Klimaschutz oder Optik: Was ist wichtiger?
Seit drei Jahren kämpft Michael Breuninger dafür, ein Mini-Kraftwerk auf dem Balkon anbringen zu dürfen. Die Eigentümergemeinschaft des Mehrfamilienhauses stellt sich dagegen. Nun will der Mann Rechtsgeschichte schreiben.
Konstanz Klimakrise weltweit und Klimanotstand vor der eigenen Haustür: Was liegt da näher, als der Umwelt etwas Gutes zu tun und nebenbei den eigenen Geldbeutel zu entlasten? Genau das war der Plan von Michael Breuninger. Der 62-Jährige aus Konstanz investierte in ein Balkonkraftwerk.
3,20 mal 1,10 Meter misst die Anlage, die mithilfe der Sonne Strom erzeugen kann. Im Frühjahr 2020, noch weit vor Ausbruch des Ukraine-Krieges und der explodierenden Energiepreise, wollte er die Anlage installieren. Doch obwohl die Stadt Konstanz das kleine Kraftwerk erlaubt hat, stellte sich die Eigentümergemeinschaft des Mehrfamilienhauses quer. Zunächst lagerte die 1700 Euro teure Anlage ungenutzt auf dem Balkon, danach in einer Halle. „Als der Ukraine-Krieg ausbrach und die Energiekrise nach sich zog, habe ich die Anlage im Mai 2022 aufhängen lassen“, sagt Breuninger. Welchen Ärger er sich damit einhandeln würde, ahnte er damals nicht. Heute sind Breuninger und sein Anwalt Sascha Händle bundesweite Vorreiter und kämpfen gerichtlich um die Genehmigung der Photovoltaik-Paneele. Breuningers Fall wird einer für das Landgericht in Karlsruhe.
„Viele Menschen in ähnlicher Lage warten darauf, dass wir weitermachen. Schließlich tut sich auch bundesweit was in dieser Sache“, sagt er. „Wir sind einfach noch zu früh dran.“Was er damit meint, wurde vor dem Amtsgericht seiner Heimatstadt deutlich. Richter Stefan Schroth stellte gleich zu Beginn der Verhandlung klar: „Vielleicht schreiben Sie in der zweiten Instanz Rechtsgeschichte, aber bei mir nicht.“Schroth scheint es selbst nicht fassen zu können: „Sie glauben gar nicht, was in Deutschland alles beantragt werden muss. Wenn alle Mieter eines Hauses grün-weiße Markisen haben und einer eine blau-weiße will, wird das aus optischen Gründen abgelehnt. Und das Hanseatische Oberlandesgericht, wohlgemerkt, hat entschieden, dass die rote Zipfelmütze eines Gartenzwergs im Grünen auffallend leuchtet und nicht im Garten einer Wohnungseigentumsanlage aufgestellt werden darf.“Auch Katzenzäune und Lichterketten auf Balkonen seien gerichtlich schon kassiert worden.
„Das Problem ist die optische Beurteilung“, erklärt Richter Schroth. „Soll mein schlechter Geschmack darüber befinden, was schön ist und was nicht? Auch die Gerichte haben hier unterschiedliche Meinungen.“Eindeutig sei jedoch, dass Balkonkraftwerke aus der Sicht einiger Eigentümer mit optischer Beeinträchtigung einhergehen. „Aber nicht, dass Sie mich falsch verstehen!“, so der Richter. „Klimaschutz ist super, das ist nicht das Thema.“
Doch für Breuningers Anwalt Sascha Händle ist genau dies der springende Punkt: „In Anbetracht der politisch angestrebten Energiewende und dem Umstand, dass die Stadt Konstanz den Klimanotstand ausgerufen hat, ist es schwer zu vermitteln, dass der Eigentümer keinen Anspruch haben soll, eine Photovoltaikanlage am Balkon anbringen zu dürfen“, sagt Händle. Er ist der Ansicht, dass sich über das Wohnungseigentumsgesetz durchaus ein Anspruch ergibt. Dabei beruft er sich auf einen Paragrafen, der jedem Eigentümer entsprechende bauliche Veränderungen zugesteht, die dem Einbruchschutz, der Barrierefreiheit, dem Anschluss an ein schnelles Kommunikationsnetz und dem Laden von Elektrofahrzeugen dienen. „Dieser Paragraf ist entsprechend dem genannten Hintergrund auszulegen und analog auch auf Balkonkraftwerke anzuwenden, da die Klimaschutzziele politisch gewollt sind“, findet Händle. Der Fall des Konstanzers wird damit also zum Politikum.
Sollte Breuninger in der nächsten Instanz recht bekommen, hätte das Auswirkungen auf Wohnungsbesitzer in ganz Deutschland.
Tatsächlich ist der Staat darauf angewiesen, dass sich seine Bürgerinnen und Bürger aktiv an der Energiewende beteiligen. Mit Ausbruch des russischen Angriffskrieges in der Ukraine setzte ein regelrechter Ansturm auf Balkonkraftwerke ein. Dahinter stecken Mini-Solaranlagen, die sich über eine Steckdose ans Hausnetz anschließen lassen. Mit seiner 600-Watt-Anlage könnte Breuninger 180 Euro Stromkosten im Jahr einsparen. Und CO . Gerade Konstanz
Justizminister setzen sich für geänderte Vorschriften ein
sieht sich gerne als Vorreiter in Sachen Umweltschutz: 1996 wurde hier der erste grüne Oberbürgermeister des Landes gewählt, 2019 rief die Stadt als erste im Land den Klimanotstand aus.
Allein steht Breuninger mit seinem Ansinnen also nicht. Die Justizminister von sieben Bundesländern forderten schon im November 2022, die Installation von Balkonkraftwerken für Wohnungseigentümer und Mieter zu vereinfachen. Ihr Vorstoß liegt nun bei Bundesjustizminister Marco Buschmann. Der Vorschlag ist, das Anbringen von Mini-Solaranlagen auch als privilegierte Maßnahme ins Gesetz aufzunehmen, genau wie den Einbruchschutz, Barrierefreiheit, den Anschluss an schnelle Kommunikationsleitungen und das Laden elektrischer Autos. So hätten Mieter und Eigentümer von Wohnungen einen Anspruch auf die Installation von Balkonkraftwerken.
Eine kleine Genugtuung bleibt Michael Breuninger erst mal: Seine Anlage läuft vorerst allen Widerständen zum Trotz weiter. Der Beschluss der Eigentümergemeinschaft, dass er die Anlage abbauen muss und rechtlich belangt wird, falls er es nicht tut, wurde wegen formaler Fehler nicht anerkannt.