Bundeswehr, Nato, Ukraine: General gewährt Einblicke
Ein Ulmer Kommando ist an der Ausbildung ukrainischer Soldaten beteiligt, das andere hält sich aus gutem Grund heraus.
Ulm Seit Monaten werden Waffen und Ausrüstung aus vielen Ländern Europas in die Ukraine gebracht, damit sich das Land gegen den russischen Angriff verteidigen kann. Nach langen und heftigen Debatten steht fest, dass auch deutsche Leopard-2-Panzer geliefert werden sollen. Das „militärische Reisebüro“der Nato befindet sich in Ulm, seit September 2021 ist es offiziell einsatzfähig. Mit den Transporten habe das Ulmer NatoKommando aber nichts zu tun, betont Befehlshaber Alexander Sollfrank. Und doch ist der Standort an der militärischen Unterstützung beteiligt.
„Militärisches Reisebüro“– so haben Eingeweihte das Nato-Kommando JSEC immer wieder flapsig genannt, der Begriff stammt aus der Zeit vor dem Ukraine-Krieg. Das JSEC hat die Aufgabe, Truppenverlegungen der Nato in ganz Europa zu koordinieren und die Versorgung dieser Truppen sicherzustellen. Die Abkürzung JSEC steht für Joint Support and Enabling Command, auf Deutsch etwa Gemeinsames Unterstützungsund Befähigungskommando. Das Kommando dient als Koordinator zwischen unterschiedlichen Staaten, zwischen militärischen und zivilen Einrichtungen, zwischen See-, Land- und Luftstreitkräften.
Als das Nordatlantikbündnis nach dem russischen Angriff ihre Ostflanke verstärkte und erstmals in ihrer Geschichte ihre schnelle Eingreiftruppe NRF verlegte, war die Expertise des JSEC gefragt. Die militärische Unterstützung für die Ukraine geht aber von den einzelnen Staaten aus – und von der Europäischen Union. „Wir machen das nicht“, betont Generalleutnant Sollfrank. „Die Nato konzentriert sich auf Abschreckung und auf die Verteidigung von Nato-Territorium“, betont er. Es gebe eine Vereinigung verschiedener Länder unter amerikanischer Führung, sie koordiniere die Verlegung des Materials in die Ukraine. Doch der General hat zwei Hüte, wie sie bei den Streitkräften zu sagen pflegen: den der Nato und den der Bundeswehr.
Während der Nato-General Sollfrank mit den Transporten nichts zu tun hat, ist der Bundeswehr-General Sollfrank bei einem anderen Bestandteil der Unterstützung dabei: Die EU ermöglicht die Ausbildung ukrainischer Soldatinnen und Soldaten, ein Teil davon findet im brandenburgischen Strausberg statt. Das Ulmer Multinationale Kommando ist daran beteiligt – wie übrigens auch an der schnellen Eingreiftruppe NRF, mit einer rund 50 Köpfe zählenden Gefechtsstandstaffel.
Die sicherheitspolitische Lage, die Rolle der Bundeswehr in Ulm oder beides: Seit Jahren gewährt der jeweilige Chef aus der Wilhelmsburg-Kaserne Interessierten bei einer Veranstaltung im Kornhaus Einblicke. In diesem Jahr hat auch ein österreichischer Sender ein Fernsehteam zum Pressegespräch vorab geschickt. Kanzler Olaf Scholz spricht von einer Zeitenwende, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von einem Epochenwandel: Die Lage und die Aufmerksamkeit sind anders als bei der bislang letzten Kornhausrede am 23. Januar 2020. Lange habe die Bundeswehr ein „freundliches Desinteresse“gespürt, meint der General. Jetzt ist das anders, Debatten werden scharf geführt. Offene Herabwürdigungen
der deutschen Streitkräfte nehme er nicht wahr, sagt Sollfrank, auch nicht aus anderen Staaten. Dass der Ton rauer ist, müsse man aushalten. Diskussionen hält der General für wichtig, aber: „Polarisierung ist etwas ganz Gefährliches.“Konkreter wird Sollfrank nicht, weder zum Streit in Koalition und Bundestag noch zur Frage, auf welche Weise Deutschland die Ukraine unterstützen sollte. „Das ist eine politische Entscheidung“, sagt er nur. Am Donnerstagabend geht der 56-Jährige auf den Krieg ein, macht die Brutalität und die russischen Kriegsverbrechen deutlich, bittet bei einer Schweigeminute um das Gedenken an die ungezählten Opfer.
Die Nato habe nach dem Angriff am 24. Februar 2022 schnell reagiert, findet Alexander Sollfrank. Und sie wird weiter handeln. Derzeit arbeitet die Allianz ein neues Kräftemodell aus, das Nato New Force Model. Es sieht vor, dass künftig 100.000 Soldatinnen und Soldaten innerhalb von zehn Tagen, weitere 200.000 innerhalb von 30 Tagen und zusätzlich mindestens 500.000 innerhalb eines halben Jahres zur Verfügung stehen sollen. Feinde müssten glaubhaft abgeschreckt werden, mahnt Sollfrank. Beim Pressegespräch zitiert der Generalleutnant Ulrich de Maizière, der als einer der Väter der Bundeswehr gilt: Man müsse kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen. Die Bevölkerung könnte sich auf die Soldatinnen und Soldaten verlassen, betont Sollfrank. Doch beim Material gebe es bei den deutschen Streitkräften einen gehörigen Nachholbedarf.
Das Nordatlantikbündnis indes überprüfe derzeit seine Hauptquartiere mit ihren Aufgaben. Ulm und das JSEC dürften erhalten bleiben, vermutet Sollfrank: „Ich glaube, wir sitzen fest im Sattel.“Die Aufgaben, die in der Wilhelmsburg-Kaserne gebündelt werden, würden wichtig bleiben und mit der Arbeit komme man kaum hinterher. Wenn Ulm so wichtig ist, droht hier Gefahr? Diese Frage ist immer wieder aufgeworfen worden. Der General beantwortet sie so wie seine Vorgänger: „Ich empfehle Ruhe und Gelassenheit. Alles, was wir tun, ist wohlüberlegt.“