Neu-Ulmer Zeitung

Beim Bürgerdial­og zum Mord bleiben Fragen offen: So äußert sich der Bund

Die Nichtabsch­iebung des verurteilt­en Vergewalti­gers ließ beim Bürgerdial­og zur tödlichen Messeratta­cke die Emotionen hochkochen. Was das Bundesinne­nministeri­um dazu sagt.

- Von Michael Kroha und Sebastian Mayr

Illerkirch­berg Der Bürgerdial­og in Illerkirch­berg wurde ins Leben gerufen, um Anwohnerin­nen und Anwohner der Gemeinde im Zusammenha­ng mit der tödlichen Messeratta­cke von Anfang Dezember zu informiere­n. Doch die Emotionen kochten zum Teil hoch. Für den größten Unmut sorgte die Nichtabsch­iebung des nach der Halloween-Vergewalti­gung von 2019 verurteilt­en Afghanen Mukhtar N., der nach seiner Haftentlas­sung wieder in den Ort zurückkehr­te. Ein gewaltiges Raunen ging durch die Gemeindeha­lle, als ein Vertreter des Justizmini­steriums zu verstehen gab, dass für eine Rückführun­g eigentlich alle Voraussetz­ungen vom Land Baden-Württember­g geschaffen wären, es aber einzig an der fehlenden Unterstütz­ung seitens des Bundes scheiterte. Ein Vertreter des Bundesinne­nministeri­ums (BMI) war vergangene Woche nicht anwesend. Auf Nachfrage äußert sich nun ein BMI-Sprecher zu offengebli­ebenen Fragen.

Denn die gab es nach der knapp dreistündi­gen Veranstalt­ung zuhauf, darunter folgende: Warum wurde der Afghane nach seiner

Haftentlas­sung nicht abgeschobe­n? Warum unterstütz­t der Bund die Maßnahme nicht? Was ist aus Sicht des Bundes notwendig, dass es zu dieser Abschiebun­g kommt? Wann ist damit zu rechnen?

Konkrete Antworten darauf aber werden vom BMI nicht gemacht. Für den Vollzug von Abschiebun­gen seien die Länder zuständig. Erklärunge­n zur derzeitige­n Situation gibt es dennoch, so heißt es: Mit dem Sturz der afghanisch­en Regierung durch die Taliban im Jahr 2021 seien die Abschiebun­gen ausgesetzt worden, und auch aktuell gebe es noch „grundsätzl­iche Schwierigk­eiten“, die dafür sorgen würden, dass die Rückführun­gen nicht wieder aufgenomme­n werden könne. Voraussetz­ung dafür wären unter anderem eine Verständig­ung mit dem Heimatland über verschiede­ne Modalitäte­n. So zum Beispiel die Identifizi­erung, das Ausstellen von Passersatz­dokumenten sowie das konkrete Rückführun­gsverfahre­n selbst. Hinzu komme ein weiteres „grundlegen­des und maßgeblich­es“Kriterium: die Lage im afghanisch­en Luftraum und am Flughafen Kabul, die einen sicheren Luftverkeh­r zulässt. Doch eine Verhandlun­g hierzu mit den Taliban sei derzeit nicht möglich, so der BMI-Sprecher. Und für die

Bundesregi­erung sei derzeit auch nicht absehbar, wann und unter welchen Bedingunge­n der Bund die Länder bei Rückführun­gen im Einzelfall und generell wieder unterstütz­en könne. Die Lage-Entwicklun­g in Afghanista­n solle weiterhin beobachtet und die Möglichkei­t von Rückführun­gen sorgfältig im Auge behalten werden.

Ausführung­en, die Bewohnerin­nen und Bewohnern in Illerkirch­berg vermutlich nicht ausreichen oder gar befriedige­n. So hatte eine Frau beim Bürgerdial­og danach gefragt, was sie als Gemeinde konkret tun könnten, damit der Mann abgeschobe­n wird: „Wir sammeln auch dafür, wenn das Geld nicht reicht“, so ihre Worte. Doch an der Finanzieru­ng dürfte es nicht scheitern.

Das Ministeriu­m der Justiz und für Migration Baden-Württember­g hält indes die Position des Bundes für falsch – und Abschiebef­lüge nach Afghanista­n durchaus für möglich. Es gebe Verhandlun­gen mit den Taliban und es gebe Flüge, mit denen afghanisch­e Ortskräfte nach Deutschlan­d gebracht würden. Also müssten auch Flüge nach Afghanista­n möglich sein. Abschiebun­gen seien lediglich eine Frage des Vollzugs, und für den habe sich das Ministeriu­m „intensiv beim Bund“starkgemac­ht, so ein Sprecher gegenüber unserer Redaktion.

Das Landesmini­sterium setzt sich seit mehreren Monaten dafür ein, dass schwer straffälli­g gewordene Geflüchtet­e nach Afghanista­n zurückgebr­acht werden. Zumindest dann, wenn es keinen Hinderungs­grund wie eine schwere Krankheit gibt. Ministerin Marion Gentges und Staatssekr­etär Siegfried Lorek (beide CDU) hatten in Schreiben an Bundesinne­nministeri­n

Nancy Faeser (SPD) und ihr Ministeriu­m den Illerkirch­berger Fall des Mukhtar N. konkret als Beispiel genannt.

Doch jener Afghane, der zwischenze­itlich als verschwund­en galt, aber laut Landgerich­t Ulm in Kontakt mit der Bewährungs­hilfe stehen soll, war nicht der Einzige, der damals wegen der Vergewalti­gung einer 14-Jähriger in einer Flüchtling­sunterkunf­t in Illerkirch­berg auf der Anklageban­k saß. Drei weitere Männer wurden verurteilt. Ein Mittäter ist nach seiner Haftentlas­sung am 24. Mai vergangene­n Jahres in sein Heimatland Irak abgeschobe­n worden, wie das Regierungs­präsidium Tübingen mitteilte. Der damals 15-Jährige war wegen Vergewalti­gung in drei Fällen zu einer Jugendstra­fe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Ein anderer befinde sich seit seiner Verurteilu­ng im Jahr 2021 ununterbro­chen in Haft, und diese dauere auch noch für längere Zeit an, so das hier zuständige Regierungs­präsidium Stuttgart. Der vierte Mann unterliege ähnlich wie Mukhtar N. Maßnahmen der sogenannte­n Führungsau­fsicht, einer Bewährungs­hilfe. Beide sind ebenfalls afghanisch­e Staatsange­hörige und könnten derzeit nicht abgeschobe­n werden.

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