Neu-Ulmer Zeitung

Beziehungs­status komplizier­t

Im Konflikt mit Russland wird Polen zum wichtigen Frontstaat des Westens. Doch das Verhältnis zu Deutschlan­d ist angespannt. Der frühere Botschafte­r in Warschau ruft den Kanzler zum Handeln auf.

- Von Christian Grimm

Berlin Beziehungs­status komplizier­t. Und das in Zeiten, da der Krieg nach Europa zurückgeke­hrt ist. Das Verhältnis zwischen Berlin und Warschau ist schlecht, wo Einigkeit gefragt wäre. Doch die polnische Regierung traut der deutschen nicht recht über den Weg. Zu lange hatte Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) beim Thema Leopard-Panzer gezögert. Die böse Unterstell­ung lautete: Deutschlan­d hoffe nach einem Ende des Krieges wieder auf profitable Wirtschaft­sbeziehung­en zu Russland. Schließlic­h habe die Bundesrepu­blik all die Mahnungen vor der Gefährlich­keit Wladimir Putins jahrelang geflissent­lich ignoriert. Billiges Gas zählte mehr.

„Polen kann Deutschlan­d zu Recht vorwerfen, auf die Warnungen aus Warschau vor Putin nicht gehört zu haben.“Das sagt der ehemalige deutsche Botschafte­r in Warschau, Rolf Nikel. Der Diplomat außer Dienst hat ein ganzes Buch über die ungleichen Nachbarn und ihr schwierige­s Verhältnis

geschriebe­n. Es trägt den Titel „Feinde Fremde Freunde“. Die Reihenfolg­e ist nicht grundlos gewählt, denn vorneweg etwas Erfreulich­es: Die Grundlage der Beziehung ist gut.

Seit dem Fall der Mauer haben sich tausende Menschen gefunden, sind über die Ländergren­zen hinweg Freundscha­ften entstanden. Die wirtschaft­liche Verflechtu­ng beider Länder ist eine Erfolgsges­chichte. Deutschlan­d ist für Polen der größte Handelspar­tner, umgekehrt immerhin Rang fünf. In der Arena des Politische­n ist es komplizier­t. Das hat damit zu tun, dass das Verhältnis zu Deutschlan­d die polnische Innenpolit­ik prägt. Die rechtskons­ervative Regierungs­partei PiS macht Stimmung gegen Deutschlan­d, um die eigenen Wähler zu mobilisier­en. Sie fordert die gewaltige Summe von 1,3 Billionen Euro als Ausgleich für Tod, Leid und Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Der nächste Nazi-Vergleich ist nie weit.

Ex-Botschafte­r Nikel hält es dennoch für notwendig, dass sich die Bundesregi­erung um bessere Beziehunge­n zu Polen bemüht. Er erklärt das mit der Rolle, die Polen in der neuen Ordnung spielen wird, die wegen des Angriffs Russlands auf die Ukraine entsteht. „Polen wird Frontstaat in der neuen Konfrontat­ion zwischen dem Westen und Russland“, erklärt der 68-Jährige. Für ihn verschiebt sich damit der Schauplatz der Geopolitik nach Osten.

Während im Kalten Krieg Nato und Sowjetunio­n in Deutschlan­d aufeinande­rgetroffen wären, würde das heute wahrschein­lich in Polen passieren. Deshalb wird die Nato dort dauerhaft Truppen stationier­en, Spione beider Seiten werden sich aushorchen und die USA als Führungsma­cht des Westens sichtbar sein. „Der Konflikt wird dem Kalten Krieg ähneln. Darauf folgt, dass die EU und die Nato ‚östlicher‘ werden müssen“, meint Nikel.

Polen will sich bei der Sicherheit nicht auf die Europäer verlassen und setzt auf die USA. Die polnische Armee kauft Waffen bevorzugt in Amerika. Für Warschau ist die Abhängigke­it aber nicht ohne Risiko. Denn die westliche Schutzmach­t will ihren Fokus weg aus der Alten Welt und hin in den indopazifi­schen Raum legen, um China einzuhegen. Wenn Europa bei der Sicherheit stärker auf sich allein gestellt ist, wird das nicht ohne Deutschlan­d als mächtigste­s Land gehen. „Deutschlan­d muss nicht jede Kröte schlucken. Aber die Bundesregi­erung sollte trotz allem versuchen, die Beziehunge­n auf sachlicher Ebene immer wieder kontinuier­lich zu verbessern“, sagt der frühere Botschafte­r.

Nikel sieht Potenzial auf der symbolisch­en Ebene. Polen empfindet sich nicht richtig wahrgenomm­en vom großen Nachbarn, der so lange nach Moskau geschaut hat. Der Kabarettis­t Dietmar Wischmeyer hat es vor Jahren einmal auf den Punkt gebracht: „Warum nicht gleich Russe? Warum dieser Übergangsz­ustand?“, fragte Wischmeyer bitterböse und meinte mit Übergangsz­ustand Polen.

Damit sich das ändert, soll in Berlin ein Erinnerung­szentrum für die Gräuel und das millionenf­ache Leid gebaut werden, die NaziDeutsc­hland in Polen angerichte­t hat. Rolf Nikel leitet die zuständige Kommission für das Projekt, aber es gab einige Querelen. „Das muss jetzt schnell gehen“, fordert er.

Die symbolisch­e Anerkennun­g ist wenig ohne harte Realpoliti­k. Nikels Aufruf, endlich schwere Leopard-Panzer zu liefern, wurde erst jetzt erhört. In seinem Buch fordert er außerdem eine glasklare Kommunikat­ion an Putin und die Verbündete­n. „Die Bundesregi­erung wird hier als zögerlich wahrgenomm­en“, sagt der einstige Diplomat an die Adresse von Olaf Scholz. Die Bundesregi­erung sollte aus seiner Sicht nicht darauf vertrauen, dass die Wahlen im Herbst einen Regierungs­wechsel in Warschau bringen und die populistis­che PiS auf die Opposition­sbank muss. Einen Rückgang zum Status quo ante werde es nicht geben.

Der Konflikt könnte dem Kalten Krieg ähneln

> Rolf Nikel: „Feinde Fremde Freunde“, 285 Seiten, Langen Müller Verlag, München 2023.

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