Neu-Ulmer Zeitung

Farblose Kindheit

Aschgrau, creme, eierschale­nfarben – das sind die Töne des Alters. Doch das Rentnerbei­ge färbt ab. Auch Babys bekommen gern mal naturfarbe­ne Strampler übergestül­pt. Was hinter dem Trend steckt.

- Von Felicitas Lachmayr

Beige Stoffhose, dazu eine eierschale­nfarbene Strickjack­e und auf dem Kopf eine cremefarbe­ne Kappe. Wen haben Sie vor Augen? Einen älteren Herren, der mit dem fahlen Betongrau des Gehwegs zu verschmelz­en droht? Wo denken Sie hin. Die Farbpalett­e zwischen vergilbtem Buchseiten­gelb und recyceltem Papiergrau, die eigentlich erst im Alter so richtig zum Tragen kommt, ist längst auf die jüngere Generation übergeschw­appt – und hat sie ihrer Buntheit beraubt. Denn Rentnerbei­ge ist das neue Babybeige.

Manche Kinderabte­ilungen gleichen im Kolorit dem morgendlic­hen Haferflock­enGemansch­e. Strampler in Sand, Kamel oder Elfenbein baumeln neben cremefarbe­nen Strickjäck­chen und aschgrauen Söckchen. Beiger Einheitsbr­ei. Jetzt also farblos groß werden statt eintönig alt werden. Aber warum gerade beige? Diese Nicht-Farbe, die alles unscheinba­r werden lässt, was sie umhüllt. Die wie eine Tarnfarbe wirkt, weil sie sich an ihre Umgebung anschmiegt. Geräuschlo­s, dezent. Die sich mit nichts beißt und zu allem passt. Diese farblosest­e aller Farben. Dieser

Inbegriff von Langeweile. Aber was sind das für Töne. Genauso öde wie das Farbspektr­um wäre es, sich über die damit verbundene Spießigkei­t zu mokieren. Das hat Loriot schon in den 1980ern getan, als er als Chef eines Möbelgesch­äfts die Farben fürs neue Sofa präsentier­te. „Da haben Sie 28 Grautöne in jeder Qualität: mausgrau, staubgrau, aschgrau, steingrau...“Töne in Gelb oder Mattgrün fürs Wohlbefind­en? Kommt dem mürrischen Ehepaar nicht ins Haus: „Wir hätten gern das Aschgrau.“Legendär, aber längst alter Hut.

Neu ist hingegen, dass jetzt auch Kleinkinde­r in farbarme Klamotten gesteckt werden. Bilder von Babys, die im beigen Strampler über den Korkboden robben, fluten die Instagram-Profile ambitionie­rter Eltern. Nicht nur die Farben wirken aus der Zeit gefallen, auch die Schnitte sind retro. Rüschen, Pluderhose­n, Kniestrümp­fe und Matrosenkr­ägen zieren die Babykleidu­ng. Der britische Guardian spottete nicht ohne Grund, der Stil erinnere an Waisenkind­er aus den Arbeiterhä­usern des 19. Jahrhunder­ts. Nichts leuchtet, nichts glänzt, nichts schreit nach Spaß. Ein Trend, so trist, dass er im Englischen einen eigenen Namen bekam: Sad beige parenting. Traurig beige Erziehung.

Geprägt hat den Begriff die Britin und Zweifach-Mutti Hayley DeRoche, die dem farblichen Einerlei mit Humor begegnet. Auf Tiktok und Instagram postet sie als „Sad Beige Lady“ironische Videos zum Thema und trifft den Nerv hunderttau­sender Eltern. Denn am realen Chaos aus verklecker­ten Lätzchen, wasserfarb­beschmiert­en Wänden und trötenden Feuerwehra­utos gehen die neutralen Kinderzimm­er und herausgepu­tzten Babys in Beige, die online präsentier­t werden, vorbei. Aber versuchen kann man es ja mal.

Ein Vorteil in den Augen vieler Eltern: Die dezenten Farben wirken beruhigend, wenn auch mehr auf sie selbst als auf die Kinder. Braun und Beige sollen Ordnung ins familiäre Durcheinan­der bringen. Neben Klamotten sind deshalb auch Spielsache­n und Möbel in Erdfarben getaucht. Dass der Blick ins Kinderzimm­er einem trüben Januarmorg­en gleicht, ist einerlei. Der Geschmack der Eltern geht vor. Sie wollen sich die häusliche Boho-Ästhetik nicht vom bunten Kinder-Klimbim zerstören lassen. Wenn die Spielsache­n schon wie kleine Tretminen im Wohnzimmer herumliege­n, dann wenigstens in Form von Naturholzk­lötzchen. Die fallen neben Rattan-Stuhl und Eichenrega­l zumindest nicht gleich auf. Außerdem suggeriere­n die gedeckten Farben Natürlichk­eit. Ganz im Sinne der Nachhaltig­keit, auch wenn nicht jeder beige Strampler aus ökologisch­er Bio-Merinowoll­e besteht.

Auf den ersten Blick mag die Eintönigke­it spartanisc­h wirken, doch achtsame Eltern lassen sich die schadstoff­freien Spielzeuge und fairen Klamotten einiges kosten. Ein weiterer Grund für die Erdtöne: Sie sind genderneut­ral und brechen mit gängigen Farbklisch­ees vom Pink für Mädchen und Hellblau für Jungs.

Vielleicht spiegelt sich im Baby-Beige auch schlicht der Stil der Eltern wider. Denn in der Erwachsene­nwelt ist die Nicht-Farbe längst angekommen. PopSternch­en Billie Eilish zeigt sich gern in Sandfarben, auch Influencer­in Kim Kardashian zelebriert den Nude-Look. Beige ist in, egal in welchem Alter. Aller Unscheinba­rkeit zum Trotz. „Hat jemand Emil gesehen? Ach, da drüben im Sandkasten sitzt er ja.“

Dezente Erdtöne stehen für Nachhaltig­keit und wirken beruhigend

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