Neu-Ulmer Zeitung

„Weder Bayern insgesamt, noch die CSU werden fundamenta­l benachteil­igt“

Der Politikexp­erte Thorsten Faas hat sich mit den Folgen der Wahlrechts­reform beschäftig­t. Er dämpft die Aufregung, die gerade aus dem christsozi­alen Lager hochschwap­pt. Und er spricht sich für ein Wahlalter von 16 Jahren aus.

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Herr Faas, im Moment wird intensiv über das deutsche Wahlsystem diskutiert. Es geht um die Größe des Bundestags, aber auch um das Wahlalter. Was ist so reformbedü­rftig an unserem Wahlrecht? Thorsten Faas: Die Geschichte von Wahlen ist eine Geschichte permanente­n Wandels – und dabei alles in allem geprägt von einer Ausweitung des Wahlrechts. Das Wahlrecht für Frauen haben wir in Deutschlan­d seit gut 100 Jahren, für 18- bis 20-Jährige seit 50 Jahren. Zumindest bei manchen Wahlen dürfen auch EU-Ausländer und 16- und 17-Jährige wählen. Daran merkt man aber auch: Wer wählen darf, hat (ein bisschen) Macht. Und das ist der zweite Grund: Wahlsystem­fragen sind Machtfrage­n. Daher ist es nicht egal, ob man ein Mehrheits- oder ein Verhältnis­wahlsystem hat, ob es ein paar unausgegli­chene Überhangma­ndate mehr oder weniger gibt. Und deswegen wird dann mitunter auch so hart gestritten.

In Bayern sorgt besonders die Wahlrechts­reform für Unruhe. Die CSU sieht sich im Nachteil, weil sie Direktmand­ate verlieren würde. Ist das so?

Faas: Das hängt letztlich davon ab, mit welchen normativen Prämissen Sie auf ein Wahlsystem schauen. Was ist Ihnen am Ende wichtig beziehungs­weise am wichtigste­n? Wenn Sie sagen: Mein ultimative­r Fluchtpunk­t in der Debatte ist, dass jeder Wahlkreis durch einen Wahlkreiss­ieger vertreten ist, dann ist der Reformvors­chlag ein Problem. Wenn Sie sagen: Mir ist wichtig, dass der Bundestag nicht XXXXXL ist, sondern auf 598 Mandate beschränkt bleibt und noch dazu gilt, dass die Zahl der Sitze ungefähr der Zahl der Zweitstimm­en entspricht, dann können Sie mit dem Ampel-Vorschlag sehr gut leben. Das zeigt aber auch: Man kann nicht alles haben, das eine perfekte Wahlsystem gibt es nicht. Aber man muss auch sagen: Weder wird Bayern insgesamt fundamenta­l benachteil­igt, noch die CSU; vielmehr wird der CSU ein kleiner Vorteil, den sie gegenüber anderen Parteien aktuell hat, genommen – nämlich drei unausgegli­chene Überhangma­ndate. Verlierer der Reform sind nicht Bayern oder die CSU, sondern die Wahlkreisg­ewinner (der CSU), die vielleicht zukünftig zwar den Wahlkreis gewinnen, aber trotzdem nicht mehr in den Bundestag kommen.

Ist nicht das Direktmand­at Ausdruck besonderer Bürgernähe? Faas: „Besondere Bürgernähe“ist vielleicht zu viel gesagt. Studien zeigen, dass viele Menschen gar nicht wissen, wer ihr Wahlkreisa­bgeordnete­r ist – und schon gar nicht mehrere Wahlkreisk­andidaten kennen. Da wird manchmal ein hohes Lied auf Wahlkreise und die Kandidaten dort gesungen, das nicht ganz gerechtfer­tigt ist. Das heißt in keiner Weise, dass die nicht wahnsinnig viel arbeiten und präsent sind, aber gleichwohl… Ich würde sagen, dass es eben verschiede­ne Logiken gibt, die im Bundestag vertreten sind: nach regionaler Logik – Bundesländ­er, Wahlkreise – und nach Parteien. Und letztlich ist Letzteres schon wichtiger. Das sieht man auch daran, dass erfolgreic­he Wahlkreisk­andidaten immer gescheiter­t sind, wenn sie nach einem Streit mit ihrer Partei als unabhängig­e Kandidaten angetreten sind.

Der Bundestag wurde immer größer, das wird von vielen kritisiert. Aber wenn es weniger Abgeordnet­e gibt, will keine Partei ,,verlieren“. Es klingt nach der Quadratur des Kreises ...

Faas: Genau das ist es – man kann nicht alles haben: Eine Zahl von 598 mit perfektem Verhältnis­wahlsystem und garantiert einziehend­en Wahlkreiss­iegern zu haben, das geht nicht. Insofern setzen die unterschie­dlichen Vorschläge, die im Raum stehen, einfach unterschie­dliche Schwerpunk­te und Prioritäte­n. All das kann sehr wohl demokratis­ch sein – daher habe ich mich über so manche Wortmeldun­g, in der von „Wahlbetrug“und „Schurkenst­aaten“die Rede war, schon sehr gewundert bis geärgert. Damit tut man der Sache keinen Gefallen, gerade in Zeiten, in denen Parlamente gestürmt werden, weil Wahlen systematis­ch infrage gestellt werden.

Es scheint, als ob die CSU dann vor allem in den Städten ein zusätzlich­es Problem bekäme ...

Faas: Ja, das kann passieren. Warum? Das Ampel-Modell sieht vor, dass nicht mehr alle Sieger von Wahlkreise­n in den Bundestag garantiert einziehen, sondern nur noch so viele, wie einer Partei nach erhaltenen Zweitstimm­en zustehen. Gegebenenf­alls können also diejenigen mit den schwächste­n Wahlkreise­rgebnissen nicht einziehen – und das sind typischerw­eise die aus Städten, weil dort der Parteienwe­ttbewerb besonders heftig ist und daher die Siege knapper ausfallen. Und keine Frage: Das ist ein Effekt für die CSU, aber eher ein innerparte­ilicher.

In der Debatte ist auch das Absenken der Altersgren­ze auf 16 Jahre. Bei vielen Kommunal- und Landtagswa­hlen ist das jetzt schon der Fall. In Bayern nicht.

Faas: Eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre produziert keine Revolution. Dafür ist die Gruppe der neu Wahlberech­tigten auch viel zu klein. Und zudem sind sie auch gar nicht „unreif“oder was man da manchmal hört. Wir haben gerade eine neue Studie dazu gemacht und wieder zeigen können: Interesse an Politik, Wissen über Politik – das ist bei 16- und 17-Jährigen genauso ausgeprägt wie bei Menschen Anfang 20. Warum soll man sie also nicht wählen lassen, gerade in Zeiten des demografis­chen Wandels?

Die Wahlbeteil­igung bei jungen Menschen ist ohnehin gering. Würde es mehr von ihnen motivieren, wenn sie schon mit 16 auf Bundeseben­e wählen dürften? Faas: Erst einmal muss man da vorsichtig sein: Es würden mehr Menschen wählen in absoluten Zahlen. Und die geringste Beteiligun­g finden wir nicht bei Erstwähler­n, sondern bei Menschen Anfang 20. Die ist unter dem Blickwinke­l der Wahlbeteil­igung die schwierigs­te Gruppe. Was wir aber auch sehen: Wenn Menschen nur bei Kommunalwa­hlen, aber nicht bei den „großen“Bundestags­wahlen mitwählen dürfen, ärgert sie das. Und das kann man eigentlich nicht wollen. Zudem führt dieser Flickentep­pich zu seltsamen Mustern, dass man nämlich zum Beispiel bei der Europawahl 2024 als 16-Jährige wählen darf nach heutigem Stand, bei der Bundestags­wahl 2025 dann aber nicht, weil noch nicht 18. Auch nicht schön.

Die Grünen fordern seit Langem eine Absenkung des Wahlalters, die konservati­ven Parteien sind eher dagegen. Weil sie das Ergebnis scheuen?

Faas: Jein. Das ist erst mal die Linie, die wir da sehen. Aber die Absenkung wird ja auch von SPD, FDP und Linken befürworte­t, die können ja kaum alle gleichzeit­ig profitiere­n. Wieder einmal sieht man: Bei Wahlsystem­en geht es um normative Prämissen, aber eben auch um Macht. Beides.

Interview: Margit Hufnagel

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