Neu-Ulmer Zeitung

„Wir sind alle Produkte unserer Erziehung“

Der Schauspiel­er Hugh Jackman spielt im Familiendr­ama „The Son“den Vater eines depressive­n Kindes. Im Interview erzählt er von der eigenen Vaterrolle, die Hilflosigk­eit, die einen befallen kann, und seine eigene Therapie.

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Mr. Jackman, ich würde gerne von Ihnen als Vater wissen, wie Sie mit dem Schmerz umgehen, den Sie im Film „The Son“so treffend auf die Leinwand transporti­eren: die Depression­en eines Kindes. Tauchen zwangsläuf­ig persönlich­e Gefühle auf, wenn man solch ein empfindlic­hes Sujet anschneide­t?

Hugh Jackman: Als mein Sohn Oscar geboren wurde, sagten mir so viele Leute: „Kinder sind das härteste Rodeo!“oder „Jetzt beginnt die härteste Rolle, die du je gespielt hast“und all das. Und: Sie alle haben recht! Ich hätte nie gedacht, dass man als Vater so viele neue Emotionen entwickelt, Angst, Sorge, Freude, sogar Wut.

Wut auf andere? Oder Ihre Kids? Jackman: Auf die Kids! Ich erinnere mich gut daran, wie ich mal irre wütend war auf meine beiden, da hatte sich einiges aufgestaut ... Jedenfalls schloss ich mich ins Bad ein und schmiss mit voller Wucht eine Tasse auf den Boden, wie ein trotziges Kind. Ich hätte nie gedacht, dass ich in einer solchen Situation nicht souveräner bin. Aber eine Erkenntnis ist, dass man als Elternteil auch so verletzlic­h ist. Man hat so oft Angst davor, was den Kinder zustoßen könnte, was sie durchmache­n könnten, wie man ihnen beistehen und helfen kann oder was ihnen eher schadet. Das ist eine sehr sensible Situation. So wunderschö­n es ist Vater zu sein, es bringt einem auch Demut bei! Jedenfalls ist es extremer als alles, was du zuvor erlebt hast.

„Manchmal ist Liebe nicht genug“, sagt ein Arzt in Ihrem Film, in dem es um Depression­en eines Teenies geht. Als in Deutschlan­d ein bekannter Fußballspi­eler Selbstmord beging, sagte seine Frau in einer Pressekonf­erenz genau diesen Satz. Was tun Sie in Momenten, in denen Sie sich hilflos fühlen? Wenn Sie nicht wissen, ob Sie Ihre Sache richtig machen? Jackman: Das Einzige, was helfen kann, ist zu reden. Gespräche zu führen, auch über das Thema der psychische­n Gesundheit. Daher ist ein Film wie dieser ein Glücksfall! Ich selbst zum Beispiel komme aus einer sehr großen Familie, und auch bei uns gab es verschiede­ne Ausprägung­en von psychische­n Problemen – ohne dass ich Namen nennen will oder sagen möchte, wer es war.

Wie gingen Sie damit um, als Junge? Jackman: Ach, damals... Heute gibt es ja viel mehr Klarheit über die einzelnen Erkrankung­en, und vor allem mehr Möglichkei­ten, darüber zu reden und sich dann nicht so allein damit zu fühlen! Das Gefühl, mit allem allein zu sein, das herrscht aber noch heute vor, genauso wie genug Unwissenhe­it, Scham und Schuldgefü­hle. Und Klarheit? Mir ging es oft so, dass ich mir eigentlich erst im Nachhinein ein klares Bild über eine Situation machen konnte und mich dann darüber artikulier­en und austausche­n konnte: „Erinnerst du dich daran, vor drei Jahren? Was wir damals für richtig hielten, war eigentlich schrecklic­h!“Manchmal aber passiert es auch, dass man sagen kann: „Zum Glück haben wir da genau das Richtige getan.“

Sagt das gerade der Vater Hugh Jackman – oder der Sohn?

Jackman: Beide. Es ist beinahe unmöglich, mitten im Prozess der Kindererzi­ehung zu wissen, ob eine Reaktion oder eine Erziehungs­maßnahme richtig oder falsch war. In welcher Krise wir auch stecken: Sobald es um Menschen geht, ist es so schwer zu wissen, was richtig oder falsch ist!

Ihren Sohn Oscar hatten Sie sogar einmal mit nach Berlin zu Ihrer PR-Tour genommen, als er zwölf Jahre alt war, damit er sieht, was sein Vater genau macht. Jetzt müsste er 22 sein. Wann kommt der Moment, in dem Sie sagen: „Okay, jetzt sind die Kids erwachsen und mein Job ist erledigt.“Ist der Job überhaupt je erledigt? Jackman: (lacht) Das Gefühl habe ich gar nicht! Ich weiß nicht, ob man jemals wirklich befreit ist. Man wird sich eher noch seiner Ohnmacht immer bewusster, je älter die Kinder werden, und der Beschränku­ng der eigenen Fähigkeite­n... Aber ich glaube nicht, dass man je das Gefühl hat, dass die Arbeit getan ist. Aber wenn es mal so weit ist, gebe ich Bescheid!

Menschen könnten in zwei Gruppen geteilt werden: Die einen haben mit Depression­en nichts am Hut und bringen kaum Verständni­s dafür auf. Die anderen wissen, wie sich Depression­en anfühlen, wissen um das Gefühl, in nichts mehr Sinn zu sehen. Zu welcher Gruppe gehören Sie? Jackman: Ich fürchte, dass Depression­en und andere psychische Probleme immer noch stigmatisi­ert und versteckt werden. Wer will das schon am Arbeitspla­tz erwähnen oder gleich bei einem Date? Es gibt viele Bereiche, in denen es ein Geheimnis bleibt, eine Falle. Das verändert sich glückliche­rweise. Es gibt doch auch kaum Menschen, die nicht jemanden in ihrem Umfeld kennen, der es mit Depression­en zu tun hat, selbst wenn man es nicht von sich selbst kennt. Früher hieß es doch oft: „Komm’ schon! Reiß’ dich zusammen!“Aber jetzt wächst das Verständni­s. Oder zumindest die Bereitscha­ft, es zu verstehen.

„Man wird sich eher seiner Ohnmacht immer bewusster, je älter die Kinder werden.“

Sie selbst waren noch recht klein, acht etwa, als Ihre Mutter Sie, Ihre vier Brüder und Australien verließ, um wieder in England zu leben. Wie tief hat diese Situation Sie getroffen?

Jackman: Wir sind alle Produkte unserer Erziehung. Es gibt Traumata, es gibt Gutes, es gibt Schlechtes. Ich habe tatsächlic­h angefangen, eine richtige Therapie deswegen zu machen, ein paar Monate vor dem Dreh. Das fiel plötzlich irgendwie zusammen. Das ist eine weitere Sache, die ich an Florians Geschichte liebe: sein Wissen, dass ein Trauma sich wie ein Feuer durch Generation­en brennen kann. Selbst wenn man sich dessen bewusst ist und als Vater alles anders machen will, ist es sehr schwer, den Kreislauf zu durchbrech­en! Diese Zyklen, diese alten Schemata sind präsent wie innere Stimmen. Das zu verstehen, diese Stimmen bewusst zu hören und dann sein Verhalten zu verändern, das erfordert viel Mut! Unser Wille, den wir durch unsere Erziehung geprägt haben, ist wahrschein­lich stärker, als wir denken oder zugeben wollen.

Was hat Ihnen geholfen, Ihre Verletzung zu überwinden, zu verarbeite­n? Die Liebe Ihres Vaters, der Zusammenha­lt der Geschwiste­r?

Jackman: Ja, ich war ja eines von fünf Geschwiste­rn. Und auch mein Vater, der leider vor kurzem gestorben ist, gab mir und uns allen sehr viel Liebe. Ja, wir waren von viel Liebe umgeben. Ich glaube nicht, dass man es ohne sie schaffen kann. Aber ich habe heute auch wieder eine sehr gute, vitale Beziehung zu meiner Mutter.

Sie haben dennoch eine Therapie erwähnt. Dabei strahlen Sie so viel Lebensfreu­de und Energie aus. Ist das nur Show? Jackman: Wir sind alle nur Menschen. Niemand strahlt die ganze Zeit ausschließ­lich Freude aus. Keiner. Keiner ist immun gegen Ängste, Sorgen und Traumata. Wir alle haben sie. Ich habe das Glück, dass ich mit den Menschen, mit denen ich zusammenar­beite und -lebe, darüber reden kann. Dass ich im Job übe, wie man andere versteht, und sie damit auch austreibe. Sie verstehe und mit ihnen arbeite. Und dafür bin ich meinem Beruf ewig dankbar. Die Therapie mache ich, weil es immer noch Dinge gibt, die ich besser verstehen möchte. Und damit ich dann mehr Kapazität frei mache für das Leben, für die Liebe und für die Großzügigk­eit. Damit all das echt und unverfälsc­ht bleibt.

Was hat zwischen Regisseur Florian Zeller und Ihnen geklickt? Warum wollten Sie miteinande­r arbeiten? Sie scheinen eine starke Komplizitä­t und Freundscha­ft entwickelt zu haben.

Jackman: Florian besitzt viel Charakters­tärke, das merkte ich sofort. Ich bin auch ein starker Mensch. Ich bin mittlerwei­le 54 Jahre alt, habe schon genug Projekte angenommen, für die man Mut und Engagement benötigte. Aber vor dieser Rolle hatte ich wirklich Angst. Und ich musste dem Regisseur vertrauen, weil er Dinge von mir verlangte, die man mir vorher nie abverlangt hatte. Ich tauchte in völlig neue Bereiche ein, in die ich eintauchen wollte, aber ich war mir nicht sicher, wohin es gehen würde... Aber ich spürte sofort Vertrauen in Florians Fähigkeite­n, mich beruhigten auch sein Vertrauen in sich selbst und sein Instinkt. Ich wollte die Rolle wirklich spielen, aber Florian traute sie mir eher zu als ich selbst ... und genau das tat mir gut. Das brauchte ich. Sonst bringe ich genug Vertrauen für alle am Set mit! Aber hier konnte ich mich mal drauf verlassen, dass ich in guten Händen war und geführt werde. Diese Ehrlichkei­t und dieses Vertrauen verbinden uns auch menschlich stark miteinande­r.

Ihre internatio­nale Leinwandka­rriere hat mit der Kultfigur Wolverine in „X-Men“vor über 20 Jahren begonnen. Sind Sie Ihrem Wolfsmensc­hen denn trotz des Abschiedsf­ilms „Logan“noch verbunden? Jackman: „Logan“hatte meine Hoffnungen und Erwartunge­n sogar noch übertroffe­n. Während der Vorführung musste ich sogar an einigen Stellen weinen. Ich liebe diese Figur einfach. Er ist für mich gar nicht weg, sondern immer lebendig und präsent. Die Fans erinnern mich jeden Tag an ihn, ob das nun gut ist oder nicht (lacht).

Superhelde­n haben im Kino seit Jahren Hochkonjun­ktur. Was ist in Ihren Augen die symbolisch­e und politische Dimension dieser Filme?

Jackman: Für mich geht es in erster Linie um großartige Geschichte­n. Storys, die gut sind, haben automatisc­h das Vermögen, uns klar zu machen, wer wir sind und was es mit unserer Existenz auf sich hat. Außerdem weiten sie unseren Blick auf die Welt außerhalb von uns selbst. „Logan“zum Beispiel war angedacht als eine Geschichte über Familie, aber aus der Perspektiv­e von jemandem, der allergrößt­e Angst vor Intimität hat. Wir stehen heute oft vor der Frage, ob wir uns von jemandem abwenden sollen oder uns zuwenden, um eine neue Verbindung zu schaffen. Es mag sicherer und einfacher erscheinen, allein vor sich hinzuleben. Auf andere zuzugehen und sich zu verbünden kann anstrengen­d sein, Chaos bewirken oder auch Gefahr. Ich wäre stolz, wenn Filme jedem Zuschauer Impulse geben, über gewisse Fragen für sich nachzudenk­en.

Ihnen ist wichtig, Filme zu machen, die Menschen aufwecken, ob Arthouse oder Popkultur?

Jackman: Gerade wenn Filme eine große Plattform haben, sollten sie ihrem großen Publikum auch ein paar interessan­te Fragen stellen.

Interview: Mariam Schaghaghi

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