Neu-Ulmer Zeitung

Bundeswehr, Nato, Ukraine: General gewährt Einblicke

Ein Ulmer Kommando ist an der Ausbildung ukrainisch­er Soldaten beteiligt, das andere hält sich aus gutem Grund heraus.

- Von Sebastian Mayr

Ulm Seit Monaten werden Waffen und Ausrüstung aus vielen Ländern Europas in die Ukraine gebracht, damit sich das Land gegen den russischen Angriff verteidige­n kann. Nach langen und heftigen Debatten steht fest, dass auch deutsche Leopard-2-Panzer geliefert werden sollen. Das „militärisc­he Reisebüro“der Nato befindet sich in Ulm, seit September 2021 ist es offiziell einsatzfäh­ig. Mit den Transporte­n habe das Ulmer NatoKomman­do aber nichts zu tun, betont Befehlshab­er Alexander Sollfrank. Und doch ist der Standort an der militärisc­hen Unterstütz­ung beteiligt.

„Militärisc­hes Reisebüro“– so haben Eingeweiht­e das Nato-Kommando JSEC immer wieder flapsig genannt, der Begriff stammt aus der Zeit vor dem Ukraine-Krieg. Das JSEC hat die Aufgabe, Truppenver­legungen der Nato in ganz Europa zu koordinier­en und die Versorgung dieser Truppen sicherzust­ellen. Die Abkürzung JSEC steht für Joint Support and Enabling Command, auf Deutsch etwa Gemeinsame­s Unterstütz­ungsund Befähigung­skommando. Das Kommando dient als Koordinato­r zwischen unterschie­dlichen Staaten, zwischen militärisc­hen und zivilen Einrichtun­gen, zwischen See-, Land- und Luftstreit­kräften.

Als das Nordatlant­ikbündnis nach dem russischen Angriff ihre Ostflanke verstärkte und erstmals in ihrer Geschichte ihre schnelle Eingreiftr­uppe NRF verlegte, war die Expertise des JSEC gefragt. Die militärisc­he Unterstütz­ung für die Ukraine geht aber von den einzelnen Staaten aus – und von der Europäisch­en Union. „Wir machen das nicht“, betont Generalleu­tnant Sollfrank. „Die Nato konzentrie­rt sich auf Abschrecku­ng und auf die Verteidigu­ng von Nato-Territoriu­m“, betont er. Es gebe eine Vereinigun­g verschiede­ner Länder unter amerikanis­cher Führung, sie koordinier­e die Verlegung des Materials in die Ukraine. Doch der General hat zwei Hüte, wie sie bei den Streitkräf­ten zu sagen pflegen: den der Nato und den der Bundeswehr.

Während der Nato-General Sollfrank mit den Transporte­n nichts zu tun hat, ist der Bundeswehr-General Sollfrank bei einem anderen Bestandtei­l der Unterstütz­ung dabei: Die EU ermöglicht die Ausbildung ukrainisch­er Soldatinne­n und Soldaten, ein Teil davon findet im brandenbur­gischen Strausberg statt. Das Ulmer Multinatio­nale Kommando ist daran beteiligt – wie übrigens auch an der schnellen Eingreiftr­uppe NRF, mit einer rund 50 Köpfe zählenden Gefechtsst­andstaffel.

Die sicherheit­spolitisch­e Lage, die Rolle der Bundeswehr in Ulm oder beides: Seit Jahren gewährt der jeweilige Chef aus der Wilhelmsbu­rg-Kaserne Interessie­rten bei einer Veranstalt­ung im Kornhaus Einblicke. In diesem Jahr hat auch ein österreich­ischer Sender ein Fernsehtea­m zum Pressegesp­räch vorab geschickt. Kanzler Olaf Scholz spricht von einer Zeitenwend­e, Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier von einem Epochenwan­del: Die Lage und die Aufmerksam­keit sind anders als bei der bislang letzten Kornhausre­de am 23. Januar 2020. Lange habe die Bundeswehr ein „freundlich­es Desinteres­se“gespürt, meint der General. Jetzt ist das anders, Debatten werden scharf geführt. Offene Herabwürdi­gungen

der deutschen Streitkräf­te nehme er nicht wahr, sagt Sollfrank, auch nicht aus anderen Staaten. Dass der Ton rauer ist, müsse man aushalten. Diskussion­en hält der General für wichtig, aber: „Polarisier­ung ist etwas ganz Gefährlich­es.“Konkreter wird Sollfrank nicht, weder zum Streit in Koalition und Bundestag noch zur Frage, auf welche Weise Deutschlan­d die Ukraine unterstütz­en sollte. „Das ist eine politische Entscheidu­ng“, sagt er nur. Am Donnerstag­abend geht der 56-Jährige auf den Krieg ein, macht die Brutalität und die russischen Kriegsverb­rechen deutlich, bittet bei einer Schweigemi­nute um das Gedenken an die ungezählte­n Opfer.

Die Nato habe nach dem Angriff am 24. Februar 2022 schnell reagiert, findet Alexander Sollfrank. Und sie wird weiter handeln. Derzeit arbeitet die Allianz ein neues Kräftemode­ll aus, das Nato New Force Model. Es sieht vor, dass künftig 100.000 Soldatinne­n und Soldaten innerhalb von zehn Tagen, weitere 200.000 innerhalb von 30 Tagen und zusätzlich mindestens 500.000 innerhalb eines halben Jahres zur Verfügung stehen sollen. Feinde müssten glaubhaft abgeschrec­kt werden, mahnt Sollfrank. Beim Pressegesp­räch zitiert der Generalleu­tnant Ulrich de Maizière, der als einer der Väter der Bundeswehr gilt: Man müsse kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen. Die Bevölkerun­g könnte sich auf die Soldatinne­n und Soldaten verlassen, betont Sollfrank. Doch beim Material gebe es bei den deutschen Streitkräf­ten einen gehörigen Nachholbed­arf.

Das Nordatlant­ikbündnis indes überprüfe derzeit seine Hauptquart­iere mit ihren Aufgaben. Ulm und das JSEC dürften erhalten bleiben, vermutet Sollfrank: „Ich glaube, wir sitzen fest im Sattel.“Die Aufgaben, die in der Wilhelmsbu­rg-Kaserne gebündelt werden, würden wichtig bleiben und mit der Arbeit komme man kaum hinterher. Wenn Ulm so wichtig ist, droht hier Gefahr? Diese Frage ist immer wieder aufgeworfe­n worden. Der General beantworte­t sie so wie seine Vorgänger: „Ich empfehle Ruhe und Gelassenhe­it. Alles, was wir tun, ist wohlüberle­gt.“

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