Ein Booster aus der Goldgrube
Corona hat die zuvor kaum bekannten deutschen Forschungspioniere Biontech und Curevac dank ihrer neuartigen Impfstofftechnik zu milliardenschweren Pharmariesen werden lassen. Was wird aus ihnen in der Zukunft?
Mainz/Tübingen Mit den vier Buchstaben mRNA konnten vor dem Ausbruch des Coronavirus nur wenige, nur sehr wenige etwas anfangen. Inzwischen wissen hunderte Millionen Menschen auf der ganzen Welt, dass sich dahinter eine Revolution in der Impfstoffherstellung verbirgt, die möglicherweise den gesamten Pharmamarkt verändern könnte. Für die deutschen Pioniere Biontech und Curevac wurde Corona zum Booster, damit ihre jahrzehntelange Laborforschung reif für die Anwendung am Menschen wird.
Die Potenziale sind enorm, nicht nur medizinisch, sondern auch finanziell: Biontech nahm in den vergangenen beiden Pandemiejahren gewaltige 36 Milliarden Euro als Umsatz ein. Den Großteil seines zweistelligen Milliardengewinns will das Unternehmen, das in Mainz an der Straße „An der Goldgrube 12“residiert, in die Weiterentwicklung seiner Technologie zu neuen Medikamenten stecken. Auch Curevac will nach vielen Rückschlägen am Erfolg teilhaben.
Beide Unternehmen fühlen sich zwar durch ihre Forschungen verbunden, liegen sich aber juristisch im Clinch. Curevac sieht seine Patente durch Biontech verletzt und reichte Klage am Patentgericht Düsseldorf ein. Es geht um eine Entschädigung. Biontech und ihr Partner, das US-Unternehmen Pfizer, konterten mit einer Klage gegen Curevac in den USA. Die Unternehmen sehen ihrerseits US-Patente durch die Tübinger verletzt.
„Man darf sich diesen Rechtsstreit nicht wie einen dramatischen amerikanischen Justizkrimi vorstellen“, sagt Curevac-Sprecherin Sarah Fakih. „Es gab friedliche und sachliche Gespräche mit Biontech“, weist sie den Eindruck zurück, dass sich die Unternehmen feindlich gegenüberstünden. „Es gibt auch jetzt keine Animositäten. Das Patentgericht Düsseldorf wird entscheiden, wie es weitergeht.“Sie schließt auch eine Einigung in dem Verfahren nicht aus.
Doch Biontech ist schon jetzt der große Gewinner der Pandemie. Nach dem gigantischen Erfolg mit dem Corona-Impfstoff will Gründer Ugur Sahin seinen Lebenstraum verwirklichen. Schon als Arzt in Köln und später in Homburg wollte der heutige MedizinUnternehmer sich nicht damit abfinden, ohnmächtig zuschauen zu müssen, wie Menschen an Krebserkrankungen trotz aller intensiven Behandlungsversuche sterben.
Mit seiner Frau Özlem Türeci schwor er sich damals, neue Behandlungsformen zu entwickeln, um die Krankheit wirkungsvoll bekämpfen zu können. Die Erlebnisse von einst treiben die beiden Ärzte bis heute wohl mehr als alles andere an, neue Wege in der Medizin zu gehen und einer individuellen Krebstherapie zum Durchbruch zu verhelfen. Mit einer Art Impfung wollen Sahin und Türeci die Geißel der Menschheit besiegen. Schaffen sie das, wäre der schon in Rekordzeit
entwickelte und zugelassene Corona-Impfstoff nur eine, wenn auch glorreiche Zwischenstation zu etwas noch viel Größerem.
Denn die International Agency for Research on Cancer hat errechnet, dass zuletzt weltweit pro Jahr rund zehn Millionen Menschen an Krebs gestorben sind. Bis 2040 könnte sich die Zahl demnach auf 14,3 Millionen erhöhen. Die Hoffnungen vieler ruhen darauf, dass Biontech ein zweiter Coup gelingt. Dabei setzen die Forscherinnen und Forscher des Mainzer Unternehmens wie beim Corona-Impfstoff auf das Verfahren der mRNAImmuntherapie.
Sahin und Türeci sind davon überzeugt, dass „das Immunsystem der ausschlaggebende Faktor für den Behandlungserfolg bei Krebs und anderen Infektionskrankheiten ist“. Als „Immun-Ingenieure“konzentrieren sie sich darauf, dem Immunsystem zu helfen, Krebs effektiver zu bekämpfen. Krebs, erklären die beiden Ärzte, entstehe durch die mehrstufige Veränderung gesunder Körperzeltech-Lorbeeren len in bösartige Zellen. Diese Prozesse seien durch ein komplexes Zusammenspiel von Umweltfaktoren und der genetischen Veranlagung der Patientin beziehungsweise des Patienten bedingt.
Doch wann kommt die KrebsImpfung? Biontech kommt hier zwar voran, befindet sich aber immer noch im weiten Feld der Forschung. Bis heute wurden mehrere hundert Patienten mit den speziellen Krebstherapien von Biontech behandelt. Noch ist das Unternehmen nicht am Ziel.
Doch die Ungeduld der Forscher Sahin und Türeci muss so groß sein, dass sie eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen haben, die einem Nackenschlag für den Forschungsstandort Deutschland gleichkommt. Denn Biontech hat während der Corona-Zeit positive Erfahrungen in Großbritannien gemacht. Sahin sagt anerkennend über das Land: „Das Vereinigte Königreich konnte Covid-19-Impfstoffe so schnell bereitstellen, weil der Nationale Gesundheitsdienst, akademische Forschungseinrichtungen, die Aufsichtsbehörde und der Privatsektor beispielhaft zusammengearbeitet haben.“
Das hat der Unternehmer nicht vergessen und setzt deshalb für die Biontech-Krebsforschung auf England. Dort investieren die Mainzer kräftig, um in den nächsten sieben Jahren bis zu 10.000 Patienten mit solchen personalisierten Krebsimmuntherapien zu behandeln. Das in Deutschland so stark hofierte und geförderte Unternehmen glaubt also, dass es in dem im Vergleich zum Heimatland weniger bürokratischen Großbritannien schneller in der Bekämpfung der fatalen Krankheit vorankommt. So baut Biontech in Cambridge ein Forschungszentrum für gut 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf.
Schon in der zweiten Hälfte dieses Jahres soll der erste Krebspatient in eine Studie aufgenommen werden. Auch wenn Sahin die deutschen Forschungsbedingungen nicht direkt kritisiert, schwingt doch zwischen den Zeilen seiner jüngsten Äußerungen durch, für wie viel besser er die Voraussetzungen in England hält. Deutschland muss sich die Bion
künftig mit dem Inselstaat teilen. Sahin sagt: „Wir wollen die Entwicklung von Immuntherapien und Impfstoffen beschleunigen, indem wir Technologien nutzen, an denen wir bereits seit über 20 Jahren forschen.“Der 57-Jährige will nicht noch einmal 20 Jahre bis zum endgültigen Durchbruch warten. Großbritannien soll zu seinem Krebsforschungsbooster werden.
Das alles kann die Bundesregierung nicht kalt lassen, zu gerne sonnen sich heimische Politgrößen im Glanz der beiden BiontechGründer mit türkischen Wurzeln. Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich nun für den kommenden Donnerstag zum Besuch des BiontechStandortes in Marburg angemeldet. Der Sozialdemokrat kommt zu dem hessischen Werk des Unternehmens, weil die Firma auch dort weiter kräftig investiert, aktuell in eine neue Produktionsanlage für ein wichtiges Ausgangsmaterial zur Herstellung mRNA-basierter Impfstoffe und Therapien.
Nicht nur die Bedeutung, die der Forschungsstandort Deutschland künftig für Biontech spielen wird, ist unklar. Auch ob der zweite Pionier Curevac endlich seine Pechsträhne endgültig hinter sich lassen kann, wird sich zeigen. Den bittersten Moment erlebten die Tübinger Forscher im Spätsommer 2021: Der Impfstoffkandidat CVnCoV des Unternehmens hatte einen geringeren Wirkungsgrad als die Vakzine der Konkurrenz.
Die Leiterin der Unternehmenskommunikation, Sarah Fakih, erinnert sich gut daran, dass manche Medien schon die Existenz von Curevac in Gefahr sahen. „Das war tatsächlich eine fordernde Zeit. 2021, als wir unsere Phase-3-Daten erhoben haben, wurden auch die Virusvarianten immer dominanter. Unser Impfstoff-Kandidat CVnCoV wäre beim Einsatz für jüngere Menschen vermutlich wettbewerbsfähig gewesen, das Problem war die nicht ausreichende Wirkung bei älteren Menschen“, sagt Fakih. Doch Sorge, dass Curevac in eine ernste Schieflage geraten könnte, habe sie zu keinem Zeitpunkt gehabt: „Wir sind ja kein Start-up, sondern Pioniere mit 20 Jahren Erfahrung in der mRNATechnologie in der medizinischen Anwendung.“
Tatsächlich hat sich das Unternehmen von den Rückschlägen erholt. Dies belegt ein Blick auf die zuletzt stark gestiegenen Kurse des seit Juli 2020 börsennotierten Unternehmens sowie die Hochstufung der Curevac-Aktie durch Analysten und Kreditinstitute, wie die Schweizer Großbank UBS. Fakih sieht den Höhenflug als „Reaktion der Märkte auf die Veröffentlichung der ausgezeichneten vorläufigen Daten unserer klinischen Studien auf Basis des mRNA-Gerüsts der zweiten Generation.“Die Studiendaten betreffen den Curevac-Impfstoffkandidaten CV0501.
Das Unternehmen sieht sich weiterhin in der Topliga der Biotech-Spezialisten, weil drei Kernkompetenzen vorhanden seien: Neben der langjährigen Expertise im Bereich der mRNA-Technologie die Fähigkeit, Produkte auf mRNA-Basis selbst zu entwickeln und die vorhandenen Kapazitäten, diese Produkte auch selbst herzustellen, um sie für die Testphasen bereitzustellen und später zu produzieren. „Es gibt weltweit nur drei Unternehmen, die zurzeit diese drei Punkte erfüllen: Biontech, Moderna und Curevac.“
Bewegung gibt es aktuell im Curevac-Management. Ende März löst Alexander Zehnder Vorstandschef Franz-Werner Haas nach drei Jahren an der Spitze des Unternehmens ab. Der Neue kommt vom französischen Pharmakonzern Sanofi ins beschauliche Tübingen. Dort war er weltweit für die Sparte Onkologie zuständig, sprich für die Entwicklung von Krebsmedikamenten. Ein Feld, auf dem auch Curevac auf Basis der mRNATechnologie forscht.
Die Hoffnung bleibt damit, dass am Ende die Menschen vom Wettbewerb der beiden Pioniere profitieren und mindestens eines – wie bei den Impfstoffen – auch bei der Krebsbehandlung den Durchbruch schaffen wird.
Biontech zieht es zum Forschen nach Großbritannien
Curevac hofft auf den Durchbruch bei Krebsbehandlung