So sollen Schulen mehr Lehrer bekommen
Bis 2025 fehlen mindestens 25.000 Lehrkräfte. Jetzt präsentieren die engsten Berater der Kultusminister Vorschläge, um das Problem zu lösen – von Mehrarbeit bis Hybridunterricht. Einen davon lehnt Bayern kategorisch ab.
Berlin Mehrarbeit für Lehrkräfte, mehr selbstständiges Lernen und Hybrid-Unterricht: Einige der wichtigsten deutschen Bildungsexperten und -expertinnen haben Vorschläge präsentiert, um dem Lehrkräftemangel zu begegnen. „Der Mangel bedroht die Sicherstellung der Unterrichtsversorgung und beeinträchtigt auch die Qualität des Unterrichts“, heißt es in dem Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz (KMK). Die Forschenden nehmen an, dass bis 2025 in Deutschland 25.000 Lehrkräfte fehlen werden. Andere Studien kamen zuletzt zu deutlich höheren Ergebnissen.
Mehrere der nun vorgestellten Vorschläge werden in Bayern seit Jahren umgesetzt – etwa die „Umschulung“von bisher noch ausreichend vorhandenen Gymnasiallehrkräften auf personell geschwächte Schularten. Zum Teil auch die wichtigste Empfehlung der SWK: schlummernde Reserven bei den bereits vorhandenen Lehrkräften ausschöpfen. Das größte Potenzial liege bei den Teilzeitkräften: „Die SWK empfiehlt, die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit zu begrenzen“, heißt es in dem 40-Seiten-Papier. Tatsächlich arbeiten in Deutschland laut Studie 47 Prozent der Lehrkräfte in Teilzeit. Damit sie durch mögliche Mehrarbeit nicht schnurstracks in die Erschöpfung laufen, sollten demnach Maßnahmen zur Kinderbetreuung und zur Gesundheitsförderung angeboten werden. Überdies wird den Ländern geraten, pensionierte Lehrkräfte an die Schulen zurückzuholen. In Bayern geschieht das bereits auf freiwilliger Basis. Andere Maßnahmen sind ganz und gar nicht freiwillig. Schon 2020 hatte Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) Mehrarbeit an Grund-, Mittel- und Förderschulen angeordnet. Grundschullehrkräfte müssen seither eine Stunde pro Woche mehr unterrichten, Teilzeitkräfte an Grund-, Mittel- und Förderschulen müssen 24 Stunden pro Woche im Klassenzimmer stehen. Lehrkräfte an diesen Schularten dürfen bis auf Weiteres keine Anträge auf einen vorzeitigen Ruhestand vor dem Ende ihres 65. Lebensjahres stellen. Gegen den Mangel half das: Nach Berechnungen des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands brachte der Krisenplan allein 2020 einen Gewinn von fast 650 Vollzeit-Lehrerstellen. Die Stimmung an den betroffenen Schularten ist seitdem angespannt, wochenlange Proteste und Demonstrationen in ganz Bayern waren die Reaktionen.
Die Wissenschaftler schlagen auch vor, Unterrichtsformen zu prüfen, mit denen Kinder und Jugendliche künftig mehr selbstständig lernen. Solche Modelle, in denen die Lehrkraft Wissen vermittelt, das die Schülerinnen und Schüler dann in für sie zugeschnittenen Aufgaben eigenständig verinnerlichen, gelten auch aus pädagogischer Sicht als Modell der Zukunft. Ferner empfiehlt die SWK, ein aus Corona-Zeiten bekanntes Modell weiterzunutzen – zumindest in der gymnasialen Oberstufe: den Hybridunterricht, bei dem ein Teil der Schüler im Klassenzimmer lernt und der andere Teil per Videokonferenz zugeschaltet ist. So könnte man Klassen zusammenlegen. Das bayerische Kultusministerium hat dem noch am Freitag eine Absage erteilt: „Was euphemistisch als ‚Flexibilisierung durch Hybridunterricht und Erhöhung der Selbstlernzeiten’ bezeichnet wird, steht in Bayern nicht zur Diskussion. Die Pandemie hat vor Augen geführt, wie wichtig der Präsenzunterricht ist!“
In ihrem neuen Gutachten empfehlen die Berater die Schulen im Alltag durch Lehramts-Studierende und zusätzliches Personal in den Sekretariaten zu unterstützen, das Verwaltungsaufgaben übernimmt. Der erste Vorschlag wird nahezu flächendeckend schon umgesetzt, auch in Bayern stünde der
Unterricht ohne Hilfskräfte längst kurz vor dem Zusammenbruch. Der Ruf nach mehr Verwaltungspersonal ist seit Jahren laut. Allein an Gymnasien, das ergab eine Umfrage des Bayerischen Philologenverbands, würden 65 Prozent der Teilzeitkräfte mehr Unterrichtsstunden übernehmen, wenn sie sich mit weniger Bürokratie herumschlagen müssten.
Ein weiterer Vorschlag im neuen Gutachten: zugewanderten Pädagogen den Einstieg erleichtern. Laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft stellen pro Jahr bundesweit rund 2500 ausländische Lehrkräfte den Antrag, an deutschen Schulen arbeiten zu dürfen – 80 Prozent vergeblich.
Große Hoffnungen setzt die SWK in Quereinsteiger. Hatte man im bayerischen Kultusministerium dieses Wort lange gar nicht in den Mund genommen, kündigte Piazolo kürzlich an, in bestimmten Schularten und Fächern auch Bewerber ohne Lehramtsstudium zuzulassen, etwa Hochschulabsolventen von Physik bis Germanistik. Auf „250 Bewerber plus X“hofft der Minister pro Jahr.
Wie viele Lücken all die Maßnahmen am Ende stopfen können, ist noch nicht abzusehen. Dass sie 25.000 Lehrerstellen schaffen, bezweifelt selbst die SWK, die in ihrer Studie schreibt: „Das Problem des Lehrkräftemangels wird aller Voraussicht nach in den kommenden 20 Jahren bestehen bleiben.“