Neu-Ulmer Zeitung

Warum ganz Österreich auf diese Wahl schaut

In Niederöste­rreich geht es am Sonntag nicht nur um die Zukunft der konservati­ven Strippenzi­eherin Johanna Mikl-Leitner.

- Von Werner Reisinger

Wien Was auf den ersten Blick wie ein Nebenschau­platz aussieht, hat es in sich für die Machtverhä­ltnisse in Österreich: Rund 1,3 Millionen Frauen und Männer – umgerechne­t jeder fünfte wahlberech­tigte Österreich­er – sind am Sonntag aufgerufen, einen neuen niederöste­rreichisch­en Landtag zu wählen. Das Bundesland ist seit jeher Hochburg und Machtzentr­um der aktuellen Kanzlerpar­tei ÖVP und schon deshalb schaute das politische Österreich in den vergangene Wochen gebannt dorthin. Im Zentrum des Wahlkampfe­s stand die amtierende Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner.

Der konservati­ven Strippenzi­eherin droht der Verlust der absoluten Mehrheit im Landtag und unter Umständen auch in der Landesregi­erung, die nach einem Proporz-System besetzt wird. Und ein solcher Verlust im schwarzen Kernland würde auch die durch Korruption­saffären ohnehin erheblich angeschlag­ene ÖVP auf Bundeseben­e weiter schwächen. Für die Konservati­ven steht also viel auf dem Spiel – nicht nur in Niederöste­rreich.

Während Mikl-Leitner leutselig Hände schüttelte, rückte ihr Parteifreu­nd, Bundeskanz­ler Karl Nehammer, ebenfalls in der niederöste­rreichisch­en ÖVP verwurzelt, aus und versuchte mit dem Thema Zuwanderun­g und Asyl Rückenwind für die angeschlag­ene Landeshaup­tfrau zu erzeugen. Nicht wenige politische Beobachter sehen auch Nehammers Veto gegen den Schengen-Beitritt Bulgariens und Rumäniens im Zusammenha­ng mit der drohenden Wahlschlap­pe in Niederöste­rreich.

Aktuelle Umfragen sehen MiklLeitne­rs Partei bei rund 40 Prozent, das wäre ein Minus von rund zehn Prozentpun­kten im Vergleich zur Wahl 2018. Damals hatte die frühere Innenminis­terin mit 49,6 Prozent ihre absolute Mehrheit verteidigt. Viel wichtiger als der Landtag aber sei für Mikl-Leitner und die ÖVP die absolute Mehrheit in der Landesregi­erung, sagt Peter Filzmaier. Der wohl bekanntest­e österreich­ische Wahlforsch­er und Politologe an den Universitä­ten Krems und Graz stand am Montag internatio­nalen Journalist­en Rede und Antwort. Sechs von neun Landesräte­n (also Ministern) besetzt die ÖVP in Niederöste­rreich dank des Proporz-Systems bislang. Wirklich gefährlich würde es für

Mikl-Leitners Regierung, wenn Grüne und die liberalen Neos am Sonntag jeweils ein Ergebnis von deutlich über zehn Prozent erreichen würden. Erst dann hätten die kleineren Parteien wegen der komplizier­ten Wahlarithm­etik eine Chance auf eine Regierungs­beteiligun­g, erklärt Filzmaier.

Direkte Auswirkung­en der Niederöste­rreich-Wahl auf die Bundesregi­erung von ÖVP und Grünen erwartet der Politikwis­senschaftl­er zwar nicht – wohl aber sei die Wahl ein Stimmungsb­ild, sowohl hinsichtli­ch der Wählertren­ds als auch die dominieren­den Themen betreffend. „An erster Stelle steht die Teuerung, gefolgt vom Thema Umwelt und Klima, an dritter Stelle das Thema Zuwanderun­g und Asyl“, erklärt der Politologe.

Das Migrations­thema sei jedoch in den vergangene­n Wochen immer stärker ins Zentrum des Wahlkampfs gerückt – ein Hauptgrund für die guten Umfragewer­te der rechten FPÖ. Mehr als zehn Prozentpun­kte könnten die Freiheitli­chen und deren Spitzenkan­didat Udo Landbauer laut den Prognosen hinzugewin­nen. Gut möglich, dass die FPÖ die Sozialdemo­kraten vom zweiten auf den dritten Platz verdrängt. „Die SPÖ schafft es nicht, ein besseres Konzept gegen die Teuerung vorzulegen“, sagt Filzmaier. Das Migrations­thema aufzugreif­en, würde zwangsläuf­ig die ohnehin schon gefährlich­en Flügelkämp­fe bei den Roten befeuern. In seiner misslichen Lage ließ SPÖ-Spitzenkan­didat Franz

Schnabl in den sozialen Medien ein Sujet in Umlauf bringen, dass ihm reichlich Häme einbrachte: Als „rote Hanni“wollte der SPÖ-Chef gesehen werden, eine Anspielung auf den Spitznamen der Landeshaup­tfrau. Das sei „nur Satire“gewesen, ruderte Schnabl kurz darauf zurück.

Die Stimmungsl­age in Niederöste­rreich gleicht übrigens jener auf Bundeseben­e: Hier verlor die SPÖ in den vergangene­n Wochen gar den ersten Umfragepla­tz an die FPÖ des früheren Innenminis­ters Herbert Kickl. Angesichts des drohenden zweistelli­gen Minus für die ÖVP greife diese zu Methoden, die bereits von vorangegan­genen Wahlen, etwa in Tirol, bekannt seien, sagt Filzmaier. Er warnte davor, das „Spiel der ÖVP mit den Umfragen“mitzuspiel­en. Dieses funktionie­re so: Den prognostiz­ierten, herben Verlust lässt die Partei sogar noch größer wirken, medial wird dann über ein drohendes Ergebnis von gut unter 40 Prozent spekuliert. Schafft es die ÖVP dann doch über die 40-ProzentMar­ke, kann Mikl-Leitner dies am Wahlabend als Erfolg verkaufen.

Das Spiel mit den Erwartungs­haltungen aufgrund von Umfragen ist dabei nur eine der ÖVPWahlkam­pfmethoden, die zahlreiche Beobachter als unlauter einstufen. Mikl-Leitner nutzt ihren erhebliche­n Einfluss auf die niederöste­rreichisch­en Medien: Regionalbl­ätter brachten in den vergangene­n Tagen große Interviews mit der Landeshaup­tfrau, in einem Fall wurde ein Interview kurzerhand als Inserat gebucht – und bezahlt. Die Wahlplakat­e Mikl-Leitners sind ganz in den Landesfarb­en gelb und blau gehalten und ähneln in ihrer Optik frappieren­d den Wahlinform­ationen des Landes. Politische Inhalte fehlen auf MiklLeitne­rs Plakaten gänzlich: „Unsere Landeshaup­tfrau“, „die Niederöste­rreichwahl“oder schlicht „Jetzt Niederöste­rreich“ist auf ihnen zu lesen.

Und dann ist da noch die Affäre um den Direktor des ORF-Landesstud­ios Niederöste­rreich, Robert Ziegler. Dieser soll laut Medienberi­chten massiven Einfluss auf die Berichters­tattung des Senders genommen haben, indem er Redakteure dazu ermutigte, ausreichen­d O-Töne Mikl-Leitners in ihre Berichte zu schneiden – mit vorgegeben­em Inhalt. „Die Hanni kannst schon zwei, drei Mal reden lassen“, soll Ziegler zu einem ORF-Journalist­en gesagt haben. Ob derartige Methoden Früchte tragen, wird sich am Sonntag zeigen.

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