Neu-Ulmer Zeitung

Das illegale Rennen, das keins gewesen sein soll

Im April 2022 bretterte ein damals 18-Jähriger mit über 100 Sachen gegen drei Häuserfron­ten am Lederhof in Ulm. Der Vorwurf des illegalen Rennens hielt vor Gericht nicht stand.

- Von Oliver Helmstädte­r

Ulm Am Ende der achtstündi­gen Verhandlun­g wirkte Richter Stefan Adamski ein wenig ratlos. Im Fall um das vermeintli­che illegalen Autorennen am Lederhof in Ulm hatte er gerade ein mildes Urteil gefällt. „Illegale Autorennen sind nun mal schwer nachweisba­r“, sagte er. Und so auch in diesem Fall, der sich am 25. April vergangene­n Jahres nach 23 Uhr zutrug. Klar war nur der Sachschade­n: 250.000 Euro.

Das war geschehen: Ein damals 18 Jahre und drei Monate alter junger Mann aus dem Kreis Neu-Ulm raste mit seinen zwei Mitfahrern durch Ulm, jene berühmt-berüchtigt­e Runde um den Ulmer Altstadtri­ng. Etwa auf Höhe des Neuen Baus muss er fast Vollgas gegeben haben. Adamski: „Er hat wie ein Wahnsinnig­er beschleuni­gt.“Denn anders wäre es kaum möglich gewesen, dass sein Audi mindestens 101 Kilometer pro Stunde schnell war, als er den ersten von vier Pollern umfuhr, beziehungs­weise aus den Fundamente­n hob. Auf „mindestens 101 km/h“kam ein Dekra-Unfallsach­verständig­er, der die Unfallspur­en sowie Daten der Bordtechni­k analysiert­e.

Das Auto touchierte mehrere Geschäftsf­ronten und wurde durch die Poller auf 92 Sachen abgebremst, dann kam ein untermauer­tes Schaufenst­er eines Modefachge­schäfts, das die Fahrt auf 58 km/h abbremste. In Mitleidens­chaft gezogen wurde noch ein Barber-Shop und ein Spielcasin­o. Zum Stehen kam das Auto am Lederhof, kurz vor dem XinedomeKi­no. Wäre das Auto ein paar Meter früher im Döner-Laden eingeschla­gen, oder wären mehr Passanten unterwegs gewesen, hätte es mehrere Tote gegeben. Da waren sich Richter Adamski und Amtsanwält­in Monika Traub einig.

In der Anklage stand der Verdacht eines verbotenen Kfz-Rennens. Ein Straftatbe­stand, der insbesonde­re aufkam, weil ein NeuUlmer Pärchen das verunfallt­e Auto und einen BMW zuvor an der Ampel am Ulmer Theater/Olgastraße beobachtet hatte. Die Beiden saßen selbst im Auto an der

Ampel in der Wengengass­e und wunderten sich noch über „diese Idioten“. Dann suchte und fand das Paar im Hafenbad einen Parkplatz. Die 22-Jährige hörte dann einen Knall, „als hätte jemand die Schallmaue­r durchbroch­en“, wie sie als Zeugin aussagte. Zufällig kamen sie und ihr 29-jähriger Lebensgefä­hrte an der Unfallstel­le vorbei, denn der dortige Döner-Laden sei einer der wenigen in Ulm, der um diese Zeit noch geöffnet hat. Dann sahen sie: Das waren die Raser vor der Ampel am Theater. Denn der andere „Raser“war zur Unfallstel­le gekommen, um zu helfen.

Den Ursprung hatte der Unfall am 18. Geburtstag jenes BMWFahrers am Tag des Unfalls. Sie trafen sich in der Zeit des Ramadan zum Fastenbrec­hen in der Frauenstra­ße, „chillten“, „hingen herum“. Und wollten dann ShishaTaba­k an einer Tankstelle in der Blaubeurer Straße kaufen. Zwei Autos waren auf dem Weg dorthin: Der Unfall-Audi mit Beifahrer und Freund auf dem Rücksitz, sowie jener BMW des Jubilars samt Beifahrer und ebenfalls einem Kumpel im Fonds. Mit einem gut gebügelten hellblauem Hemd saß der jüngere der 18-Jährigen auf der Anklageban­k. Niemals habe er an diesem Tag den Gedanken gehabt, ein Autorennen

zu fahren. Er sei einfach glücklich gewesen an seinem Geburtstag, dass er überhaupt fahren dürfe. Sein Kumpan, der Unfallveru­rsacher, schwieg. Ließ aber über seinen Anwalt eine Erklärung verlesen. Mit dem Auto der Mutter sei er unterwegs gewesen. Ein Rennen sei er nicht gefahren. Doch als er nach dem ADAC-Gebäude gegenüber der Wengengass­e Gas gegeben habe, sei ihm die Kontrolle über sein Fahrzeug entglitten. Die Folgen sind bekannt.

An dieses Drehbuch hielten sich sämtliche Mitfahrer. Die des Unfall-Audis, und die des BMWs. Vor allem im BMW sei alles „ganz normal“ gewesen. Alle hätten sich eher auf die Handys konzentrie­rt, nicht auf die Fahrt. Beifahrer und der Freund auf dem Rücksitz merkten freilich schon, dass der Fahrer schnell unterwegs war. Doch von einem Rennen könne keine Rede sein, so der Tenor. Alle betonten auch noch, dass sie in der Neuen Mitte vorschrift­smäßig Fußgänger den Vortritt ließen.

Die beiden Zeugen aus NeuUlm hingegen gaben zu Protokoll, dass sie an der Theaterkre­uzung quietschen­de Reifen hörten. Beide beschriebe­n sich als Autofans, hätten durch ihre Vorlieben in der Vergangenh­eit durchaus Einblick in die Tuning- und Poser-Szene. Die treffe sich gerne auf dem Parkplatz eines Baumarkts in der Blaubeurer Straße, um dann Runden um den Ulmer Altstadtri­ng zu drehen. Doch ihre Beobachtun­g reichte weder dem Richter noch der Amtsanwält­in,

Feixende Zeugen im Zuschauerr­aum stören den Richter

um den Vorwurf des illegalen Rennens aufrecht zu halten. Schließlic­h hatte das Paar „nur Einblick auf einen kleinen Abschnitt der vermeintli­chen Rennstreck­e“.

Der BMW-Fahrer muss lediglich einen Kurs für Führersche­inanfänger belegen, um verkehrsps­ychologisc­h sensibilis­iert zu werden. Seinen Führersche­in bekam er zurück. Ganz im Gegensatz zum Unfallveru­rsacher: Der hat seine bereits eingezogen­e Fahrerlaub­nis weitere zwölf Monate weg und bekommt sie nur nach Bestehen der MPU (Medizinisc­h-Psychologi­sche Untersuchu­ng). Zudem muss er 2000 Euro an die Verkehrswa­cht zahlen, ganz zu schweigen von kommenden zivilrecht­lichen Forderunge­n der Inhaber der beschädigt­en Geschäfte. Das Urteil ist nicht rechtskräf­tig.

Die feixenden Zeugen im Zuschauerr­aum und auch auf den Gängen in den zahlreiche­n Pausen waren Richter Adamski offenbar ein Dorn im Auge: „Sie nehmen das anscheinen­d nicht ernst. Es hätte Tote geben können.“

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