Bitte selber machen, liebe Leute!
Ob an Ladenkassen, Fast-Food-Theken oder Serviceportalen: Kommunikation mit Automaten, eigenes Einchecken oder Online-Konfigurieren gehören längst zum Alltag. Stirbt der Dienst am Kunden aus?
Hannover/Krefeld/München Man kann es als ultimativen Weg in die Servicewüste sehen – oder als Stärkung des aktiven Konsumenten. Bei manchen Handelsketten scheint der Kunde fast schon das Gefühl zu bekommen, die selbst gescannte Ware am besten gleich noch fürs Lager nachbestellen zu sollen. Und wie lange, so könnte man augenzwinkernd fragen, dauert es, bis der Burger im Fast-FoodLokal nicht nur per Touchscreen gewählt, sondern auch eigenhändig gebraten werden muss?
„Bitte selber machen!“auf allen Kanälen: Was sich in der modernen Konsumwelt teils kurios, teils befremdlich ausnehmen mag, hat einen ernsten Hintergrund. Denn neben gezielter Ansprache von Verbrauchern, die für Niedrigpreise durchaus alle Handgriffe ohne menschliche Hilfe zu erledigen bereit sind, verschärfen der Kostendruck und Mangel an Fachkräften die Do-it-yourself-Haltung vieler Dienstleister.
„Das Thema an sich kennt man ja“, sagt der Handelsexperte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein etwa zum Siegeszug der Discounter. „Aber es hat in etlichen Bereichen einen Push erhalten.“
Längst geht es nicht mehr nur um klassische Selbstbedienung am Regal, nicht mehr nur um Funktionen wie den Eigen-Check-in am Flughafen oder im Zug via Automat oder App. Besonders im Einzelhandel ist zu spüren, dass Kunden möglichst viel Arbeit übernehmen sollen. Ob Lebensmittel, Sportartikel oder Möbel: SelfCheck-out-Kassen zum Selbstabrechnen und Selbsteinpacken sind in immer mehr Geschäften zu finden.
Wer eine der meist wenigen normalen Kassen vorzieht oder spezielle Fragen hat, muss oft längere Wartezeiten hinnehmen. Es laufen bereits Tests mit komplett „autonomen“Geschäften, in denen der Kunde alles ausschließlich mit der
EC- oder Kreditkarte steuern kann – inklusive Zugang rund um die Uhr. Edeka beispielsweise betont, in diesen „Smart Boxes“solle ebenso „das Einkaufserlebnis im Fokus stehen“. Ob Käufer mit Beratungsbedarf oder geringer Technikneigung das auch so sehen?
Heinemann ist da skeptisch. Die Entwicklung sei aber kaum aufzuhalten und aus Branchensicht im Kern nachvollziehbar. „Durch SelfCheck-outs oder Smart Boxes erreichen Auslagerung und Automatisierung ihren Höhepunkt“, erklärt er. Die Handelslehre beschreibe dies als „Integration des externen Faktors“– sprich: des Kunden – in die Eigenleistungen des Unternehmens. „Der gesamte Onlinehandel beruht letztlich auf diesem Prinzip“, sagt der Fachmann. Doch auch im stationären Handel sehen wir jetzt seine permanente Erweiterung.“
Ein Hauptgrund sei der Wegfall von Kassenkräften. „Der Kostendruck gerade im Lebensmittelhandel
führt dazu. Hinzu kommt ein massiver Personalmangel in allen möglichen Bereichen.“Philipp Kolo von der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) betont, digital unterstützte Techniken zur Selbstbedienung hätten aus Kundensicht oft auch Vorteile: „Wenn ich nur möglichst schnell ein Standardprodukt haben möchte, kann eine automatische Kasse durchaus ausreichen. Oder wenn ich per Onlinebanking eine rasche Überweisung machen will.“Es komme aber stets auf den Zusammenhang an. „Anders ist es, wenn ich gezielte Beratung suche, zum Beispiel im Fachgeschäft“, erklärt Kolo. „Dann muss diese Beratung wirklich gut und umfangreich sein.“
Auch anderswo greift der Trend um sich. Wer in größeren Filialen der Fast-Food-Konzerne noch an der Theke ordert (beziehungsweise ordern darf), gehört mittlerweile zur Minderheit. Persönliche Bestellungen nehme man nur an, wenn der Laden gerade nicht zu voll ist, bekommt man mitunter zu hören – und teils gar nicht, dann bleiben nur die Displays mit Wartenummer über der Küchenzeile. Wer bar bezahlen will, wird in eine weitere Schleife geschickt, bis er das Essen holen kann.
Martin Fassnacht, MarketingProfessor an der Wirtschaftshochschule WHU, hält das digitale Outsourcing an den Kunden für lange nicht beendet. „Die Pandemie hat diese Entwicklung zusätzlich getriggert“, sagt er. „Viele Anbieter von Dienstleistungen übertragen Aktivitäten auf ihre Kunden, um selbst Geld zu sparen. Das sieht man auch in der Medizin, etwa wenn es um Terminbuchungen bei Ärzten geht.“Die Ursachen? „Ganz klar Ziele der Kostensenkung“, so der Forscher, „nun auch mit bedingt durch die Energiekrise, und oft Personalmangel“.
Letztlich müsse Service einen Wert behalten, warnt Fassnacht. Sonst gebe es „nur noch so wenige Momente der Wahrheit, der Begegnung, dass die Loyalität abnimmt. Das kann am Ende zu Kundenschwund führen.“(Jan Petermann, dpa)