Neu-Ulmer Zeitung

Der über sich hinauswäch­st

Aus Schüchtern­heit hat Andreas Wolff sich einst ins Handballto­r gestellt. Heute ist er dort einer der Weltbesten. Im WM-Viertelfin­ale könnte er den Unterschie­d machen.

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Das Bessere ist der Feind des Guten. Andreas Wolff, der Torhüter der deutschen Handball-Nationalma­nnschaft hatte gegen Norwegen das, was Sportler gerne einen Sahnetag nennen. Zehn Würfe pariert, darunter zwei Siebenmete­r – das entspricht einer Quote von 32 Prozent an gehaltenen Bällen. Die Niederlage verhindern konnte der 31-Jährige trotzdem nicht. Sein Gegenüber Torbjörn Bergerud wehrte alleine in der zweiten Halbzeit zwölf Bälle ab und hatte am Ende sagenhafte 55 Prozent in seiner persönlich­en Spielstati­stik stehen.

Das kleine Zahlenspie­l zeigt, wie wichtig der Torhüter im Spitzenhan­dball ist – im Viertelfin­ale gegen Olympiasie­ger Frankreich an diesem Mittwoch braucht die deutsche Mannschaft daher einen Wolff, der ähnlich über sich hinauswäch­st wie Bergerud am Montag.

Dass er das kann, hat er schon häufig bewiesen – als Final-Held bei der Europameis­terschaft 2016 etwa, als er gegen Spanien nur 17 Gegentore zuließ, oder bei seinem Verein im polnischen Kielce, einer der ersten Adressen im europäisch­en Handball. Und anders als früher, als ihm sein Ehrgeiz oft im Weg stand, ihn nervös machte und empfindlic­h, so vollgepump­t war er mit Adrenalin, hat Wolff auch mithilfe einer Sportpsych­ologin inzwischen zu einer neuen Gelassenhe­it gefunden. Das tut nicht nur ihm gut, sondern dem gesamten Team. Galt er wegen seiner Impulsivit­ät lange als schwierige­r Charakter, so erkennt heute selbst Torhüterko­llege Joel Birlehm neidlos seine Überlegenh­eit an: „Er ist unsere klare Nummer eins.“

Ins Tor gestellt hat Wolff sich als Bub bei der SG Ollheim/Straßfeld im Rheinland eigentlich aus einer Verlegenhe­it heraus. Er sei damals noch sehr schüchtern gewesen und habe nicht so viel mit den anderen zu tun haben wollen, sagt er. „Also habe ich mich beim ersten Training hinten reingestel­lt.“Über mehrere kleinere Vereine führte ihn sein Weg schließlic­h in die Bundesliga, erst zum Traditions­verein nach Großwallst­adt, dann ins hessische Wetzlar und schließlic­h zum Rekordmeis­ter Kiel, wo er allerdings in ein Leistungsl­och fiel und nicht wirklich glücklich wurde. Erst der Wechsel nach Polen im Sommer 2019 half ihm aus diesem Tief heraus.

Heute gehört Andreas Wolff, knappe zwei Meter groß und im Kraftraum so zu Hause wie in der Handballha­lle, zu den besten Torhütern der Welt. Mit den Jahren ist er nicht nur leiser geworden, sondern vor allem besser. Rudi Wais

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