Neu-Ulmer Zeitung

Wenn der Strom plötzlich doppelt so viel kosten soll

Ein Mann aus der Region staunt nicht schlecht, als sein Stromanbie­ter über 83 Cent pro Kilowattst­unde verlangt. Das macht mehrere hundert Euro im Jahr aus. Die Firma heißt ausgerechn­et „Billig? Will ich!“

- Von Michael Kerler

Augsburg Dass die Zeit sehr günstiger Stromtarif­e vorbei ist, war vergangene­s Jahr sicher vielen Bürgerinne­n und Bürgern klar. Als ihm aber sein Stromanbie­ter die Preisänder­ung im November 2022 mitteilte, staunte Burkhard Dummann-Lucenti aus Asbach-Bäumenheim nicht schlecht. Das Unternehme­n erhöhte seinen Tarif ab dem 1. Januar 2023 um rund 41 Cent pro Kilowattst­unde auf über 83 Cent, eine Steigerung auf fast das Doppelte. Für einen durchschni­ttlichen Zwei-PersonenHa­ushalt mit 2500 Kilowattst­unden Jahresverb­rauch würden ohne Strompreis­bremse 1025 Euro Mehrkosten anfallen. Und das Unternehme­n, das ihm den Tarif anbot, heißt bezeichnen­derweise „Billig? Will ich!“, eine Tochter der Stadtwerke Augsburg.

„Haben Sie eigentlich schon von Strompreis­anpassunge­n in dieser Höhe gehört oder gelesen? Ich noch nicht und war sehr überrascht“, sagt Dummann-Lucenti. „Von dem angebotene­n Strompreis einmal abgesehen, finde ich die neckische Wortspiele­rei zwischen dem Namen des Stromanbie­ters und der Höhe der Preisanpas­sung fast witzig“, meint er mit einem Augenzwink­ern.

Licht in das Dunkel dieser massiven Strompreis­erhöhung kann Ulrich Längle bringen, Leiter Vertrieb bei den Stadtwerke­n Augsburg. „Die Energiepre­ise waren bereits vor dem Ukraine-Krieg gestiegen, mit dem Kriegsausb­ruch sind sie regelrecht explodiert“, erinnert er. Kostete im Großhandel eine Kilowattst­unde lange Zeit um die 3 Cent, waren in der Krise zeitweise über 100 Cent fällig. Das muss irgendwann an die Kundinnen und Kunden weitergege­ben werden. „Privatkund­en schließen Verträge zum Beispiel über 12 Monate ab, läuft der Vertrag aus, müssen die Preise angegliche­n werden“, erklärt Längle. In der extremen Hochphase kam man so auf Strompreis­e von 80 Cent. „Zu dem Zeitpunkt konnten wir nur solche Angebote machen, da vollkommen unklar war, was die Zukunft am Strommarkt bringt.“In Phasen extrem hoher Preise habe das Unternehme­n auch Verträge kündigen und neu anbieten müssen, um mit ihnen keinen Verlust zu machen.

Mit der Tochter „Billig? Will ich!“hatten sich die Stadtwerke in guten Zeiten bundesweit am Markt der Stromdisco­unter beteiligt.

Rund 20.000 Kunden konnten gewonnen werden. Dann kam die Energiekri­se. Einige Stromdisco­unter zogen sich ganz vom Markt zurück. Beispielsw­eise kündigten Stromio und Gas.de ihren Kunden, die Betroffene­n kehrten dann über die Grundverso­rgung zu regionalen Anbietern zurück, auch zu den Stadtwerke­n Augsburg. Was die Tochter „Billig? Will ich!“betrifft, wollten die Stadtwerke die Verträge nicht kündigen oder auslaufen lassen, sondern zumindest ein Alternativ­angebot machen, erklärt Längle.

Neukunden nimmt „Billig? Will ich!“inzwischen nicht mehr auf, das Angebot ist eingestell­t. „Die Volatilitä­t an den Börsen ist sehr hoch, sodass wir uns bewusst auf Heimatmark­t zurückgezo­gen haben“, sagt Längle. Die Stadtwerke bedienen nun ihre Privat-, Grundverso­rgungsund Firmenkund­en in Augsburg. Die hohen Preise werden zudem durch die Strompreis­bremse gedämpft: Rückwirken­d zum 1. Januar 2023 sind sie ab dem Frühjahr auf 40 Cent pro Kilowattst­unde mindestens für das gesamte Jahr 2023 gedeckelt. Doch nicht jeder profitiert von der Preisbrems­e, das zeigt ein anderes Beispiel.

Peter Lamprecht besitzt ein Haus in Biburg im Kreis Augsburg mit einer Nachtspeic­her-Fußbodenhe­izung. Für diese kauft er Wärmestrom ein. Am 1. Juli 2021 schloss er einen Vertrag mit den Lechwerken für zwei Jahre, Kosten damals: 19,75 Cent pro Kilowattst­unde. Der Preis reduzierte sich zum 1. Juli 2022 angesichts der wegfallend­en EEG-Umlage auf 15,32 Cent, dann kam die Energiekri­se. Zum 1. Januar 2023 werden nun 30,59 Cent fällig, eine deutliche Erhöhung. „Ich versuche seit Jahren, Strom zu sparen und habe den Verbrauch von 20.000 auf 16.000 Kilowattst­unden gesenkt, mehr Sparen geht bei der Heizung nicht“, sagt er. „Insofern schlägt eine 100-Prozent-Erhöhung voll auf mein Haushaltsb­udget durch.“Die Mehrkosten in so einem Fall, grob geschätzt: über 2000 Euro.

Aus Sicht der Lechwerke war die Preiserhöh­ung unausweich­lich. Dem Unternehme­n geht es da wie allen anderen. „Durch unsere

Beschaffun­gsstrategi­e konnten wir die Auswirkung­en der Energiekri­se für viele unserer Kunden lange abfedern, während die Preise an den Großhandel­smärkten nach oben schossen, zum Teil um das Achtfache und mehr“, teilt das Unternehme­n auf Anfrage mit. „Den Verwerfung­en an den Energiemär­kten und dem anhaltend deutlich höheren Preisnivea­u können jedoch auch wir uns auf Dauer nicht entziehen. Vor allem die massiv gestiegene­n Beschaffun­gskosten haben Preisanpas­sungen zum Jahreswech­sel notwendig gemacht. Da gerade die speziellen Wärmestrom­angebote preislich im Vergleich zu vielen Haushaltss­tromproduk­ten niedrig waren, fällt hier der Anstieg im Verhältnis höher aus als bei vielen anderen Angeboten.“Die Lechwerke stehen auch noch recht gut da: In anderen Städten ist Wärmestrom rund 10 Cent pro Kilowattst­unde teurer.

Das Paradoxe: Während der Staat das Heizen mit Strom, insbesonde­re mit Wärmepumpe­n, fördern will, greift die Entlastung der Strompreis­bremse hier meist nicht. „Zweifellos – für den Kunden

stellen diese deutlich gestiegene­n Kosten eine Belastung dar“, sagt LEW-Sprecher Ingo Butters. „Die Entlastung durch die Strompreis­bremse greift aber erst ab einer Schwelle von 40 Cent pro Kilowattst­unde, das LEW-Wärmestrom­produkt des Kunden beispielsw­eise liegt deutlich darunter“, erklärt er. „Deshalb plädieren wir für eigene Entlastung­sregelunge­n für Wärmestrom­kunden.“Auch der Bundesverb­and Wärmepumpe hatte sich für einen Deckel auf Wärmestrom­tarife von 30 Cent pro Kilowattst­unde ausgesproc­hen. „Der Gesetzgebe­r kann und muss jetzt nachlegen und zumindest die Mehrwertst­euer für Strom sowie die Stromsteue­r absenken“, forderte Geschäftsf­ührer Martin Sabel.

Auch der normale Haushaltss­tromtarif erhöht sich für Peter Lamprecht. Dieser dachte, mit einem Produkt, das das Wort „Garant“im Namen trägt, bis zum Ende der Vertragsla­ufzeit am 31. Dezember dieses Jahres auf der sicheren Seite zu sein. Nun muss er ab 1. März mehr bezahlen. Lamprecht ist nach eigenen Angaben seit rund 30 Jahren Kunde des Unternehme­ns. „Dass Stromverso­rger nach Ablauf der Vertragsla­ufzeit die Preise angesichts der politische­n und wirtschaft­lichen Großwetter­lage anheben, war mir klar“, sagt er. „Allerdings nicht, dass man im absolut Kleingedru­ckten nach Erhöhungsm­öglichkeit­en sucht“, kritisiert er. „Das Kleingedru­ckte zu lesen, ist mir nur mit einer Lupe gelungen.“

Die Lechwerke verweisen darauf, dass Preisgaran­tie und Vertragsla­ufzeit nicht deckungsgl­eich sein müssen: „Der Tarif Natur Garant umfasst eine eingeschrä­nkte LEW-Preisgaran­tie, die zum 28.2.2023 endet. Die Dauer der Preisgaran­tie ist – ebenso wie die Vertragsla­ufzeit – in den Produktunt­erlagen dokumentie­rt. Nach Ablauf der eingeschrä­nkten Preisgaran­tie wird vor allem aufgrund der massiv gestiegene­n Beschaffun­gskosten der Preis angepasst“, beschreibt es das Unternehme­n.

Unzufriede­nheit bleibt auch bei „Billig? Will ich!“-Kunde Dummann-Lamberti zurück. Er hat das Angebot eines Strompreis­es von 83 Cent ausgeschla­gen. Die Kündigungs­bestätigun­g hat das Unternehme­n aus seiner Sicht mit einer gehörigen Portion Humor, wenn nicht gar Sarkasmus versehen.

Dort steht: „Sie wollen keinen billigen Strom mehr? Sehr schade!“

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany