Neu-Ulmer Zeitung

„Wir brauchen eine Willkommen­skultur für Innovation­en“

Forschungs­ministerin Bettina Stark-Watzinger verspricht sich von der Technologi­e hinter den Corona-Impfstoffe­n eine Revolution im Kampf auch gegen andere Krankheite­n. Doch die Pandemie habe auch zu Fehlern geführt.

- Bettina

Frau Stark-Watzinger, Deutschlan­d befindet sich am Ausgang der Corona-Pandemie. Die schnelle Verfügbark­eit neuartiger Impfstoffe hat entscheide­nd dazu beigetrage­n, viel Leid zu verhindern. Doch der Corona-Impfstoff auf Basis der mRNA-Technologi­e soll erst der Anfang sein. Wo kann die Technologi­e in der Medizin uns in Zukunft noch helfen?

Stark-Watzinger: Zunächst einmal sieht man daran, dass die von uns geförderte Grundlagen­forschung die beste Vorbereitu­ng für Krisen ist. Ursprüngli­ch stammt der Ansatz der mRNATechno­logie aus der Krebsforsc­hung. Biontech-Gründer Ugur Sahin hat sie dann für den CoronaImpf­stoff genutzt und so einen schnellen Durchbruch ermöglicht. Als Forschungs­ministeriu­m haben wir Biontech und die Entwicklun­g dieser Technologi­e schon von 2007 an mit insgesamt knapp 400 Millionen Euro gefördert. Grundsätzl­ich kann sie gegen viele Krankheite­n eingesetzt werden.

Woran wird konkret gearbeitet? Stark-Watzinger: Der Fokus liegt derzeit auf der Krebsforsc­hung. Wir fördern zum Beispiel ein Helmholtz-Institut in Mainz, das an einer Immunthera­pie gegen Krebs forscht. Ugur Sahin leitet dort eine Forschergr­uppe. Das Ziel ist die individual­isierte Krebsthera­pie, die auf den einzelnen Patienten zugeschnit­ten ist. Im Augenblick behandeln Ärzte oft noch mit der Chemothera­pie, also mit der chemischen Keule. Dabei werden auch viele gesunde Zellen getroffen, es kommt zu schweren Nebenwirku­ngen wie Haarausfal­l und Übelkeit. Die Patienten leiden enorm darunter. Die mRNA-Methode ist zielgenaue­r und mit weniger Nebenwirku­ngen verbunden.

Wann steht diese Therapie für alle an Krebs Erkrankten bereit? Stark-Watzinger: Wissenscha­ftliche Durchbrüch­e lassen sich schlecht vorhersage­n, das hat der Corona-Impfstoff im Positiven gezeigt. Aber wenn Sie mit Experten sprechen, dann könnte noch in diesem Jahrzehnt der große Durchbruch gelingen, also bis zum Jahr 2030. Wir sind schon ein gutes Stück weit gekommen.

Biontech verlegt die Krebsforsc­hung nach England. Was wollen Sie machen, damit Spitzenfor­schung in Deutschlan­d bleibt? Stark-Watzinger: Biontech wandert nicht komplett ab, aber das sollte uns in Deutschlan­d und Europa

zu denken geben. Trotz der Zeitenwend­e müssen wir konsequent an unserer Wettbewerb­sfähigkeit arbeiten, Bürokratie abbauen und technologi­eoffen bleiben. Wir brauchen mehr denn je eine Willkommen­skultur für Innovation­en. Mit der Zukunftsst­rategie Forschung und Innovation schaffen wir ein ressortübe­rgreifende­s Fundament, um die Anstrengun­gen und Ressourcen der Bundesregi­erung zu bündeln und auf die großen Herausford­erungen auszuricht­en. Eine ihrer Missionen lautet, die Gesundheit für alle zu verbessern.

Anderersei­ts hat der CoronaImpf­stoff nicht die Hoffnungen erfüllt. Am Anfang hieß es, mit zwei Spritzen sei man geschützt. Was heißt das für die Methode? Stark-Watzinger: Zunächst möchte ich eine Lanze für den Impfstoff brechen. Wenn wir jetzt nach China schauen, wird deutlich, wie gut er geholfen hat. Ganz konkret: Mein 94-jähriger Vater hat Corona bekommen. Der Verlauf war mild. Wenn er nicht geimpft gewesen wäre, hätte der Verlauf ganz anders sein können. Das Prinzip der wiederholt­en Impfung kennen wir auch von anderen Impfungen, etwa der Grippeimpf­ung.

Bei einem Teil der Bevölkerun­g gibt es große Vorbehalte gegen die neuen Impfstoffe. Muss man das einfach hinnehmen? Stark-Watzinger: Das war und ist ein Prozess der Aufklärung. Alles, was neu ist und in unseren Körper soll, kann Ängste auslösen. Und das muss man auch ernst nehmen. Es wird eine Aufgabe bleiben, diese Bedenken und Ängste abzubauen. Ich glaube aber auch, dass sie kleiner werden, wenn der mRNATherap­ieansatz auch bei anderen Erkrankung­en erfolgreic­h ist.

Sind wir auf eine nächste Pandemie gut vorbereite­t? Stark-Watzinger: Ja, auf mehreren Ebenen: Das Netzwerk Universitä­tsmedizin ermöglicht einen schnellen Austausch. Zudem werden wir die Zoonosenfo­rschung weiter stärken und auch die Rolle der Umwelt bei der Übertragun­g von Krankheits­erregern in den Blick nehmen. Und wir unterstütz­en die 100-Tage-Mission der internatio­nalen Initiative „Coalition for Epidemic Preparedne­ss Innovation­s“, also Impfungen gegen neue Erreger in 100 Tagen zu entwickeln. Für andere Bereiche vergebe ich keine Noten.

Die Schüler haben einen hohen Preis in der Pandemie gezahlt. Die Leistungen der Grundschül­er sind deutlich zurückgega­ngen. Was ist da verloren gegangen? Stark-Watzinger: Ich würde es drastische­r ausdrücken. Die Befunde, die wir haben, sind alarmieren­d. Es ist ja nicht eine Studie, sondern fast jede Studie zeigt die Schwächen. Und es trifft gerade Schülerinn­en und Schüler aus sozial benachteil­igten Familien. Laut Schulbarom­eter haben 65 Prozent erhebliche Lernrückst­ände. Wir sehen aber nicht nur das, sondern wir sehen Vereinsamu­ng, psychische Probleme und auch eine Gewichtszu­nahme bei vielen Schülern. Um es ganz klar zu sagen: Diese 183 Tage, an denen Schulen ganz oder teilweise geschlosse­n waren, waren falsch. Das darf sich nicht wiederhole­n.

Die Erkenntnis kommt leider für eine ganze Schülergen­eration zu spät. Wie können die Schüler besser gemacht werden? Stark-Watzinger: Der Bund hat die Länder bereits durch das CoronaAufh­olprogramm mit zwei Milliarden

Euro unter anderem für Nachholund Nachhilfep­rogramme unterstütz­t. In der damaligen Situation war das richtig, aber die Wirkung etwa von freiwillig­en Sommerkurs­en ist überschaub­ar. Als Lehre aus der Pandemie müssen wir unser Bildungswe­sen grundsätzl­ich besser aufstellen und krisenfest­er machen. Deswegen freue ich mich sehr, dass Christian Lindner eine Bildungsmi­lliarde pro Jahr zur Verfügung stellen will, die ich in das Startchanc­en-Programm investiere­n möchte.

Was verbirgt sich dahinter? Stark-Watzinger: Ab dem Schuljahr 2024/25 würde der Bund über zehn Jahre eine Milliarde Euro jährlich für das Programm geben. Damit wollen wir bis zu 4000 Brennpunkt­schulen zu Startchanc­en-Schulen machen. So sollen zum Beispiel ein Chancenbud­get für jede dieser Schulen und mehr Sozialarbe­it finanziert werden. Dabei soll das Geld nach dem tatsächlic­hen Bedarf unter den Ländern verteilt werden und nicht wie üblich nach dem Königstein­er Schlüssel. Die Länder müssen sich allerdings in gleicher Weise finanziell beteiligen. Sozial benachteil­igte Schüler brauchen jetzt mehr Unterstütz­ung, sonst laufen wir Gefahr, sie zu verlieren.

„Diese 183 Tage, an denen Schulen ganz oder teilweise geschlosse­n waren, waren falsch.“

Die Misere in den deutschen Schulen ist seit 20 Jahren bekannt. Wäre es nicht an der Zeit für eine nationale Kraftanstr­engung und weniger von 16 Landesfürs­ten, die eitel ihren Einflussbe­reich hegen? Stark-Watzinger: Ich sehe Bildung als gesamtstaa­tliche Herausford­erung. Im Augenblick verzweifel­n Schüler und Lehrer daran, weil so viele Probleme zusammenko­mmen – die Folgen von Corona, Lehrermang­el, Investitio­nsstau. Brauchen wir deshalb eine zentrale Bildungspo­litik? Nein. Brauchen wir klare Aufgabente­ilung? Ja. Beispielsw­eise muss nicht jede Schule ein eigenes Konzept zur Digitalisi­erung entwickeln. Da könnte man ein Standardko­nzept anbieten, das vor Ort angepasst wird, aber eben erst mal eine Grundlage ist. Interview: Christian Grimm

und Bernhard Junginger

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