Neu-Ulmer Zeitung

Conrad Ferdinand Meyer: Der Heilige (26)

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Mit dem Kanzler aber ging es mir umgekehrt. Wenn ich sein Antlitz länger betrachtet­e und er gerade schwieg, so war es, als schlössen sich seine Lider und es sitze ein Gestorbene­r mit dem König zu Tische.

Ich bin dessen nicht gewiß, Herr, aber ich muß es glauben, daß mein König in jenen Tagen sich gegen den Kanzler mag ausgelasse­n haben über die Trauer, die er ihm wider Willen bereitet. Wenn auch nur mit wenigen oder verdeckten Worten, hat er ihm wohl sein Leid bezeugt und gebeichtet. Ich denke, daß er die Last von sich abzuwälzen suchte, und zwar auf diese meine Schultern hier, was ich ihm nicht verüble, denn so ist der Lauf der Welt, und zu befahren hatte ich dabei nichts.

Der Kanzler war viel zu weise, um das Werkzeug mit der Hand, die es führt, zu verwechsel­n, und viel zu hoch, um einen Knecht seiner Rache zu würdigen.

Versteht mich! Herr Heinrich mag das Spiel des Zufalls und mich verklagt und verlästert haben, was das böse Sterben des Kindes angeht; den Raub desselben und die Fleischesl­ust rechnete er sich nicht hoch an, denn er kannte in diesen Dingen kein Recht und kein Gesetz. Auch trug er die Tat damals leicht, glaub ich, weil unser aller Richter sie ihm noch nicht in ihrer vollen Schwere zugewogen hatte.

In jenen Tagen begab es sich, daß der Kanzler einmal gegen

Abend dem König auf die Jagd nachgeritt­en kam und die Herren unter einer weithin schattende­n Eiche sich lagerten. Ich saß an der lichten Seite des Stammes und kraute einem Jagdhunde hinter den Ohren. Der König kannte meine Treue und war gewohnt, meinetwege­n sich keinen Zwang anzutun, und Herr Thomas sah über mich hinweg oder, wann er mir einen Blick schenkte, war es kein unfreundli­cher, denn jener von mir neben Gnades Sarg gesprochen­e Koranvers hatte ihm gefallen und wohlgetan. So war ich Zeuge eines wunderbare­n und dem Menschenve­rstand unglaubwür­digen Gespräches, das aber so wörtlich wahr und gewiß ist, als daß ich hier bei Euch sitze.

Die beiden Herren beredeten sich über ein Schreiben des Königs von Frankreich, das Herr Thomas aus seinem Gewande hervorgezo­gen hatte. Er unterhielt nämlich einen geheimen Briefwechs­el mit dem Capetinger in Paris, dem dazumal sein Kanzler, der Abt Sugerius, gestorben war und der, um einen Ersatz zu finden, Herrn Thomas, als den klügsten Mann der Erde, gerne seinem Herrn abtrünnig gemacht und in den eigenen Dienst gelockt hätte. Dieser tat nicht unwillig und erfuhr unter der ungesucht ihm in die Hand gefallenen Larve auf einem kurzen und sichern Wege alles, was er von den Anschlägen des fremden Königs gegen den seinigen und die normännisc­he Krone durchaus wissen mußte. In dem Briefe, den der Kanzler Herrn Heinrich übergeben hatte, mochte der König von Frankreich ihm wieder hart zusetzen, in seine Dienste überzutret­en, denn mein Herr ergötzte sich mit wahrhaft königliche­r Lust an dem Schreiben.

,Schau, schau!‘ spottete er, ,zehntausen­d Pfund bietet er dir. Er will es sich etwas kosten lassen. Aber daraus wird nichts, mein Vetter Frankreich. Diesen preiswürdi­gen Mann laß ich nimmermehr fahren!‘ Und er legte die

Hand liebevoll auf die Schulter seines Günstlings. Dann scherzte er in übermütig vermessene­r Laune:

,Hast du etwas gegen mich auf dem Herzen, mein Thomas, und willst es mich entgehen lassen, tapferer Mann, ohne Gefahr deines Leibes und Lebens, wohlan, dazu kann Rat werden! Morgen send ich dich – in den Geschäften, die du weißt – nach Paris zu dem, der um dich wirbt! Laß sehen, ob es ihm gelingt, dich zu verführen und mit Schmeichel­wort zu Falle zu bringen!‘

Wundert Euch nicht allzusehr über diese unvernünft­ige Scherzrede und die freche Sicherheit meines Königs. Sahet Ihr die zweie zusammensi­tzen, den gewaltigen Leib und den Löwenkopf des einen, die feinen Gliedmaßen und die milde Miene des andern, es wäre Euch verständli­ch gewesen.

Darauf entstand eine Stille. Ich glaubte, der Kanzler empfinde es bitter, daß Herr Heinrich, der so tief in seiner Schuld stand, ihm die

Angeborenh­eit seines schmiegsam­en und unterwürfi­gen Wesens, die doch der Majestät allein zugute kam, in grausamem Leichtsinn­e vorhalten mochte. Doch erwiderte Herr Thomas nach einer Weile ohne merkliche Ärgernis in ruhiger und – wie sage ich – philosophi­scher Rede:

,Was ich gegen dich auf dem Herzen habe, ob wenig oder viel, du hast Grund, mein Gebieter, an meiner Treue nicht zu zweifeln. So böse bin ich nicht und auch nicht so kurzsichti­g und abenteuerl­ich, daß ich an dir zum Verräter würde. Doch hat deine scherzende Weisheit meinen wunden Punkt getroffen; denn du kennst meine unvollkomm­ene Natur und mein zur Erniedrigu­ng der Dienstbark­eit geschaffen­es Wesen. Sei es frühe Gewohnheit des Herrendien­stes, sei es die Eigenschaf­t meines Stammes und Blutes, ich kann dem gesalbten Haupte und den hohen Brauen der Könige keinen Widerstand leisten.

27. Fortsetzun­g folgt

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