Neu-Ulmer Zeitung

Krankenkas­sen warnen vor steigenden Beiträgen

Nach der Pandemie und trotz der jüngsten Beitragser­höhung klafft in der Gesetzlich­en Krankenver­sicherung das nächste Milliarden­loch. Kassen und Sozialverb­ände verlangen von der Koalition eine grundlegen­de Reform.

- Von Michael Pohl

Noch nie in den vergangene­n zehn Jahren stiegen die Krankenkas­senbeiträg­e so stark wie zu Jahresbegi­nn. Mit 16,2 Prozent hat der durchschni­ttliche Kassenbeit­rag einen Rekord erreicht. Doch die Krankenkas­sen warnen bereits davor, dass die Beiträge ohne Handeln der Politik kommendes Jahr auf über 18 Prozent steigen könnten, und daran ist ihrer Meinung nicht nur die Inflation schuld.

„2023 erwarten wir einen Anstieg der Ausgaben um rund fünf Prozent, 2024 um weitere vier Prozent“, sagt der Vorsitzend­e des Verbands der Ersatzkass­en, Uwe Klemens. Die sogenannte­n Ersatzkass­en, zu denen beispielsw­eise die Techniker Krankenkas­se, Barmer,

DAK oder KKH gehören, liegen heute zusammenge­nommen mit 28,5 Millionen Mitglieder­n knapp vor den verschiede­nen AOK-Verbänden. Wie alle Krankenkas­sen leiden sie unter der Kostenexpl­osion im Gesundheit­swesen. Mit 12,8 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s gibt inzwischen kein europäisch­es Land mehr Geld für das Gesundheit­ssystem aus als Deutschlan­d. Über 465 Milliarden Euro im Jahr.

Und den Krankenkas­sen drohe für kommendes Jahr ein Defizit „in der Größenordn­ung von 30 Milliarden plus x“, warnt Verbandsch­ef Klemens. Das liege nicht nur an der Inflation, sondern auch daran, dass die Bundesregi­erung immer mehr Leistungen beschließe und den Kassen in Rechnung stelle. Wenn die Regierung nicht handle, entspräche das drohende Defizit einer Beitragsst­eigerung von zwei Prozent, bestätigt Klemens. Die Bundesregi­erung müsse deshalb endlich die Kassen entlasten: Dazu gehöre die Übernahme der zehn Milliarden Euro Gesundheit­skosten für Bürgergeld-Bezieher und die Absenkung der Mehrwertst­euer für Arzneimitt­el auf sieben Prozent, was bis zu sieben Milliarden Euro Entlastung bringen würde.

Rückendeck­ung bekommen die Kassen bei ihren Forderunge­n vom Sozialverb­and Deutschlan­d. „In der gesetzlich­en Krankenver­sicherung hangeln wir uns von einem Jahr zum nächsten“, sagt Vizeverban­dschefin Ursula Engelen-Kefer. „Wir brauchen endlich eine ehrliche, zukunftsor­ientierte Finanzrefo­rm“, fordert die frühere DGB-Vizechefin. „Anstatt die Beitragsza­hlenden zu belasten, muss der Bund endlich seiner Finanzieru­ngsverantw­ortung nachkommen, vor allem bei der Refinanzie­rung versicheru­ngsfremder Leistungen“, betont die Sozialverb­ands-Vertreteri­n. „Eines steht dabei fest: Die Gründe liegen vor allem bei den teuren Gesetzgebu­ngen der vergangene­n Legislatur­periode.“Zum Beispiel müsse beim umstritten­en Terminserv­ice- und Versorgung­sgesetz dringend die Reißleine gezogen werden.

Engelen-Kefer forderte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach auf, bei der geplanten Krankenhau­sreform die starren Grenzen zwischen ambulant und stationär abzuschaff­en. Ganz wichtig sei, dass bei der Reform der flächendec­kende und wohnortnah­e Zugang zu einer qualitativ guten Versorgung für jeden sichergest­ellt bleibe. „Dazu müssen auch die Chancen der Digitalisi­erung endlich voll genutzt werden“, fordert die frühere SPD-Politikeri­n.

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