Im Sumpf der Korruption
Neben dem russischen Angriffskrieg muss der ukrainische Präsident Selenskyj auch gegen korrupte Beamte im eigenen Land kämpfen. Damit kommt er Forderungen der Geldgeber im Westen entgegen. Aber es geht um mehr.
Kiew Während eine internationale Allianz für die militärische Stärkung der Ukraine sorgt, muss sich Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf einem unangenehmen Nebenkriegsschauplatz herumschlagen. Gleich eine ganze Reihe von Korruptionsskandalen erschüttern das kriegsgeplagte Land. Gleich mehrere ranghohe Beamte und Staatsbedienstete müssen gehen, weil sie wegen Korruption oder anderer Vergehen in der Kritik stehen. Unter ihnen sind bisher auch fünf Vizeminister und mehrere Gouverneure.
Im Verteidigungsministerium wurden Medien zufolge Essensrationen für Soldaten deutlich teurer eingekauft als im Einzelhandel. In einem anderen Ministerium flossen angeblich Schmiergelder für den Kauf von Stromgeneratoren. Ein stellvertretender Generalstaatsanwalt ließ sich seinen Urlaub in Spanien offenbar von einem Geschäftsmann aus der Westukraine bezahlen – während viele Ukrainer zum Jahreswechsel mit Geldsorgen, Stromausfällen und
Raketenbeschuss konfrontiert waren. Rausgeworfen hat Selenskyj auch den Vizechef seines Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, weil er mit einem für humanitäre Zwecke im Kriegsgebiet gespendeten Geländewagen unterwegs war und deshalb Kritik auf sich gezogen hatte. Die Entlassung soll wohl verhindern, dass das Präsidentenbüro und der Präsident selbst mit den Ermittlungen und womöglich kommenden Skandalen in Verbindung gebracht werden können.
Der Rundumschlag gegen Korruption fast ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs kommt nicht von ungefähr. Seit langem fordert vor allem die EU, die Milliarden in das Land pumpt, Garantien, dass das Geld bei den Bedürftigen ankommt und nicht in dunklen Kanälen versickert. „Es gibt immer noch Menschen und sogar ganze Gruppen, die glauben, dass sie stehlen können, während das Land ausblutet“, schrieb etwa der prominente Enthüllungsjournalist Mychajlo Tkatsch in einem offenen Brief an Selenskyj.
Die auf den Kampf gegen Korruption spezialisierte Organisation Transparency International führt die Ukraine in ihrer Liste auf Platz 122 unter den 180 Staaten. Wie in vielen anderen früheren Staaten der vor gut 30 Jahren aufgelösten Sowjetunion, ist auch in der Ukraine die Schmiergeldkultur fest etabliert. Viele Ukrainer verdächtigen ihre Politiker, sich an den Hilfsgeldern der EU, der USA und aus anderen Staaten persönlich zu bereichern.
Vor der Präsidentenwahl im kommenden Jahr will Selenskyj sein früheres Versprechen einhalten und gegen die Bereicherung im Amt vorgehen. Damit dürfte er vor allem auch den Schaden für sich begrenzen wollen, weil nach fast vier Jahren an der Macht aus Sicht vieler Wähler immer noch zu wenig auf diesem Feld passiert ist. Vor allem aber will Selenskyj wohl auf die EU zugehen, die den Kampf gegen Missbrauch öffentlicher Gelder zur Grundbedingung für eine spätere Mitgliedschaft des Landes gemacht hat.
Aus Sicht von Transparency International gibt es noch sehr viel zu tun im Land. „Wir haben den ganzen Wiederaufbau vor uns, der, neben anderen Dingen, Korruptionsrisiken birgt“, sagte der Leiter der Organisation in Kiew, Andrij Borowyk. Transparency fordert auch, dass Abgeordnete, Minister und Richter wieder verpflichtet werden sollen, die aktuell ausgesetzten elektronischen Erklärungen über ihr Vermögen abzugeben. Dadurch würden Ermittlungen derzeit behindert.
Die Entlassungswelle ins Rollen brachte ein Bericht der Internetseite Dserkalo Tyschnja. Demnach hatte das Verteidigungsministerium Ende Dezember neue Verträge für die Armeeverpflegung zu weit überhöhten Preisen abgeschlossen. Besonders ins Auge stachen dabei die Eierpreise: statt umgerechnet 11 Cent pro Stück, wie auf Märkten in der ohnehin teuren Hauptstadt Kiew, sollte die Armee 39 Cent bezahlen.
Die Aktivität der Antikorruptionsbehörden dürfte besonders aufmerksam im Westen verfolgt werden. Wegen kriegsbedingter Steuerausfälle und militärischer Mehrausgaben wird inzwischen gut die Hälfte des ukrainischen Staatshaushalts mit westlichen Geldern finanziert. Auch die Regierungen der EU-Staaten und in den USA haben ein Interesse daran, Missbrauch zu verhindern. (dpa)