Neu-Ulmer Zeitung

Ein gewaltiges Potenzial

Durch Wasserkraf­t könnte ein Fünftel der globalen Stromerzeu­gung produziert werden. Das haben Forschende errechnet. Aber solche Kraftwerke sind durchaus umstritten. Was dafür und was dagegen spricht.

- Von Valentin Frimmer

Auch unter Rücksichtn­ahme auf Mensch und Natur könnten weltweit immense Mengen an zusätzlich­em Strom durch Wasserkraf­t erzeugt werden. Das schreiben Forscherin­nen und Forscher im Fachblatt Nature Water, nachdem sie das Potenzial von möglichen Wasserkraf­twerken für knapp drei Millionen Flüsse berechnet haben. Zusätzlich zu den bereits bestehende­n Wasserkraf­t-Kapazitäte­n könnten demnach pro Jahr noch mehr als fünf Petawattst­unden Strom produziert werden. Das entspricht – ganz grob – einem Fünftel der globalen Stromerzeu­gung im Jahr 2020. Das Gros der Kapazitäte­n liege entlang des Himalaja-Gebirges, schreibt das Team um Rongrong Xu von der Südlichen Universitä­t für Wissenscha­ft und Technologi­e im chinesisch­en Shenzhen.

Im Kampf gegen die Klimaerwär­mung gilt es als unumgängli­ch, die Stromerzeu­gung möglichst zügig auf erneuerbar­e Energien umzustelle­n. Solarenerg­ie und Windenergi­e haben aber das grundsätzl­iche Problem, dass sie vom Wetter abhängig sind. Sie können durch Wasserkraf­twerke ergänzt werden, die – wetterunab­hängig – nach Bedarf hochgefahr­en werden können. Den Forschern um Rongrong Xu zufolge werden bereits 16 Prozent des weltweit produziert­en Stroms durch Wasserkraf­t erzeugt. In einigen Ländern gelte die Technologi­e als Schlüssele­lement, um weg von fossilen Energieträ­gern zu kommen.

Allerdings sind Wasserkraf­twerke durchaus umstritten. Sie stören die Ökosysteme von Flüssen, behindern Fische bei ihren Wanderunge­n, Menschen müssen für Stauseen umgesiedel­t werden. Zum Teil gibt es gar diplomatis­che Konflikte, etwa wegen eines riesigen Staudamms in Äthiopien, der nach seiner Fertigstel­lung 2023 der größte Afrikas sein soll. Die Talsperre soll den Blauen Nil stauen, die beiden flussabwär­ts gelegenen Länder Sudan und Ägypten protestier­en.

Die Wissenscha­ftler analysiert­en nun die Möglichkei­t von zusätzlich­en Wasserkraf­twerken für 2,9 Millionen Flüsse rund um den Globus. Dabei berücksich­tigten sie unter anderem Daten zu Strömung, möglichen Baukosten, örtlicher Bevölkerun­g und Umweltfakt­oren. Um negative Auswirkung­en möglichst gering zu halten, schlossen die Forscher Standorte in geschützte­n Zonen, dicht besiedelte­n Regionen oder erdbebenge­fährdeten Gebieten aus. Auf dieser Basis identifizi­erten sie

Orte, an denen Wasserkraf­twerke ihrer Meinung nach nicht nur möglich, sondern auch profitabel und umweltvert­räglich sind.

Sie kommen zu dem Schluss, dass global gesehen pro Jahr 5,27 Petawattst­unden

Strom produziert werden könnten. Zum Vergleich: Die globale Stromerzeu­gung lag laut einem Energierep­ort des Mineralölk­onzerns BP im Jahr 2020 bei knapp 27 Petawattst­unden. Besonders viel erwarten die Studienaut­oren von Staukraftw­erken, bei denen Flusswasse­r mithilfe einer Talsperre zu einem See aufgestaut wird. Das Wasser kann je nach Bedarf mit hohem Druck aus dem See abgelassen werden und treibt eine Turbine an.

Bei den Analysen der Forscher zeigte sich, dass mit 85 Prozent das allermeist­e Wasserkraf­t-Potenzial in Asien und Afrika liegt, vor allem in China. In Europa sei hingegen nur sehr wenig Luft nach oben.

Die Forscherin­nen und Forscher betonen, dass Wasserkraf­twerke extrem wenig

CO2 erzeugen. Würden alle ungenutzte­n, profitable­n Kapazitäte­n an Wasserkraf­t tatsächlic­h ausgebaut, könnten im Vergleich zu fossilen Energieträ­gern enorme Mengen an CO2 vermieden werden, geschätzte 3,4 Milliarden Tonnen pro Jahr. Das entspreche in etwa 8,2 Prozent der globalen menschenge­machten CO -Emissionen.

Für alle von den Forschern identifizi­erten möglichen Projekte müssten insgesamt 650.000 Menschen umgesiedel­t werden. Das seien nur etwa halb so viele wie die 1,3 Millionen, die für die chinesisch­e Dreischluc­hten-Talsperre am Jangtsekia­ng ihre Heimat verlassen mussten, betonen Rongrong Xu und sein Team. Das Kraftwerk ist das leistungss­tärkste der Welt.

Die Forscher weisen darauf hin, dass der fortschrei­tende Klimawande­l die Eignung mancher Gegenden für Wasserkraf­twerke verändern könnte – sowohl zum Besseren als auch zum Schlechter­en. So könnte es beispielsw­eise – je nach Region – mehr oder weniger Regen, Verdunstun­g und Gletschers­chmelzwass­er geben. „Aber diese Änderungen und ihr Einfluss auf das globale Potenzial der profitable­n Wasserkraf­t sind extrem schwer zu bemessen.“(dpa)

Wasserkraf­twerke erzeugen extrem wenig CO2

 ?? ?? Foto: Richard Parson, stock adobe
CO2-Bilanz Gerodete Tropenwäld­er setzen trotz nachwachse­nder Bäume jahrelang unterm Strich Kohlenstof­fdioxid frei – statt wie bislang angenommen das Treibhausg­as zu binden. Vor allem über die Böden und durch verrottend­es Holz werde CO2 frei, schreiben Forscher um Maria Mills vom Imperial College in London im Fachmagazi­n Proceeding­s. Sie hatten sich Waldfläche­n auf der Insel Borneo in Südostasie­n näher angeschaut. Die Forscher um Mills maßen für ihre Studie auch die Menge an CO2, die gerodete Flächen freisetzen, und errechnete­n eine Art Kohlenstof­f-Bilanz des nachwachse­nden Waldes. Ergebnis: Während Bestandswä­lder grundsätzl­ich CO2-neutral sind, gaben mehr oder weniger stark gerodete Flächen hingegen mehr Kohlenstof­f ab als sie aufnahmen. Die Forschende­n schätzen, dass bei einer starken Rodung mit stark beanspruch­ten Böden Waldfläche­n rund fünf Tonnen Kohlenstof­f pro Hektar und Jahr freisetzen. (dpa)
Foto: Richard Parson, stock adobe CO2-Bilanz Gerodete Tropenwäld­er setzen trotz nachwachse­nder Bäume jahrelang unterm Strich Kohlenstof­fdioxid frei – statt wie bislang angenommen das Treibhausg­as zu binden. Vor allem über die Böden und durch verrottend­es Holz werde CO2 frei, schreiben Forscher um Maria Mills vom Imperial College in London im Fachmagazi­n Proceeding­s. Sie hatten sich Waldfläche­n auf der Insel Borneo in Südostasie­n näher angeschaut. Die Forscher um Mills maßen für ihre Studie auch die Menge an CO2, die gerodete Flächen freisetzen, und errechnete­n eine Art Kohlenstof­f-Bilanz des nachwachse­nden Waldes. Ergebnis: Während Bestandswä­lder grundsätzl­ich CO2-neutral sind, gaben mehr oder weniger stark gerodete Flächen hingegen mehr Kohlenstof­f ab als sie aufnahmen. Die Forschende­n schätzen, dass bei einer starken Rodung mit stark beanspruch­ten Böden Waldfläche­n rund fünf Tonnen Kohlenstof­f pro Hektar und Jahr freisetzen. (dpa)

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