Beim Bürgerdialog zum Mord bleiben Fragen offen: So äußert sich der Bund
Die Nichtabschiebung des verurteilten Vergewaltigers ließ beim Bürgerdialog zur tödlichen Messerattacke die Emotionen hochkochen. Was das Bundesinnenministerium dazu sagt.
Illerkirchberg Der Bürgerdialog in Illerkirchberg wurde ins Leben gerufen, um Anwohnerinnen und Anwohner der Gemeinde im Zusammenhang mit der tödlichen Messerattacke von Anfang Dezember zu informieren. Doch die Emotionen kochten zum Teil hoch. Für den größten Unmut sorgte die Nichtabschiebung des nach der Halloween-Vergewaltigung von 2019 verurteilten Afghanen Mukhtar N., der nach seiner Haftentlassung wieder in den Ort zurückkehrte. Ein gewaltiges Raunen ging durch die Gemeindehalle, als ein Vertreter des Justizministeriums zu verstehen gab, dass für eine Rückführung eigentlich alle Voraussetzungen vom Land Baden-Württemberg geschaffen wären, es aber einzig an der fehlenden Unterstützung seitens des Bundes scheiterte. Ein Vertreter des Bundesinnenministeriums (BMI) war vergangene Woche nicht anwesend. Auf Nachfrage äußert sich nun ein BMI-Sprecher zu offengebliebenen Fragen.
Denn die gab es nach der knapp dreistündigen Veranstaltung zuhauf, darunter folgende: Warum wurde der Afghane nach seiner
Haftentlassung nicht abgeschoben? Warum unterstützt der Bund die Maßnahme nicht? Was ist aus Sicht des Bundes notwendig, dass es zu dieser Abschiebung kommt? Wann ist damit zu rechnen?
Konkrete Antworten darauf aber werden vom BMI nicht gemacht. Für den Vollzug von Abschiebungen seien die Länder zuständig. Erklärungen zur derzeitigen Situation gibt es dennoch, so heißt es: Mit dem Sturz der afghanischen Regierung durch die Taliban im Jahr 2021 seien die Abschiebungen ausgesetzt worden, und auch aktuell gebe es noch „grundsätzliche Schwierigkeiten“, die dafür sorgen würden, dass die Rückführungen nicht wieder aufgenommen werden könne. Voraussetzung dafür wären unter anderem eine Verständigung mit dem Heimatland über verschiedene Modalitäten. So zum Beispiel die Identifizierung, das Ausstellen von Passersatzdokumenten sowie das konkrete Rückführungsverfahren selbst. Hinzu komme ein weiteres „grundlegendes und maßgebliches“Kriterium: die Lage im afghanischen Luftraum und am Flughafen Kabul, die einen sicheren Luftverkehr zulässt. Doch eine Verhandlung hierzu mit den Taliban sei derzeit nicht möglich, so der BMI-Sprecher. Und für die
Bundesregierung sei derzeit auch nicht absehbar, wann und unter welchen Bedingungen der Bund die Länder bei Rückführungen im Einzelfall und generell wieder unterstützen könne. Die Lage-Entwicklung in Afghanistan solle weiterhin beobachtet und die Möglichkeit von Rückführungen sorgfältig im Auge behalten werden.
Ausführungen, die Bewohnerinnen und Bewohnern in Illerkirchberg vermutlich nicht ausreichen oder gar befriedigen. So hatte eine Frau beim Bürgerdialog danach gefragt, was sie als Gemeinde konkret tun könnten, damit der Mann abgeschoben wird: „Wir sammeln auch dafür, wenn das Geld nicht reicht“, so ihre Worte. Doch an der Finanzierung dürfte es nicht scheitern.
Das Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg hält indes die Position des Bundes für falsch – und Abschiebeflüge nach Afghanistan durchaus für möglich. Es gebe Verhandlungen mit den Taliban und es gebe Flüge, mit denen afghanische Ortskräfte nach Deutschland gebracht würden. Also müssten auch Flüge nach Afghanistan möglich sein. Abschiebungen seien lediglich eine Frage des Vollzugs, und für den habe sich das Ministerium „intensiv beim Bund“starkgemacht, so ein Sprecher gegenüber unserer Redaktion.
Das Landesministerium setzt sich seit mehreren Monaten dafür ein, dass schwer straffällig gewordene Geflüchtete nach Afghanistan zurückgebracht werden. Zumindest dann, wenn es keinen Hinderungsgrund wie eine schwere Krankheit gibt. Ministerin Marion Gentges und Staatssekretär Siegfried Lorek (beide CDU) hatten in Schreiben an Bundesinnenministerin
Nancy Faeser (SPD) und ihr Ministerium den Illerkirchberger Fall des Mukhtar N. konkret als Beispiel genannt.
Doch jener Afghane, der zwischenzeitlich als verschwunden galt, aber laut Landgericht Ulm in Kontakt mit der Bewährungshilfe stehen soll, war nicht der Einzige, der damals wegen der Vergewaltigung einer 14-Jähriger in einer Flüchtlingsunterkunft in Illerkirchberg auf der Anklagebank saß. Drei weitere Männer wurden verurteilt. Ein Mittäter ist nach seiner Haftentlassung am 24. Mai vergangenen Jahres in sein Heimatland Irak abgeschoben worden, wie das Regierungspräsidium Tübingen mitteilte. Der damals 15-Jährige war wegen Vergewaltigung in drei Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Ein anderer befinde sich seit seiner Verurteilung im Jahr 2021 ununterbrochen in Haft, und diese dauere auch noch für längere Zeit an, so das hier zuständige Regierungspräsidium Stuttgart. Der vierte Mann unterliege ähnlich wie Mukhtar N. Maßnahmen der sogenannten Führungsaufsicht, einer Bewährungshilfe. Beide sind ebenfalls afghanische Staatsangehörige und könnten derzeit nicht abgeschoben werden.