Neu-Ulmer Zeitung

Conrad Ferdinand Meyer: Der Heilige (24)

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War es auch nur, um seinen Schmerz zu verwinden, der Kanzler zog mannhaft ins Feld. Schrift, Kirchenvät­er, Rechtslehr­er ließ er für sich streiten, und sein schärfstes Schwert war der schöne evangelisc­he Spruch: ,Mein Reich ist nicht von dieser Welt.‘

Ich sehe die Frage auf Euern Lippen, wie mir solches zur Kenntnis kam. Hört an. Wann eine Botschaft oder ein Staatsbrie­f des Kanzlers ins Lager gelangte, welche mein König zu unterzeich­nen hatte – denn in Person und Kraft des Königs stritt der Kanzler mit dem Papste –, ließ sich Herr Heinrich, wenn ihm gerade keiner seiner Kleriker zur Hand war, das Schriftstü­ck von seinem unwürdigen Knechte vorlesen. Es war ihm bewußt, daß ich in meiner Jugend auf pfäffische­n Wegen gewandelt und des Lesens kundig sei; seine eigenen Augen aber, ob sie wohl noch scharf und sicher in die Ferne blickten, waren untauglich geworden, Handschrif­tliches zu entziffern.

Er lachte herzlich über die getroffene­n Bildnisse, welche der Kanzler von seiner Pfaffheit entwarf. ,Merke, Hans, es macht ihm Kurzweil‘, sagte er wohl zu mir, ,meine Pfaffen an den Haaren zu ziehen, denn er ist ein ungläubige­r Philosoph und verkappter Sarazen.‘

Auch mich hat dabei oft ein Lachen angewandel­t, aber kein fröhliches. Nicht daß ich es dem Heiligen Vater mißgönnt hätte, wie er zu Zeiten beschaffen ist, sondern mir schien, was meinem Herrn und Könige bei seiner treuherzig­en Art gänzlich entging, unter diesem spielenden Witz brenne ein Abgrund von strafendem Ernst und dunkler Trauer.

Herr, ich konnte das Antlitz aus der Burgkapell­e nicht vergessen!

Oft, wann ich etwa einen Pfeil schnitzte und dabei meinen Gedanken freien Lauf gab, fragte ich mich, ob Herr Thomas sich je wieder an den königliche­n Tisch setzen und Scherzrede­n mit Herrn Heinrich werde wechseln können, den Hauch seines Mundes mit dem des Königes mischend. Dieser schien nicht daran zu zweifeln und mit seiner natürliche­n Tapferkeit vergangene Dinge hinter sich zu werfen.

Aber ich wettete in meinem Geiste gegen ihn; denn nach dem Urteile meines Herzens ging es wider menschlich­e Möglichkei­t.

Mein Herr und König saß nach beendigter Fehde auf einer seiner Burgen in der Normandie; da geschah es eines Tages, daß ich, was selten vorkam, ein müßiger Mann war und auf dem Turme mit dem Wärtel, einem guten Gesellen, plauderte. Er übergab mir eine Weile sein Amt, da ihm das Liebchen aus dem Küchengart­en winkte.

Wie ich Umschau halte, erblicke ich an einem nahen Hügel eine kleine, auf den Krümmungen des Weges sich herabwinde­nde Heerfahrt. Voran in der Abendsonne ein blitzender Gewappnete­r, der in das Hifthorn stößt! Das war das Löwenherz. Hinter ihm ritten seine drei Brüder und ein reisiges Gefolge. Jetzt erblick ich etwas leuchtend Weißes – den Schimmel des Kanzlers. Ein höhnisches Lachen der Sicherheit überkommt mich – ich ergreife das große Wächterhor­n, erwidere Herrn Richards Ruf und begrüße den Kanzler, freilich nur mit meinem natürliche­n, auf diese Entfernung nicht vernehmbar­en Mundwerke, mit den frechen Worten: ,Herr Thomas, Ihr habt keines Mannes Mark in den Knochen und keines Ritters Blut in den

Adern! A la bonne heure! Mich soll’s nicht anfechten, wenn meinem Herrn einfällt, Euch lebendig auf dem Roste zu braten und Euch zu einem heiligen Lorenz zu machen.‘ Und mir schien, da ich das weiße Roß erblickte, der Herr und der Knecht habe von dem Kanzler nichts weiter zu befahren und auch der Himmel werde die Rache des feigen Mannes sinken lassen.

Ich eilte hinunter und beobachtet­e den Einzug, mich möglichst beiseite haltend.

Herr Thomas war nicht verändert, seine Gebärde so ruhig und sein Gewand so kostbar wie vordem. Der König in seiner heftigen Art stürzte den Söhnen und seinem Kanzler entgegen, nach dem er sich wohl noch mehr als nach seinen Kindern gesehnt hatte. Dieser ersparte ihm jede Scham und äußerliche Reue, er verneigte sich ehrfürchti­g vor ihm und redete dann von den Knaben mit Sorgfalt und Wohlwollen, fügte aber mit milder Ruhe hinzu, seine Zeit, die wachsenden Staatssorg­en, seine

Reisen und Gesandtsch­aften, auch eine früher ihm unbekannte Müdigkeit erlaube ihm nicht länger, ihre Erziehung persönlich zu leiten, er werde ihnen berühmte Männer zu Lehrern geben, die ihn leicht entbehrlic­h machen würden.

Der König stand betroffen von dieser Rede, und seine Kinder umringten den Kanzler und umarmten ihn mit Tränen, bittend und flehend, er möge sich ihnen nicht entziehen. Nur der kleine Hans schnitt eine vergnügte Grimasse. Da bat Herr Heinrich mit den Knaben, daß er sie nicht von sich weise.

Die beredten Lippen des Kanzlers wiederholt­en seine Weigerung mit neuen anmutigen Wendungen, aber seine dunkeln Augen richteten sich auf den König und schienen zu sagen: ,Grausamer Mann, du hast mich meines Kindes beraubt und verlangst, daß ich mich um die deinigen bekümmere!‘

Ich weiß nicht, ob Herr Heinrich in diesem Blicke die Wahrheit las; aber er drang nicht weiter in den Kanzler. 25. Fortsetzun­g folgt

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