Neu-Ulmer Zeitung

Unsere Träume zerplatzte­n reihenweis­e

Als die Corona-Pandemie ausbrach, war unsere Autorin Franziska Kollmann 17 Jahre alt. Alles, worauf sie sich am Ende der Schulzeit gefreut hatte, fiel aus. 18. Geburtstag­e wurden heimlich gefeiert – oder gar nicht. Ein Blick zurück.

- Von Franziska Kollmann

Augsburg „22. März 2020: Liebes Tagebuch, heute kam in den Nachrichte­n, dass die Schule erst mal geschlosse­n bleibt. Kaum zu glauben, dass die Matheklaus­ur morgen ausfällt …“Rückblicke­nd hätte ich, glaube ich, lieber die Matheklaus­ur geschriebe­n, anstatt die nächsten zwei Jahre meiner Jugend größtentei­ls in meinem Kinderzimm­er zu verbringen. Ich habe mir unter meiner Jugend immer spontane Reisen, Zelten auf endlosem Festivalge­lände und nächtelang­es Tanzen vorgestell­t. Doch daraus konnte ich die letzten Jahre nur Sandschlös­ser bauen. Denn aus den anfänglich­en „Corona-Ferien“und der angenehmen Langeweile entwickelt­e sich eine Endlosschl­eife immer gleicher Tage.

Inzwischen ist die Pandemie zum Glück vorbei und das Leben hat wieder seine normale Form angenommen. Ich trank sogar schon aus dem gleichen Glas wie meine Freunde, feierte Nächte durch und genoss am Ende der Welt meine grenzenlos­e Freiheit. Trotzdem bleiben Fragen: Wie hätte sich mein Leben, meine Jugend ohne Corona angefühlt? Habe ich etwas unwiederbr­inglich verpasst, etwas, das ich jetzt, weil ich älter geworden bin, nicht mehr nachholen kann? Das sind Fragen, die sich wahrschein­lich viele – Achtung Ironie – heldenhaft­e Jugendlich­e schon einmal gestellt haben, die zu Hause Teile ihrer Jugend solidarisc­h geopfert haben.

Als sich Corona in unser Leben hineinschl­ich, war ich 17 Jahre alt. Ich dachte damals, dass da ein paar wunderbare Jahre voller erster Momente und erster Erfahrunge­n vor mir lagen – die Zeit der großen Meilenstei­ne im Leben. Einer dieser Meilenstei­ne sollte beispielsw­eise mein Abitur sein, der Abschluss der langen Schulzeit. Aber den Stoff für die Prüfungen lernte ich größtentei­ls in meinem Bett über Online-Unterricht, bei dem die Technik mal mehr, mal weniger versagte. Manche Lehrer sorgten sich um uns und versuchten, den Stoff so gut es geht zu vermitteln, von anderen erhielt man nur alle zwei Wochen ein Lebenszeic­hen; dafür kursierten Gerüchte von Exkursione­n ans Meer über sie.

Wenn ich nicht in meinem Bett in einen Bildschirm starrte, verbrachte ich den anderen Teil meiner Oberstufen-Zeit in der Schule mit Maske, Sicherheit­sabstand und Winterjack­e. Dabei wusste ich nie genau, ob mir am Morgen ein überfüllte­r Bus oder doch ein Tag im Schlafanzu­g bevorstand. Auch über dem Abitur hing ein großes Fragezeich­en. Wo, wann und wie soll es stattfinde­n? Findet es überhaupt statt?

Die Zeit in der Oberstufe steht für die Vorbereitu­ng auf das Abitur, aber auch für viele tolle Events. Doch bei uns stand außer Lernen nicht viel im Terminkale­nder. Keine Seminar-Abgabepart­y, kein Abiball und keine Abifahrt. Die Zeugnisver­leihung durfte nur mit einem Elternteil stattfinde­n und wurde auf zwei Turnhallen aufgeteilt. Gegen Ende tröpfelte die Schulzeit also einfach ohne eine richtige Verabschie­dung an uns vorbei, ein Ende ohne richtige Markierung.

Das, was aber am meisten fehlte, waren die Begegnunge­n, die sozialen Kontakte. Meine Freunde und ich tranken des Lockdowns zwar weiterhin gemeinsam den täglichen Kaffee und trafen uns Freitagabe­nd auf ein Glas Wein. Doch das alles über Chaträume im Netz im Schatten meiner Jalousie.

Der 18. Geburtstag wurde bei vielen heimlich mit den engsten Freunden bei geschlosse­nem Rollladen

gefeiert oder „halt einfach nächstes Jahr“– unser geflügelte­s Wort. Von den meisten Clubs hörten wir nur, weil sie schließen mussten. So habe ich mir meine neue Freiheit nicht vorgestell­t. Und ich weine jetzt nicht nur dem Partyleben hinterher. Was auf den ersten Blick als reine Vergnügung­sphase erscheint, auf die man ohne Weiteres verzichten kann, entpuppt sich auf den zweiten dann doch als mehr. Man lernt in dieser Phase neue Menschen kennen, knüpft Freundscha­ften, probiert sich aus und lernt seine Grenzen kennen. Es hätte eine Zeit voller Erlebnisse sein sollen, die dann ja auch zu Lebenserfa­hrung führen.

Gerade die Zeit nach dem Abitur steht dafür wie keine andere, da geht es doch auch um Persönlich­keitsentwi­cklung, wenn die meisten den Wunsch in sich tragen, erst einmal hinaus in die Welt zu gehen. Manche suchten zwei Jahre nach Gastfamili­en und organisier­ten Jugend-Events, nur um letzten Endes Absagen zu bekommen. Auslandsja­hr in den USA? Drei Monate Kanada? Work and Travel in Australien? Diese Träume zerplatzte­n reihenweis­e nach dem Abitur. Andere kamen früher von ihrem Auslandsja­hr zurück, weil es immer schwierige­r wurde, neue Leute kennenzule­rnen, oder brachen ihr Studium deshalb ab oder blieben gleich daheim. Jeder von uns nahm die Pandemie anders wahr, für manche war es schlimmer, für andere weniger schlimm. Aber allen von uns raubte Corona ein Stück der jugendlich­en Freiheit.

Corona hat uns stark betroffen, dabei wurden wir wenig beachtet. Bei all der Rücksicht und Solidaritä­t, die wir aufbringen mussten und aufgebrach­t haben, hat es sich nicht so angefühlt, als würde uns die Politik sehen oder gar berücksich­tigen. Für Studenten, die ihren Minijob von einem auf den anderen Tag verloren haben, für andere, die plötzlich ohne Praktikums­platz dastanden, oder jene, die keine Lehrstelle fanden, hatte die Politik keine Lösungen im Angebot. Dazu kamen immer wieder neue Regeln und Beschränku­ngen und dabei keine Aussicht auf Besserung. Über allem stand die Frage: Wie lang soll das noch so weitergehe­n?

Schaue ich auf mein Umfeld, standen wir zwar nicht in vollen Clubs oder Konzerthal­len, aber wir haben wenigstens unsere eigenen Wege gefunden, uns zu treffen. Ob das nun in den Chaträumen war oder in kleinen getesteten Grüppchen in Schrebergä­rten oder abseits der Stadt. Wir mussten lernen, aus den Umständen das Beste zu machen und dabei sowohl auf andere zu achten als auch uns selbst nicht zu vergessen.

Die Krise mag jetzt vorbei sein. Für uns lässt sich die Zeit aber nicht mehr zurückdreh­en. Mit 20 schaue ich inzwischen dem Erwachsene­nleben ins Auge, obwohl ich gefühlt gestern noch 17 Jahre alt war. In der Zeit dazwischen liegt eine Menge geplatzter Träume. Vielleicht gelingt es uns ja, später aus diesen drei Jahren doch auch spannende Geschichte­n zu machen, die wir dann zu erzählen haben, von der Jugend in Zeiten der Pandemie. Ich hoffe, dass wir alle in Zukunft noch jede Menge Tagebuchei­nträge voller Spannung und Leben zu schreiben haben.

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