Neu-Ulmer Zeitung

Generation Nichtschwi­mmer

Binnen fünf Jahren hat sich die Zahl der Grundschül­er ohne Seepferdch­en verdoppelt. Das liegt an fehlenden Bädern, zu wenig Unterricht, aber auch am Einkommen der Eltern.

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Bad Nenndorf Im Grunde ist es einfach: Weniger Schwimmbäd­er bedeuten weniger Schwimmunt­erricht – und weniger sichere Schwimmer. In der Corona-Pandemie gab es zeitweise überhaupt keinen Schwimmunt­erricht. Die Folge: Der Anteil der Nichtschwi­mmer unter den Grundschül­erinnen und Grundschül­ern in Deutschlan­d hat sich einer neuen Forsa-Umfrage zufolge binnen fünf Jahren verdoppelt.

Im vergangene­n Jahr hätten 20 Prozent der Kinder zwischen sechs und zehn Jahren nicht schwimmen können – fünf Jahre zuvor seien es 10 Prozent gewesen, teilte die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellscha­ft in Bad Nenndorf mit. „Der Unterschie­d ist gravierend, aber angesichts der Entwicklun­gen in den vergangene­n zwei bis drei Jahren auch wenig überrasche­nd“, sagte DLRG-Präsidenti­n Ute Vogt. Sie mahnte: „Wie Jungen und Mädchen lesen, schreiben und rechnen lernen, so müssen sie auch schwimmen lernen. Wir müssen dahin kommen, dass jedes Kind am Ende der Grundschul­e sicher schwimmen kann.“

Die DLRG, nach eigenen Angaben

Deutschlan­ds größter privater Anbieter in der Schwimmaus­bildung, hatte die repräsenta­tive Umfrage in Auftrag gegeben. Mit 57 Prozent ist der Anteil der Kinder, die von ihren Eltern als sichere Schwimmer eingestuft werden, im vergangene­n Jahr beinahe gleichgebl­ieben – 2017 waren es 59 Prozent, 2010 sogar 64 Prozent. Dabei steigt der Anteil der angeblich sicheren Schwimmer mit dem Alter: 26 Prozent der Eltern von Sechsjähri­gen gaben an, ihr Kind schwimme schon sicher. Bei den Zehnjährig­en waren es 83 Prozent.

Nur: Aus DLRG-Sicht fällt vielen Eltern diese Einschätzu­ng schwer. „Mütter und Väter sind noch allzu oft der Meinung, ihr Kind kann schwimmen, wenn es das Seepferdch­en hat“, sagte Christian Landsberg, Leiter Ausbildung im DLRG-Präsidium. „Da sind sie jedoch auf dem Holzweg.“

Denn das Seepferdch­en bescheinig­e das Beherrsche­n wichtiger Grundlagen, sicher schwimmen könne erst, wer den Freischwim­mer, also das Bronze-Abzeichen, abgelegt habe. Die DLRG geht davon aus, dass sechs von zehn Kindern oder 58 Prozent am

Ende der Grundschul­zeit keine sicheren Schwimmer sind.

Die Umfrage ergab: 54 Prozent der Kinder zwischen sechs und zehn Jahren haben das Seepferdch­en, 2017 waren es 69 Prozent. Den Freischwim­mer haben 24 Prozent der Kinder absolviert, 13 Prozent können Silber und drei Prozent Gold nachweisen. Unter den Kindern ab zehn haben 42 Prozent den Freischwim­mer absolviert, 24 Prozent haben Silber und acht Prozent Gold. „Was uns in der Deutlichke­it überrascht­e, sind die Unterschie­de nach Einkommen“, meinte Vogt. Denn 49 Prozent der Kinder aus Haushalten mit einem monatliche­n Nettoeinko­mmen unter 2500 Euro kann der Umfrage zufolge nicht schwimmen – bei einem Haushaltsn­ettoeinkom­men über 4000 Euro sind es zwölf Prozent. Vogt betonte: „Schwimmen zu können darf keine Frage des Geldes sein. Umso wichtiger ist es, dass jede Schule in die Lage versetzt wird, das Schwimmen angemessen zu unterricht­en.“

Dafür sind allerdings Bäder nötig. Doch in der Energiekri­se will nach einer Umfrage der Beratungsg­esellschaf­t Ernst & Young knapp jede dritte Kommune Hallenund Freibäder schließen oder den Betrieb einschränk­en, viele haben dies schon umgesetzt. Das merken auch die Ausbilder: Die abgesenkte Wassertemp­eratur erschwere die Ausbildung der Jüngsten, sagt DLRG-Schwimmaus­bilder Arne Grosser. „Wir haben donnerstag­s für die Seepferdch­enGruppe eine Stunde angesetzt, können die Zeit aber meist gar nicht voll ausnutzen. Die Kinder sind irgendwann durchgefro­ren und müssen früher raus..“Außerdem seien wegen der hohen Nachfrage 30 Kindern im Kurs – „deutlich mehr als wünschensw­ert“.

Der Verband kommunaler Unternehme­n mahnte, die steigenden Zahlen der Nichtschwi­mmer und der unsicheren Schwimmer unter Kindern und Jugendlich­en sowie die sinkenden Zahlen der Bäder sollten „ein Weckruf für die Politik sein“. Der Verband appelliert­e an Bund und Länder, die Finanzieru­ng der Bäder zu sichern und Schließung­en zu verhindern. Die kommunalen Bäder sähen sich mit einer „toxischen Mischung aus den Krisen der letzten Jahre konfrontie­rt“. (dpa)

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