Wieder stirbt Schwarzer bei Polizeikontrolle
Gewalttat löst neue Debatte in USA aus
Washington Es ist ungewöhnlich, dass sich der amerikanische Präsident zu einem laufenden Gerichtsverfahren äußert. Am Donnerstag vergingen nur wenige Stunden von der Meldung, dass fünf Polizisten wegen der brutalen Tötung eines schwarzen Autofahrers angeklagt wurden, bis zur Stellungnahme von Joe Biden. Darin sprach der 80-Jährige nicht nur den Hinterbliebenen sein Beileid aus und versprach eine vollständige Aufklärung. Er schloss sich auch dem Aufruf der Familie zu friedlichen Demonstrationen an, mahnte aber: „Empörung ist verständlich, aber Gewalt ist nie akzeptabel.“
Der Appell des Weißen Hauses zeigt: Die gewaltsame Festnahme des 29-jährigen Tyre Nichols im Zuge einer Verkehrskontrolle vor drei Wochen in Memphis war „heimtückisch, rücksichtslos und inhuman“, wie es die örtliche Polizeichefin Cerelyn Davis formulierte. Und sie hat angesichts ihres Ablaufs, des Ortes und der offenbar extrem verstörenden Bilder das Potenzial, das von Rassismus und Polizeigewalt geprägte Amerika wie nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd im Mai 2020 erneut in Aufruhr zu versetzen.
Tyre Nichols arbeitete nach amerikanischen Medienberichten in der Spätschicht bei einem Paketdienst. Rund hundert Meter vom elterlichen Haus entfernt wurde er nach Angaben der Behörden von der Polizei wegen seines „rücksichtslosen Fahrstils“gestoppt. Danach soll er zu Fuß geflüchtet sein. Es kam zu mehreren „Konfrontationen“mit den Beamten. Drei Tage später starb er im Krankenhaus.
Was sich genau ereignet hat an diesem Abend, wird das ganze Land an diesem Wochenende auf mutmaßlich schockierenden Bildern sehen können. Die Staatsanwaltschaft wollte nämlich das rund einstündige Videomaterial, das von den Körperkameras der Polizisten und stationären Überwachungskameras festgehalten wurde, am Freitagabend um 18 Uhr Ortszeit (1 Uhr MEZ am Samstagmorgen) veröffentlichen.
Die Anwälte der Familie, die die Aufnahmen schon gesehen haben, beschreiben sie als „abscheulich“. Demnach haben die Polizisten Elektroschocker und Pfefferspray gegen Nichols eingesetzt, ihn gefesselt und drei Minuten lang brutal zusammengeschlagen.
Die Verteidiger vergleichen den Fall mit dem des Afroamerikaners Rodney King, der 1991 nach einer Verfolgungsjagd in Los Angeles von vier nicht-schwarzen Polizisten zusammengeschlagen wurde. Ihr Freispruch führte zu schweren Unruhen. Im aktuellen Fall handelt es sich bei den fünf mutmaßlichen Tätern freilich um Schwarze.