Bund nach Streit um Documenta in Zwickmühle
Gutachten betont die Kunstfreiheit
Berlin/Kassel Nach dem Documenta-Skandal ist der Bund gefangen zwischen den Schranken des Grundgesetzes. Ein von Kulturstaatsministerin Claudia Roth in Auftrag gegebenes Gutachten des Berliner Rechtswissenschaftler Christoph Möllers sieht wenig Spielraum für die Grünen-Politikerin und andere staatliche Institutionen. „Die Freiheit der Kunst kann auch in Fällen rassistischer oder antisemitischer Tendenzen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit vor staatlichen Zugriffen schützen“, schreibt Möllers. Der renommierte Rechtsprofessor fasst es in einen Satz: „Das ist der freiheitliche Skandal der grundgesetzlichen Ordnung.“
Dieses Nebeneinander von Sollen und Nicht-Dürfen im Bereich staatlicher Kunstförderung sei „auf den ersten Blick unbefriedigend, es schont aber die Sphären beider Beteiligter“. Möllers erkennt allerdings eine staatliche Pflicht, Kulturinstitutionen grundsätzlich und in spezifischen Konstellationen etwa vor Antisemitismus zu warnen.
Roth sieht entsprechend nur eingeschränkte Einflussmöglichkeiten staatlicher Stellen auf die Präsentation von Kunst. Sie äußerte sich am Dienstag erstmals zum Gutachten über „Grundrechtliche Grenzen und grundrechtliche Schutzgebote staatlicher Kulturförderung“. „Ein wichtiger Punkt in diesem Gutachten, das die Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Eingriffsmöglichkeiten bei öffentlichen Förderungen auslotet, ist, dass es grundrechtlich kategorisch ausgeschlossen sei, künstlerische Programme einer staatlichen Vorab-Kontrolle zu unterwerfen“, sagte Roth. Eine solche Vorprüfung hatte etwa der Zentralrat der Juden gefordert. „Die antisemitischen Vorfälle bei der ,documenta fifteen’ hätten nicht passieren dürfen“, sagte Roth. Um daraus „die notwendigen Lehren zu ziehen“, führe sie zahlreiche Gespräche, etwa mit Vertretern der Jüdischen Gemeinde. Außerdem verwies sie auf ihre Vorschläge für eine Strukturreform der Documenta. (Gerd Roth, dpa)