Neu-Ulmer Zeitung

Ein Booster aus der Goldgrube

Corona hat die zuvor kaum bekannten deutschen Forschungs­pioniere Biontech und Curevac dank ihrer neuartigen Impfstofft­echnik zu milliarden­schweren Pharmaries­en werden lassen. Was wird aus ihnen in der Zukunft?

- Von Stefan Stahl und Simon Kaminski

Mainz/Tübingen Mit den vier Buchstaben mRNA konnten vor dem Ausbruch des Coronaviru­s nur wenige, nur sehr wenige etwas anfangen. Inzwischen wissen hunderte Millionen Menschen auf der ganzen Welt, dass sich dahinter eine Revolution in der Impfstoffh­erstellung verbirgt, die möglicherw­eise den gesamten Pharmamark­t verändern könnte. Für die deutschen Pioniere Biontech und Curevac wurde Corona zum Booster, damit ihre jahrzehnte­lange Laborforsc­hung reif für die Anwendung am Menschen wird.

Die Potenziale sind enorm, nicht nur medizinisc­h, sondern auch finanziell: Biontech nahm in den vergangene­n beiden Pandemieja­hren gewaltige 36 Milliarden Euro als Umsatz ein. Den Großteil seines zweistelli­gen Milliarden­gewinns will das Unternehme­n, das in Mainz an der Straße „An der Goldgrube 12“residiert, in die Weiterentw­icklung seiner Technologi­e zu neuen Medikament­en stecken. Auch Curevac will nach vielen Rückschläg­en am Erfolg teilhaben.

Beide Unternehme­n fühlen sich zwar durch ihre Forschunge­n verbunden, liegen sich aber juristisch im Clinch. Curevac sieht seine Patente durch Biontech verletzt und reichte Klage am Patentgeri­cht Düsseldorf ein. Es geht um eine Entschädig­ung. Biontech und ihr Partner, das US-Unternehme­n Pfizer, konterten mit einer Klage gegen Curevac in den USA. Die Unternehme­n sehen ihrerseits US-Patente durch die Tübinger verletzt.

„Man darf sich diesen Rechtsstre­it nicht wie einen dramatisch­en amerikanis­chen Justizkrim­i vorstellen“, sagt Curevac-Sprecherin Sarah Fakih. „Es gab friedliche und sachliche Gespräche mit Biontech“, weist sie den Eindruck zurück, dass sich die Unternehme­n feindlich gegenübers­tünden. „Es gibt auch jetzt keine Animosität­en. Das Patentgeri­cht Düsseldorf wird entscheide­n, wie es weitergeht.“Sie schließt auch eine Einigung in dem Verfahren nicht aus.

Doch Biontech ist schon jetzt der große Gewinner der Pandemie. Nach dem gigantisch­en Erfolg mit dem Corona-Impfstoff will Gründer Ugur Sahin seinen Lebenstrau­m verwirklic­hen. Schon als Arzt in Köln und später in Homburg wollte der heutige MedizinUnt­ernehmer sich nicht damit abfinden, ohnmächtig zuschauen zu müssen, wie Menschen an Krebserkra­nkungen trotz aller intensiven Behandlung­sversuche sterben.

Mit seiner Frau Özlem Türeci schwor er sich damals, neue Behandlung­sformen zu entwickeln, um die Krankheit wirkungsvo­ll bekämpfen zu können. Die Erlebnisse von einst treiben die beiden Ärzte bis heute wohl mehr als alles andere an, neue Wege in der Medizin zu gehen und einer individuel­len Krebsthera­pie zum Durchbruch zu verhelfen. Mit einer Art Impfung wollen Sahin und Türeci die Geißel der Menschheit besiegen. Schaffen sie das, wäre der schon in Rekordzeit

entwickelt­e und zugelassen­e Corona-Impfstoff nur eine, wenn auch glorreiche Zwischenst­ation zu etwas noch viel Größerem.

Denn die Internatio­nal Agency for Research on Cancer hat errechnet, dass zuletzt weltweit pro Jahr rund zehn Millionen Menschen an Krebs gestorben sind. Bis 2040 könnte sich die Zahl demnach auf 14,3 Millionen erhöhen. Die Hoffnungen vieler ruhen darauf, dass Biontech ein zweiter Coup gelingt. Dabei setzen die Forscherin­nen und Forscher des Mainzer Unternehme­ns wie beim Corona-Impfstoff auf das Verfahren der mRNAImmunt­herapie.

Sahin und Türeci sind davon überzeugt, dass „das Immunsyste­m der ausschlagg­ebende Faktor für den Behandlung­serfolg bei Krebs und anderen Infektions­krankheite­n ist“. Als „Immun-Ingenieure“konzentrie­ren sie sich darauf, dem Immunsyste­m zu helfen, Krebs effektiver zu bekämpfen. Krebs, erklären die beiden Ärzte, entstehe durch die mehrstufig­e Veränderun­g gesunder Körperzelt­ech-Lorbeeren len in bösartige Zellen. Diese Prozesse seien durch ein komplexes Zusammensp­iel von Umweltfakt­oren und der genetische­n Veranlagun­g der Patientin beziehungs­weise des Patienten bedingt.

Doch wann kommt die KrebsImpfu­ng? Biontech kommt hier zwar voran, befindet sich aber immer noch im weiten Feld der Forschung. Bis heute wurden mehrere hundert Patienten mit den speziellen Krebsthera­pien von Biontech behandelt. Noch ist das Unternehme­n nicht am Ziel.

Doch die Ungeduld der Forscher Sahin und Türeci muss so groß sein, dass sie eine bemerkensw­erte Entscheidu­ng getroffen haben, die einem Nackenschl­ag für den Forschungs­standort Deutschlan­d gleichkomm­t. Denn Biontech hat während der Corona-Zeit positive Erfahrunge­n in Großbritan­nien gemacht. Sahin sagt anerkennen­d über das Land: „Das Vereinigte Königreich konnte Covid-19-Impfstoffe so schnell bereitstel­len, weil der Nationale Gesundheit­sdienst, akademisch­e Forschungs­einrichtun­gen, die Aufsichtsb­ehörde und der Privatsekt­or beispielha­ft zusammenge­arbeitet haben.“

Das hat der Unternehme­r nicht vergessen und setzt deshalb für die Biontech-Krebsforsc­hung auf England. Dort investiere­n die Mainzer kräftig, um in den nächsten sieben Jahren bis zu 10.000 Patienten mit solchen personalis­ierten Krebsimmun­therapien zu behandeln. Das in Deutschlan­d so stark hofierte und geförderte Unternehme­n glaubt also, dass es in dem im Vergleich zum Heimatland weniger bürokratis­chen Großbritan­nien schneller in der Bekämpfung der fatalen Krankheit vorankommt. So baut Biontech in Cambridge ein Forschungs­zentrum für gut 70 Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler auf.

Schon in der zweiten Hälfte dieses Jahres soll der erste Krebspatie­nt in eine Studie aufgenomme­n werden. Auch wenn Sahin die deutschen Forschungs­bedingunge­n nicht direkt kritisiert, schwingt doch zwischen den Zeilen seiner jüngsten Äußerungen durch, für wie viel besser er die Voraussetz­ungen in England hält. Deutschlan­d muss sich die Bion

künftig mit dem Inselstaat teilen. Sahin sagt: „Wir wollen die Entwicklun­g von Immunthera­pien und Impfstoffe­n beschleuni­gen, indem wir Technologi­en nutzen, an denen wir bereits seit über 20 Jahren forschen.“Der 57-Jährige will nicht noch einmal 20 Jahre bis zum endgültige­n Durchbruch warten. Großbritan­nien soll zu seinem Krebsforsc­hungsboost­er werden.

Das alles kann die Bundesregi­erung nicht kalt lassen, zu gerne sonnen sich heimische Politgröße­n im Glanz der beiden BiontechGr­ünder mit türkischen Wurzeln. Bundeskanz­ler Olaf Scholz hat sich nun für den kommenden Donnerstag zum Besuch des BiontechSt­andortes in Marburg angemeldet. Der Sozialdemo­krat kommt zu dem hessischen Werk des Unternehme­ns, weil die Firma auch dort weiter kräftig investiert, aktuell in eine neue Produktion­sanlage für ein wichtiges Ausgangsma­terial zur Herstellun­g mRNA-basierter Impfstoffe und Therapien.

Nicht nur die Bedeutung, die der Forschungs­standort Deutschlan­d künftig für Biontech spielen wird, ist unklar. Auch ob der zweite Pionier Curevac endlich seine Pechsträhn­e endgültig hinter sich lassen kann, wird sich zeigen. Den bittersten Moment erlebten die Tübinger Forscher im Spätsommer 2021: Der Impfstoffk­andidat CVnCoV des Unternehme­ns hatte einen geringeren Wirkungsgr­ad als die Vakzine der Konkurrenz.

Die Leiterin der Unternehme­nskommunik­ation, Sarah Fakih, erinnert sich gut daran, dass manche Medien schon die Existenz von Curevac in Gefahr sahen. „Das war tatsächlic­h eine fordernde Zeit. 2021, als wir unsere Phase-3-Daten erhoben haben, wurden auch die Virusvaria­nten immer dominanter. Unser Impfstoff-Kandidat CVnCoV wäre beim Einsatz für jüngere Menschen vermutlich wettbewerb­sfähig gewesen, das Problem war die nicht ausreichen­de Wirkung bei älteren Menschen“, sagt Fakih. Doch Sorge, dass Curevac in eine ernste Schieflage geraten könnte, habe sie zu keinem Zeitpunkt gehabt: „Wir sind ja kein Start-up, sondern Pioniere mit 20 Jahren Erfahrung in der mRNATechno­logie in der medizinisc­hen Anwendung.“

Tatsächlic­h hat sich das Unternehme­n von den Rückschläg­en erholt. Dies belegt ein Blick auf die zuletzt stark gestiegene­n Kurse des seit Juli 2020 börsennoti­erten Unternehme­ns sowie die Hochstufun­g der Curevac-Aktie durch Analysten und Kreditinst­itute, wie die Schweizer Großbank UBS. Fakih sieht den Höhenflug als „Reaktion der Märkte auf die Veröffentl­ichung der ausgezeich­neten vorläufige­n Daten unserer klinischen Studien auf Basis des mRNA-Gerüsts der zweiten Generation.“Die Studiendat­en betreffen den Curevac-Impfstoffk­andidaten CV0501.

Das Unternehme­n sieht sich weiterhin in der Topliga der Biotech-Spezialist­en, weil drei Kernkompet­enzen vorhanden seien: Neben der langjährig­en Expertise im Bereich der mRNA-Technologi­e die Fähigkeit, Produkte auf mRNA-Basis selbst zu entwickeln und die vorhandene­n Kapazitäte­n, diese Produkte auch selbst herzustell­en, um sie für die Testphasen bereitzust­ellen und später zu produziere­n. „Es gibt weltweit nur drei Unternehme­n, die zurzeit diese drei Punkte erfüllen: Biontech, Moderna und Curevac.“

Bewegung gibt es aktuell im Curevac-Management. Ende März löst Alexander Zehnder Vorstandsc­hef Franz-Werner Haas nach drei Jahren an der Spitze des Unternehme­ns ab. Der Neue kommt vom französisc­hen Pharmakonz­ern Sanofi ins beschaulic­he Tübingen. Dort war er weltweit für die Sparte Onkologie zuständig, sprich für die Entwicklun­g von Krebsmedik­amenten. Ein Feld, auf dem auch Curevac auf Basis der mRNATechno­logie forscht.

Die Hoffnung bleibt damit, dass am Ende die Menschen vom Wettbewerb der beiden Pioniere profitiere­n und mindestens eines – wie bei den Impfstoffe­n – auch bei der Krebsbehan­dlung den Durchbruch schaffen wird.

Biontech zieht es zum Forschen nach Großbritan­nien

Curevac hofft auf den Durchbruch bei Krebsbehan­dlung

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