das Behandlungsspektrum reicht von diversen Fettstoffwechselstörungen bis hin zu neurologischen Erkrankungen. Das Risiko eines Herzinfarktes und anderer atherosklerotischer Erkrankungen könne hier um bis zu 90
Prozent gesenkt werden, so Heigl. Bei MS und NMO nennt er eine Erfolgsrate von rund 90 Prozent.
Grundlage für Behandlungen ist generell, dass übliche Therapien nicht anschlagen oder vertragen werden. Auch Corona-Erkrankungen seien in Heilversuchen teilweise erfolgreich behandelt worden. Aussagekräftigen Studien gäbe es dazu aber noch nicht. Die Kosten für eine Apherese – laut Heigl eine Behandlung, die meist nebenwirkungsfrei und etwa auch für Schwangere ohne Risiken anwendbar ist – werden nach Antragstellung und Überprüfung der Indikation durch den Medizinischen Dienst von der Krankenkasse bezahlt.
Etwa zwei Stunden dauert bei Gerlinde Neuhäusler eine solche Behandlung. Warum und wieso ausgerechnet sie an NMO erkrankte, danach habe sie nie gefragt. „Das hätte mich nicht weitergebracht“, findet sie. Vielmehr denke sie positiv. So erzählt sie von verschiedenen zwischenmenschlichen Begegnungen, die sie ohne ihre Erkrankungen nie gemacht hätte. Oder auch von jährlichen Fahrten nach Berlin. Denn seit etwa sieben Jahren nimmt sie auch an einer Studie teil. Dazu muss sie einmal im Jahr in die Charité. Den Klinikbesuch habe sie erst kürzlich mit ein paar schönen Tagen in der Bundeshauptstadt verbunden, sagt Gerlinde Neuhäusler und lacht.