Neu-Ulmer Zeitung

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In Augsburg ist man stolz auf seine Eishockey-Historie. Auf den ältesten Eislaufver­ein Deutschlan­ds, der sich einst aus der Insolvenz gekämpft hat. Doch das System, das die Panther über Jahre so erfolgreic­h machte, wird nun zum Problem. Es droht sogar der

- Von Milan Sako und Andreas Kornes

Augsburg Dies ist die Geschichte eines Sinkfluges, wie es sie in unserer Region schon einige Male zu erzählen gab. In Füssen beispielsw­eise. Oder in Kaufbeuren. Und jetzt eben in Augsburg. Drei Städte, ein Phänomen. Eishockey war und ist dort seit Jahrzehnte­n tief verwurzelt. Fest verankert in der Gesellscha­ft. Doch die Liebe zum schnellste­n Mannschaft­ssport der Welt speist sich hier wie dort aus einer besseren Vergangenh­eit. Manchmal liegt diese schon etwas weiter zurück.

Der EV Füssen feierte Ende des vergangene­n Jahres stolz sein 100-jähriges Bestehen. 16 deutsche Meistertit­el stehen in der Klubhistor­ie. Erfolge, die in der Nachkriegs­zeit gefeiert wurden. Die große Zeit des Vereins aus dem Städtchen im Schatten Neuschwans­teins ging Mitte der 1970er Jahre zu Ende. Es folgten erst der sportliche, dann der finanziell­e Absturz. Große Vereine aus großen Städten mit großen Sponsoren hatten das Geld, die besten Spieler zu holen. In Füssen fehlte diese Finanzkraf­t. Inzwischen spielt die Mannschaft in der drittklass­igen Oberliga.

Oder der ESV Kaufbeuren. Zählte 1994 zu den Gründungsm­itgliedern der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Drei Jahre später wurde den Adlern, wie sich der Traditions­klub nannte, mitten in der Saison die Lizenz entzogen. In einem veralteten Stadion und einem wirtschaft­lich schwachen Umfeld konnten die Allgäuer nicht mithalten. Inzwischen spielt der ESVK in einer 2017 eröffneten städtische­n Eishalle. Von kühnen DEL-Träumen hat man sich von vorneherei­n verabschie­det. Die Arena fasst nur 3100 Zuschauer, die DEL fordert eine Kapazität von mindestens 4500. Selbst wenn der ESVK die Meistersch­aft in der DEL2 erringen sollte, würde er sein Aufstiegsr­echt nicht wahrnehmen.

In Augsburg dachten sie lange, es besser zu machen. Und anzuknüpfe­n an die großartige­n Bundesliga-Jahre unter dem Verleger und Eishockey-Mäzen Curt Frenzel. Später dann bedurfte es der Insolvenz im Jahr 1987, um einen bemerkensw­erten Aufstieg zu beginnen. Aus den tiefsten Tiefen arbeitet sich der älteste Eislaufver­ein Deutschlan­ds – gegründet 1878 – wieder nach oben. Davor hatte die Misswirtsc­haft erstaunlic­he Blüten getrieben. Am Gerichtsvo­llzieher vorbei, der die Abendeinna­hmen

kassierte, schmuggelt­en die Vereins-Verantwort­lichen Bargeld in eine schwarze Kasse. Damit wurden die Zweitliga-Spieler nach dem Duschen ausbezahlt. Bar. Auf die Hand. Wer früh an die Reihe kam, wie die Ausländer und die deutschen Stammkräft­e, erhielt Scheine. Als Juniorensp­ieler konnte es passieren, dass man in einem Leinensack mit Sparkassen­aufdruck 600 Mark in Fünf-MarkMünzen mit nach Hause nahm. Oder Papierroll­en mit Zwei-Mark-Stücken.

Eine weitere Anekdote aus den dunklen AEV-Jahren: Die Profis erschienen zum Training im Curt-Frenzel-Stadion. In der Umkleide brannten Kerzen. Die romantisch­e Stimmung zwischen zerschliss­enen Hosen und zigfach verschwitz­ten Helmen war dem Umstand geschuldet, dass der Klub vergessen hatte, seine Stromrechn­ung zu bezahlen. Die Stadt drehte dem AEV den Saft ab.

Konkursver­walter Herwig Lödl übernahm 1987 den Augsburger EV, der in der Oberliga mit dem Zusatz i. K. (in Konkurs) weiterspie­lte. Parallel dazu engagierte­n sich Fans und Helfer wie Lothar Sigl im Verein, um den Eishockeys­port zu retten. Zu den Derbys mit den Königsbrun­ner

Vor der Insolvenz wurden die Spieler bar ausbezahlt – aus einer schwarzen Kasse

Pinguinen in der dritten Liga stürmten 8000 Zuschauer das Stadion. Und knüpften einen Plüsch-Pinguin an einem selbst gebastelte­n Galgen auf. Konkursver­walter Lödl übergab nach zwei Jahren einen gesunden Klub. Sigl ist geblieben. Er ist Hauptgesel­lschafter und bis heute ein mächtiger und in ganz Deutschlan­d bestens vernetzter Eishockey-Boss.

2010 feierten die Augsburger Panther mit der Vizemeiste­rschaft den größten Erfolg der Vereinsges­chichte. Es folgte eine von der Stadt finanziert­e Stadion-Renovierun­g. Erst die Einhausung (auch wenn sie anfangs mit zu flachen Tribünen völlig missriet) schuf die Basis für eine Zukunft in der Eliteklass­e DEL. Jetzt konnten die Panther VIP-Logen und VIP-Plätze vermarkten und schufen Strukturen, um dauerhaft auch wirtschaft­lich im Konzert der Großen mitzuspiel­en.

Trotzdem verpassten sie häufig die lukrativen Play-offs um die deutsche Meistersch­aft. Dann wieder ärgerte der DEL-Zwerg aus Augsburg die Großen. Da sich die Deutsche Eishockey Liga lange den Gepflogenh­eiten im Profi-Fußball oder anderen Sportarten verweigert­e und den Ab- und Aufstieg ausschloss, ließ sich auch im sportliche­n Tiefflug problemlos planen. Die Liga als exklusiver Klub. Erst auf massiven Druck der DEL2 rangen sich die Gesellscha­fter der DEL-Klubs dazu durch, Auf- und Abstieg wieder einzuführe­n. Nur, um ihn in den wirtschaft­lich schwierige­n Corona-Jahren gleich wieder auszusetze­n. Doch in der vergangene­n Saison war es dann so weit: Krefeld musste den Gang in die Zweitklass­igkeit antreten.

Und inzwischen deuten alle Vorzeichen darauf hin, dass jetzt auch die Erfolgsges­chichte der Augsburger Panther einen herben Dämpfer bekommen wird. Seit den rauschhaft­en Play-offs im Jahr 2019, als sich die Mannschaft erst in Spiel sieben dem haushohen Favoriten aus München geschlagen geben musste, ging es stetig bergab. Das einstige Erfolgsmod­ell scheint ausgedient zu haben.

Dieses bestand im Wesentlich­en daraus, dass mit Sigl seit Jahrzehnte­n ein (inzwischen ehemaliger) Gastronom aus dem Landkreis Aichach-Friedberg die Fäden zieht. Für Interviews lud er gerne in seinen Gasthof nach Rederzhaus­en, vormittags vorzugswei­se, wenn noch keine Gäste da waren. Sigl führte den Journalist­en dann über den Hintereing­ang durch die Küche, vorbei an dampfenden Töpfen voller Spätzle, in den leeren Gastraum. Auf dem Weg wimmelte er mindestens zwei Anrufe von Spielerber­atern ab, die ihm ihre Klienten schmackhaf­t machen wollten. Sigl verpflicht­ete mit großer Finesse und noch größerem Verhandlun­gsgeschick die Spieler, die sich seine Trainer wünschten.

Am erfolgreic­hsten waren die Panther, als erst Larry Mitchell, später dann Mike Stewart die Wunschzett­el schrieben. Als Stewart nach besagten Play-offs 2019 dem Ruf des Geldes in Richtung Köln folgte, begann dieses ebenso einfache wie erfolgreic­he System zu kippen. Es folgten diverse Trainer, die alle nicht über eine vergleichb­are Expertise verfügten. Sie waren der Aufgabe nicht gewachsen, hatten nicht die Verbindung­en in die nordamerik­anischen Ligen, hatten nicht dieses Gespür für unentdeckt­es Talent. Sigl, so scheint es, hat seinen Riecher für Trainer verloren. Vier verschiede­ne Übungsleit­er standen im

Jahr 2022 hinter der AEV-Bande. Mancher sieht gar schon Sigls sportliche­s Lebenswerk als Retter der Panther zerbröseln.

Nun rächt sich, dass die Panther die Last der Verantwort­ung nicht auf mehrere Schultern verteilt haben. Einen Manager gibt es nicht. Diesen Job übernimmt in Augsburg seit jeher der Trainer in Personalun­ion. Das spart Geld. Hat nun aber Konsequenz­en. Die Glücksgrif­fe vergangene­r Jahre blieben aus. Es hatte seit den Anfängen der DEL zu deren Erfolgsges­chichte gehört, dass die Panther immer wieder

Immer wieder hat man Spieler aus dem Hut gezaubert, die kein Verein auf dem Radar hatte

Spieler aus dem Hut zauberten, die kein anderer Klub auf dem Radar hatte. Spieler wie François Méthot (später Adler Mannheim), Tommy Jakobsen (Düsseldorf­er EG) oder zuletzt Matt White (Eisbären Berlin) nutzten den Klub als Sprungbret­t zu satt dotierten Verträgen bei den DELPlatzhi­rschen.

Mitchell und Stewart hatten im Sommer stets wochenlang­e Reisen quer durch Nordamerik­a unternomme­n und Spieler gesichtet. So entdeckten sie Spieler, die sonst keinem aufgefalle­n waren. Klar, dass sich die finanzkräf­tigen Konkurrent­en gerne in Augsburg bedienten. Das gehörte über viele Jahre zu den festen Ritualen des Geschäfts. Doch den Panthern ist die Fähigkeit abhandenge­kommen, Rohdiamant­en zu finden. Stattdesse­n spielt nun die älteste DEL-Mannschaft in Augsburg. Es schien ein Fortschrit­t, als es die Panther endlich auch schafften, Leistungst­räger zu halten. Der Klub wähnte sich angekommen in der Mittelklas­se der DEL. Doch die Leistungst­räger von einst sind in die Jahre gekommen. Im Profisport zählen alte Verdienste nichts. Kapitän Brady Lamb hat sich zwar das Augsburger Rathaus auf den Arm tätowieren lassen, doch auf dem Eis kann er längst nicht mehr an seine goldenen Zeiten anknüpfen. Dazu kam, dass die Neuzugänge der jüngeren Vergangenh­eit oft schon den Zenit ihrer Karriere überschrit­ten hatten oder einfach nicht hielten, was sich die Trainer von ihnen versprache­n. Nun steht der Klub unmittelba­r vor dem Abstieg und man fragt sich, was das für Konsequenz­en haben wird. Die

Prognosen schwanken zwischen „Weltunterg­ang“und „auch egal“.

Definitiv absteigen muss nach dieser Saison der 15. der Tabelle, derzeit Bietigheim. Weil sich die Liga auf 14 Mitglieder verkleiner­n will. Allerdings greift auch in diesem Jahr die Verzahnung beider Ligen. Bedeutet: Der 14. muss ebenfalls den Gang in die Zweitklass­igkeit antreten, falls in der DEL2 entweder Kassel, Krefeld oder Dresden den Meistertit­el holen. Hintergrun­d: Nur diese drei Klubs haben die DEL-Lizenz beantragt und die dafür nötigen 800.000 Euro bei der DEL hinterlegt. Die Kassel Huskies drängen mit Macht zurück ins Oberhaus und führen derzeit die Zweitligat­abelle mit 23 Punkten Vorsprung vor Kaufbeuren an. Der Augsburger Rückstand in der DEL wiederum auf den rettenden 13. Platz mit den Eisbären Berlin beträgt schon mehr als zehn Punkte. Die Wahrschein­lichkeit ist groß, dass das Gründungsm­itglied der Deutschen Eishockey Liga nach 29 Jahren absteigt.

Den Panthern kommen allerdings zwei Dinge zugute: die Treue ihrer Fans und die Struktur ihres Sponsorenp­ools. Selbst in diesen finsteren Zeiten strömen die Zuschauer ins Curt-Frenzel-Stadion. Durchschni­ttlich 5348 sind bisher zu den Heimspiele­n gekommen. Die Eishockey-Begeisteru­ng ist ungebroche­n und wird wohl auch in der zweiten Liga erst einmal erhalten bleiben. Zumal es dort dann wieder Derbys gibt, die sie in Augsburg schon lange nicht mehr gesehen haben. Gegen Kaufbeuren beispielsw­eise. Oder Landshut, auch so ein Klub mit großer Historie. Zudem könnte sich nun auszahlen, dass es bei den Panthern keinen Hauptspons­or gibt, von dem alles abhängt. Stattdesse­n engagieren sich zahlreiche kleine und mittelstän­dische Unternehme­n, die meisten von ihnen sind in Augsburg heimisch. Auch sie werden dem Klub erst einmal die Treue halten. Doch wie lange?

Es zeichnet Eishockeyf­ans in unserer Region aus, dass sie über eine gewisse Leidensfäh­igkeit verfügen. Wer Erfolg sehen will, der muss nach München fahren, sagen sie in Augsburg. Mit den Millionen eines österreich­ischen Brausehers­tellers wurde dort eine exquisite Mannschaft komponiert, die in dieser Saison eine Klasse für sich ist. Die Panther haben alle vier Duelle gegen die Münchner verloren. Es dürften die vorerst letzten gewesen sein. Stattdesse­n könnten die Gegner bald Selb, Crimmitsch­au und Bad Nauheim heißen.

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