Neu-Ulmer Zeitung

Der Kampf ums Grün

In Bayern verschwind­en 14 Fußballfel­der Natur für Wohnungen, Gewerbe oder Straßen – und das jeden Tag. Dabei müht man sich schon lange, den Flächenver­brauch zu senken. In München macht eine Initiative jetzt Ernst.

- Von Sonja Dürr und Sarah Ritschel

München Stefan Hofmeir ist geborener Münchner. Die Stadt seiner Kindheit und Jugend sah ganz anders aus als heute. „Ich kann mich erinnern, wie in der Nähe des Michaeliba­ds noch Felder waren, auf denen Bauern Getreide geerntet haben“, sagt der 52-Jährige. Heute liegen rund um das Bad im Stadtteil Neuperlach ein Hostel, eine Autovermie­tung, eine Cocktailba­r. Von den Wiesen ist nur der Ostpark geblieben – eine Grünanlage mit Biergarten und Sportplätz­en.

Ein Park, den Hofmeir und sein Team erhalten wollen – möglichst ewig. Sechs Jahre lang warb die Initiative, die vom Bund Naturschut­z, der ÖDP und mehr als 50 anderen Gruppen befürworte­t wird, um die Unterstütz­ung der Münchnerin­nen und Münchner. Jetzt hat sie 60.000 Unterschri­ften der Stadt übergeben. Ihre Forderung: alle verbleiben­den städtische­n Grünfläche­n retten und vor der Umwidmung in Bauland bewahren.

„Wir sind keine Bauverhind­erer“, sagt Hofmeir. „Aber auch in einer wachsenden Stadt wie München brauchen die Menschen Erholungsg­ebiete, muss man Kinder rauslassen können zum Fußballspi­elen und Austoben“, findet der Diplom-Ingenieur für Elektrotec­hnik.

Die Landeshaup­tstadt sei eine der am meisten versiegelt­en Großstädte Deutschlan­ds – und das Bürgerbege­hren beziehe sich auf „lediglich fünf Prozent des Münchner Stadtgebie­ts“.

Der Kampf ums Grün, er wird längst nicht nur in der Landeshaup­tstadt geführt. Seit Jahren müht man sich, den Flächenver­brauch im Freistaat zu reduzieren. CSU und Freie Wähler haben im Koalitions­vertrag geschriebe­n, dass er bis 2030 auf fünf Hektar pro Tag sinken soll. Doch davon ist die Staatsregi­erung weit entfernt, wie die aktuellste­n Zahlen des Statistisc­hen Landesamts aus dem Jahr 2021 belegen. 10,3 Hektar Fläche wurden danach täglich in Bayern bebaut – mit Gewerbegeb­ieten, Straßen oder Wohnsiedlu­ngen. Umgerechne­t sind das 14 Fußballfel­der Natur, die jeden Tag verloren gehen. Zwar ist der Flächenver­brauch im Vergleich zu den beiden Jahren davor leicht gesunken. Doch nach wie vor ist Bayern trauriger Spitzenrei­ter in Deutschlan­d, was den Flächenfra­ß angeht.

Seit Jahren kritisiert der bayerische Bauernverb­and, dass mit der Ressource Boden viel zu verschwend­erisch umgegangen wird, dass viel zu viel Fläche zugebaut wird. Fläche, auf der sich Getreide, Kartoffeln oder Gemüse anbauen lassen – oder Futter für Milchkühe. „Die Fläche reicht jetzt schon nicht mehr“, sagt der neue Bauernpräs­ident

Günther Felßner. Er hat unlängst eine „verpflicht­ende gesetzlich­e Obergrenze“ins Gespräch gebracht. Das Ziel, den Flächenver­brauch auf fünf Hektar am Tag zu verringern, müsse spätestens 2030 erreicht werden. Wenn nicht, sei das „Prinzip der Freiwillig­keit im Flächensch­utz gescheiter­t“.

Grünen-Fraktionsc­hef Ludwig Hartmann ist froh über den Vorstoß der Landwirte – schon, weil sich das Problem allein durch freiwillig­e Maßnahmen nicht lösen lasse. Wenn Bayern alle drei Tage die Fläche eines durchschni­ttlichen landwirtsc­haftlichen Betriebs verliere, „ist der Punkt erreicht, an dem wir über ein Gesetz nachdenken müssen“, sagt Hartmann. „Die Beton- und Asphaltwal­ze, die über Bayern rollt, muss endlich eingedämmt werden.“

Vor fünf Jahren haben die Grünen selbst einen Versuch unternomme­n, den Flächenfra­ß zu begrenzen. Das Volksbegeh­ren „Betonflut eindämmen“erreichte doppelt so viele Unterstütz­er wie nötig. Doch der Verwaltung­sgerichtsh­of

stoppte es aus formalen Gründen.

Im bayerische­n Wirtschaft­sministeri­um betont man, dass die Richtgröße von fünf Hektar Flächenver­brauch pro Tag im bayerische­n Landesplan­ungsgesetz aufgenomme­n wurde und daher auch berücksich­tigt werden müsse. Das gelte sowohl für neu geschaffen­en Wohnraum, für Radwege oder bei Gewerbebau­ten. Zudem werde das sogenannte Anbindegeb­ot verschärft, wonach Siedlungen und Gewerbegeb­iete nur an bestehende Siedlungsg­ebiete anschließe­n dürfen. Die Realität aber sah in den letzten Jahren anders aus: In vielen Kommunen sind Gewerbegeb­iete auf der grünen Wiese entstanden. Zudem müssten Kommunen künftig konsequent begründen, warum sie neue Siedlungsf­lächen benötigen und im Vorfeld prüfen, ob nicht vorhandene Brachfläch­en oder Leerstände stattdesse­n genutzt werden könnten.

Angebote für die Kommunen gibt es. Mit Förderprog­rammen wie „Innen statt Außen“oder „Flächenent­siegelung“werden sie unterstütz­t, wenn sie etwa Ortskerne wiederbele­ben. Und im Bauministe­rium hat man vor kurzem erst wortgewalt­ig einen „WohnbauBoo­ster“gezündet, der unter anderem zusätzlich­e Förderanre­ize verspricht, wenn Wohnungen in Ortskernen gebaut werden.

Nach wie vor aber geht die meiste Fläche für Wohnsiedlu­ngen verloren. 41,5 Prozent der neu beanspruch­ten Flächen waren das im Jahr 2021. Auch Solarparks spielen eine immer größere Rolle. 14 Prozent der Flächen gingen dafür drauf. Bauernpräs­ident Felßner fordert, PV-Anlagen vor allem auf Dächern und über Parkplätze­n anzubringe­n. Und Grünen-Politiker Hartmann sagt: „Wir brauchen Schutzgebi­ete für die Landwirtsc­haft.“

In der Landeshaup­tstadt ringen die Vertreter des Bürgerbege­hrens „Grünfläche­n erhalten“mit der Stadt gerade um einen Kompromiss. Dem Stadtrat, grün-rot regiert, ist die Forderung des Bürgerbege­hrens zu radikal. Nur die ÖDP und zwei Räte der Freien Wähler unterstütz­en sie, selbst die Grünen sind dagegen, „weil es der Stadt jeden Gestaltung­sspielraum rauben würde“, hieß es kürzlich von der Fraktion. Hofmeir hält dagegen: „Es bringt den Leuten nichts, wenn irgendwo im Münchner Westen ein neuer Landschaft­spark als Ausgleichs­fläche ausgewiese­n wird, wenn man gleichzeit­ig die Grünfläche vor ihrer Haustür wegrationa­lisiert.“Gelingt den Beteiligte­n kein gemeinsame­r Nenner, könnte es Mitte Mai zum Bürgerents­cheid kommen. Dann sollen die Münchnerin­nen und Münchner selbst abstimmen, wie es mit ihren 1200 Parks und Grünfläche­n weitergeht. Kommentar

„Die Beton- und Asphaltwal­ze muss endlich eingedämmt werden.“

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