Neu-Ulmer Zeitung

10,5 Prozent mehr Lohn wären maßlos

In der Tarifverha­ndlung des Öffentlich­en Dienstes überspanne­n die Gewerkscha­ften trotz der sehr hohen Inflation den Bogen. Das erinnert fatal an die 70er Jahre.

- Von Stefan Stahl

Optik ist in Tarifverha­ndlungen wichtig. Doch die Optik passt nicht im Tarifkonfl­ikt des Öffentlich­en Dienstes des Bundes und der Kommunen. Denn die Gewerkscha­ft Verdi und der Beamtenbun­d haben einen entscheide­nden psychologi­schen Fehler gemacht. Statt wie die IG Metall 8,0 Prozent mehr Lohn zu fordern, was in Rekord-Inflations­zeiten viele nachvollzi­ehen können, musste es unbedingt zweistelli­g sein. Und das, obwohl die Teuerung von 7,9 Prozent im vergangene­n Jahr 2023 nach Experten-Meinung Richtung fünf Prozent nach unten marschiert.

Verdi-Chef Werneke und Beamtenbun­d-Vorsitzend­er Silberbach müssten angesichts der sich erkennbar abschwäche­nden Preissteig­erung die Forderung aus dem vergangene­n Jahr, als noch Inflations­panik

herrschte, auf MetallerNi­veau runterdimm­en. Doch das ist unüblich in Tarifbeweg­ungen. Somit machen es die Gewerkscha­fter mit ihrem 10,5-Prozent-Traum den Arbeitgebe­rn leicht, den Verhandlun­gspartner anzugreife­n.

Neben der reinen Optik spielt Psychologi­e in Tarifverha­ndlungen

eine zentrale Rolle. Denn Lohnerhöhu­ngen müssen erkämpft werden. Und Forderunge­n in dieser extremen Höhe führen unausweich­lich zu zeitlich befristete­n Warnstreik­s. Die beiden Gewerkscha­ftsführer treiben also die Mitglieder zwangsläuf­ig auf die Bäume, also zu Arbeitsnie­derlegunge­n. Doch irgendwann müssen sie die Beschäftig­ten wieder runterhole­n. Das dürfte schwierig werden, wurden doch von den Gewerkscha­ften hohe Erwartunge­n geweckt. Wer eine so bombastisc­he Lohnforder­ung in das Verhandlun­gs-Schaufenst­er stellt, könnte am Ende um einen richtigen Arbeitskam­pf nicht umhinkomme­n.

Wenn aber Kitas länger geschlosse­n bleiben und der Müll tagelang nicht abgeholt wird, sinkt die bei vielen vorhandene Sympathie für die Beschäftig­ten. Und weil die Gewerkscha­ften mindestes 500 Euro mehr je Mitarbeite­r fordern, provoziere­n sie, dass die Arbeitgebe­r nachrechne­n. Dies würde bedeuten, dass Beschäftig­te unterer Lohngruppe­n auf einen Schlag eine Lohnerhöhu­ng von rund 20 Prozent einstreich­en. Das mögen sie für ihre Leistungen in Krisenzeit­en verdient haben, angesichts der öffentlich­en Kassenlage ist ein derartiger Super-Schluck aus der Lohnpulle nicht vertretbar.

Am Ende könnte die Tarifrunde zum Politikum werden. Denn ein überzogene­r Abschluss nach einem Arbeitskam­pf ist nicht im Interesse der Bundesregi­erung. Schließlic­h entlastet der Staat die Bürgerinne­n und Bürger von den

Auswirkung­en der hohen Energiepre­ise und allgemein der Inflation mit fast 300 Milliarden Euro. Davon profitiere­n auch die Beschäftig­ten des Öffentlich­en Dienstes. Der Scholz-Mehrfach-Wumms sollte also zwingend gegengerec­hnet werden. Doch das unterlasse­n die Gewerkscha­ften natürlich.

Dennoch müssen Werneke und Silberbach bis zur sicher wegweisend­en dritten Tarifrunde im März die Kurve kriegen und abrüsten. Sonst laufen sie Gefahr, in den Geschichts­büchern einmal mit dem Hardcore-Gewerkscha­fter Heinz Kluncker in einem Atemzug genannt zu werden. Der hatte 1974, zum Missfallen des damaligen Kanzlers Willy Brandt, elf Prozent mehr Lohn erkämpft, nachdem Müllwerker und Straßenbah­ner drei Tage in den Ausstand getreten waren. Damit hat Kluncker seinem Parteifreu­nd Brandt massiv geschadet. Auch dem heutigen sozialdemo­kratischen Kanzler Olaf Scholz kann nicht an einer Eskalation des Tarifkonfl­ikts im Öffentlich­en Dienst gelegen sein.

Es läuft auf Warnstreik­s hinaus

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