10,5 Prozent mehr Lohn wären maßlos
In der Tarifverhandlung des Öffentlichen Dienstes überspannen die Gewerkschaften trotz der sehr hohen Inflation den Bogen. Das erinnert fatal an die 70er Jahre.
Optik ist in Tarifverhandlungen wichtig. Doch die Optik passt nicht im Tarifkonflikt des Öffentlichen Dienstes des Bundes und der Kommunen. Denn die Gewerkschaft Verdi und der Beamtenbund haben einen entscheidenden psychologischen Fehler gemacht. Statt wie die IG Metall 8,0 Prozent mehr Lohn zu fordern, was in Rekord-Inflationszeiten viele nachvollziehen können, musste es unbedingt zweistellig sein. Und das, obwohl die Teuerung von 7,9 Prozent im vergangenen Jahr 2023 nach Experten-Meinung Richtung fünf Prozent nach unten marschiert.
Verdi-Chef Werneke und Beamtenbund-Vorsitzender Silberbach müssten angesichts der sich erkennbar abschwächenden Preissteigerung die Forderung aus dem vergangenen Jahr, als noch Inflationspanik
herrschte, auf MetallerNiveau runterdimmen. Doch das ist unüblich in Tarifbewegungen. Somit machen es die Gewerkschafter mit ihrem 10,5-Prozent-Traum den Arbeitgebern leicht, den Verhandlungspartner anzugreifen.
Neben der reinen Optik spielt Psychologie in Tarifverhandlungen
eine zentrale Rolle. Denn Lohnerhöhungen müssen erkämpft werden. Und Forderungen in dieser extremen Höhe führen unausweichlich zu zeitlich befristeten Warnstreiks. Die beiden Gewerkschaftsführer treiben also die Mitglieder zwangsläufig auf die Bäume, also zu Arbeitsniederlegungen. Doch irgendwann müssen sie die Beschäftigten wieder runterholen. Das dürfte schwierig werden, wurden doch von den Gewerkschaften hohe Erwartungen geweckt. Wer eine so bombastische Lohnforderung in das Verhandlungs-Schaufenster stellt, könnte am Ende um einen richtigen Arbeitskampf nicht umhinkommen.
Wenn aber Kitas länger geschlossen bleiben und der Müll tagelang nicht abgeholt wird, sinkt die bei vielen vorhandene Sympathie für die Beschäftigten. Und weil die Gewerkschaften mindestes 500 Euro mehr je Mitarbeiter fordern, provozieren sie, dass die Arbeitgeber nachrechnen. Dies würde bedeuten, dass Beschäftigte unterer Lohngruppen auf einen Schlag eine Lohnerhöhung von rund 20 Prozent einstreichen. Das mögen sie für ihre Leistungen in Krisenzeiten verdient haben, angesichts der öffentlichen Kassenlage ist ein derartiger Super-Schluck aus der Lohnpulle nicht vertretbar.
Am Ende könnte die Tarifrunde zum Politikum werden. Denn ein überzogener Abschluss nach einem Arbeitskampf ist nicht im Interesse der Bundesregierung. Schließlich entlastet der Staat die Bürgerinnen und Bürger von den
Auswirkungen der hohen Energiepreise und allgemein der Inflation mit fast 300 Milliarden Euro. Davon profitieren auch die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes. Der Scholz-Mehrfach-Wumms sollte also zwingend gegengerechnet werden. Doch das unterlassen die Gewerkschaften natürlich.
Dennoch müssen Werneke und Silberbach bis zur sicher wegweisenden dritten Tarifrunde im März die Kurve kriegen und abrüsten. Sonst laufen sie Gefahr, in den Geschichtsbüchern einmal mit dem Hardcore-Gewerkschafter Heinz Kluncker in einem Atemzug genannt zu werden. Der hatte 1974, zum Missfallen des damaligen Kanzlers Willy Brandt, elf Prozent mehr Lohn erkämpft, nachdem Müllwerker und Straßenbahner drei Tage in den Ausstand getreten waren. Damit hat Kluncker seinem Parteifreund Brandt massiv geschadet. Auch dem heutigen sozialdemokratischen Kanzler Olaf Scholz kann nicht an einer Eskalation des Tarifkonflikts im Öffentlichen Dienst gelegen sein.
Es läuft auf Warnstreiks hinaus