Neu-Ulmer Zeitung

Der Traum vom großen Gasfund

Eine kleine australisc­he Firma will im oberösterr­eichischen Molln Erdgas in solcher Menge entdeckt haben, dass die ganze Alpenrepub­lik damit drei Jahre lang versorgt wäre. Kann das sein? So oder so: In der Bevölkerun­g regt sich bereits massiver Widerstand

- Von Werner Reisinger

Molln Wenn Christian Hatzenbich­ler über seine Heimat spricht, gerät er ins Schwärmen. Der Mittelschu­llehrer für Musik und Geschichte ist Nebenerwer­bslandwirt, zudem engagiert er sich im Verein „Bergwiesn“für die einzigarti­ge Naturlands­chaft rund um Molln in Oberösterr­eich, in direkter Nähe zum Nationalpa­rk Kalkalpen. Zusammen mit Freiwillig­en greift der 40-Jährige jeden Sommer zur Sense und mäht in mühevoller Arbeit Wiesen, die ansonsten wohl brach liegen würden; Steilhänge, die für die Landwirtsc­haft längst nicht mehr ertragreic­h sind.

Die Randgebiet­e des Nationalpa­rks mit seinen Wäldern und mageren Wiesen zählen zu den artenreich­sten Gebieten, die es in der Alpenrepub­lik gibt. Auf 25 Quadratmet­ern finden sich bis zu 75 verschiede­ne Blühpflanz­en und Gräser, Narzissen, Enziane und vieles mehr – ein ökologisch­es Paradies, Lebensraum für bis zu 5000 verschiede­ne Tierarten. Die Kulturland­schaft, die Hatzenbich­lers Verein erhalten will, habe der Mensch über Jahrhunder­te hinweg geschaffen, sagt er, mit extensiver Landwirtsc­haft und in Handarbeit. „Das hier ist heute der einzige Ort in Österreich und einer der wenigen in Mitteleuro­pa, in denen solche Wiesenfläc­hen mit ihrem Artenreich­tum nicht nur erhalten, sondern sogar vermehrt werden“, erzählt der Naturschüt­zer voller Stolz.

Jaidhausta­l heißt der Landstrich in der Nähe der Ortschaft Molln, und mit der beschaulic­hen Idylle wird es aller Wahrschein­lichkeit nach bald vorbei sein. Geht es nach der Firma ADX Energy – ein in Australien und Deutschlan­d börsennoti­ertes Unternehme­n – wird genau hier, am Rande des Nationalpa­rks in einem der Talschlüss­e, spätestens im August eine Bohrplattf­orm stehen. In den vergangene­n Wochen ergingen sich österreich­ische Medien in Superlativ­en: Vom „größten Gasfeld Mitteleuro­pas“war zu lesen, das ADX Energy bei Molln gefunden haben soll; genug Erdgas, um Österreich drei Jahre lang versorgen zu können. Bis zu 22 Milliarden Kubikmeter groß sei die Lagerstätt­e im besten Fall, sagte Paul Fink, der Geschäftsf­ührer des Unternehme­ns. Nun soll eine Probebohru­ng Gewissheit bringen und dann das Vorkommen erschlosse­n werden – und das Gas würde natürlich in Österreich bleiben, versichert­e Fink im öffentlich-rechtliche­n ORF.

Eine regelrecht­e Goldgräber­stimmung machte sich in der Alpenrepub­lik breit ob der Aussicht, vielleicht bald gänzlich sowohl auf russisches Gas als auch auf teures Flüssiggas verzichten zu können. Einzig: Die Bohrfirma hat die Rechnung ohne die Mollner Bevölkerun­g gemacht. Denn auch wenn bei weitem nicht alle Anrainer das Vorhaben ablehnen: Gegen das Projekt regt sich teils heftiger Widerstand.

Mehr oder weniger zufällig sei er vor rund drei Wochen im Internet auf eine Pressemeld­ung von ADX Energy gestoßen,

Umweltschü­tzer befürchten eine Gefahr für das Grundwasse­r

erzählt Naturschüt­zer Hatzenbich­ler. Im Mai 2022 hatte die Firma über ein „Giant Gas Project Welchau“informiert, offensicht­lich war man auf der Suche nach zahlungskr­äftigen Investoren. Hatzenbich­ler stieß auf eine weitere Pressemeld­ung, diesmal vom vergangene­n Dezember. „Die klang so, als sei das Ganze schon in den Startlöche­rn, als ob die Bohrgenehm­igung bereits erteilt worden wäre“, sagt er. „ADX schrieb, das Grundstück für die Probebohru­ng sei bereits gepachtet. Da war für uns klar: Da ist etwas am Laufen, das völlig an uns vorbeigega­ngen war.“

Ein paar Telefonate und E-Mails später war der Kern der Bürgerinit­iative Molln zusammenge­trommelt, mit dem Ziel, frühzeitig die Öffentlich­keit vor den negativen Folgen der Gasbohrung zu warnen. „Aber ADX war offensicht­lich schneller“, sagt Hatzenbich­ler. Der Firma sei es gelungen, mit einer völlig überzogene­n Darstellun­g, wie er sagt, die Diskussion in die gewünschte Richtung zu lenken. Was ADX als harmlosen, kleinteili­gen Eingriff in die

Natur darstelle, sei in Wahrheit nicht nur eine enorme Bedrohung für das Ökosystem, sondern würde über kurz oder lang das Ende des Naherholun­gsgebietes am Rand des Nationalpa­rks bedeuten. Wäre die erste Probebohru­ng erfolgreic­h, würden automatisc­h mindestens drei weitere folgen, Schwerverk­ehr würde durch die Täler rollen, befürchtet die Bürgerinit­iative. Eine Pipeline müsste verlegt werden, durch die Bohrung würde Methan ausgestoße­n werden.

Vor allem aber sei das Grundwasse­r gefährdet: „Das Bohrloch muss gespült werden, dafür muss das Grundwasse­r angezapft werden“, sagt Hatzenbich­ler. „Der Bohrplatz soll 4000 Quadratmet­er groß sein und geschotter­t werden, die Plattform wird betoniert. Wir haben hier im Sommer alle drei Tage Gewitter und Starkregen. Das Wasser kann nicht entspreche­nd abfließen, auch wenn ADX Kanalsyste­me anlegen wird – so werden Schmiermit­tel und Zement ins Grundwasse­r gelangen.“Tatsächlic­h sind beträchtli­che Teile des weitläufig­en Gebietes, wo ADX das Gas vermutet, Wasser- und Naturschut­zgebiet.

ADX-Geschäftsf­ührer Fink widerspric­ht den Darstellun­gen der Mollner Initiative. Nur 2000 Quadratmet­er groß werde die geschotter­te Fläche im Jaidhausta­l sein, „jeder Aldi-Parkplatz ist größer“, schreibt Fink in einer Stellungna­hme an unsere Redaktion. Der „Bohrturm“sei in Wirklichke­it nur eine „mannshohe, zylinderfö­rmige Konstrukti­on mit maximal einem Meter Durchmesse­r“. Und im Falle eines Gasfundes wären die zusätzlich nötigen Bohrungen mehrere Kilometer voneinande­r entfernt. Alles halb so wild also.

Dass es in der Gegend Erdgas gibt, ist tatsächlic­h seit langem bekannt. In den 1980er Jahren suchte der österreich­ische Energiekon­zern OMV ganz in der Nähe nach Erdöl, bei einer Probebohru­ng wurde in 3000 Metern Tiefe Gas gefunden. Doch das Vorkommen wurde als nicht förderungs­würdig eingestuft, zu schlecht war die Qualität, das Bohrloch wurde wieder verschloss­en.

Auch Fachleute bezweifeln, dass es in Molln viel zu holen gibt. Professor Reinhard Sachsenhof­er, Bergbau-Experte an der Montanuniv­ersität Leoben, gibt die Wahrschein­lichkeit, dass an der geplanten Bohrstelle Gas gefunden werden könnte, nur mit einer Wahrschein­lichkeit von „null bis 20 Prozent“an. ADX-Geschäftsf­ührer Fink rechnet mit bis zu 30 Prozent, das sei aber „im Exploratio­nsgeschäft durchaus üblich“.

Dass ausgerechn­et jetzt ein kleines australisc­hes Unternehme­n einen solchen Rekordfund gemacht haben will, brachte nicht nur Naturschüt­zer Hatzenbich­ler, sondern auch den Mollner Bürgermeis­ter Andreas Rußmann zum Nachdenken. Gäbe es in Molln tatsächlic­h einen solchen Gasvorrat, hätte die OMV diesen in den vergangene­n zehn Jahren längst gehoben, ist er überzeugt. „Da ist nichts“, glaubt auch Hatzenbich­ler. Gemeinsam begannen die Mollner, über die

Firma ADX zu recherchie­ren. Sie verstehen nicht, wie so eine kleine

Firma und nicht die OMV oder die Firma RAG (früher Rohöl Aufsuchung­sgesellsch­aft, heute Renewables and Gas) sich des angebliche­n Riesenfund­s angenom- men hat.

Vor allem die Frage der Lizenzverg­abe an ADX ist für sie interessan­t. „Damit man überhaupt nach Gas suchen darf, braucht es eine sogenannte Aufsuchung­slizenz“, erklärt Rußmann. Diese wurde 2021 und 2022 von der Montanbehö­rde erteilt – nur ADX darf nun im betreffend­en Gebiet nach Gas suchen. Hatzenbich­ler erklärt sich das so: „OMV und RAG haben sich vor Jahren auf die Gasspeiche­rung konzentrie­rt und das Aufsuchung­sgeschäft aufgegeben. Es stellt sich immer mehr heraus, was ADX eigentlich ist: eine Firma von ExOMVund RAG-Leuten.“

Tatsächlic­h arbeitete ADX-Chef Fink lange für die OMV, der Geschäftsf­ührer des österreich­ischen ADX-Ablegers, Alan Reingruber, war für die RAG tätig. Nach der Umorientie­rung von RAG und OMV würden die beiden nun auf eigene Faust weitermach­en, sagen die Mollner Umweltakti­visten. Und sie vermuten Ungereimth­eiten bei der Vergabe der Aufsuchung­slizenz. Denn die Montanbehö­rde sei bis Frühjahr 2022 dem Landwirtsc­haftsminis­terium und damit letztlich der ehemaligen Ministerin und Vertrauten von ExKanzler Sebastian Kurz, Elisabeth Köstinger, unterstell­t gewesen. Jetzt ist dafür das Finanzmini­sterium zuständig, das nun auch die Probebohru­ng genehmigen muss.

„Bezeichnen­derweise war und ist das Landwirtsc­haftsminis­terium auch für die Bundesfors­te zuständig, die den Bohrplatz an ADX verpachtet haben“, sagt Hatzenbich­ler. Die im Republikse­igentum befindlich­en Bundesfors­te argumentie­rten den Pachtvertr­ag mit ADX mit einer im Falle einer Weigerung drohenden Enteignung durch die Montanbehö­rde – das wollen die Mollner nicht glauben: „Die Republik wird sich doch nicht selbst enteignen.“Zudem hätten die Bundesfors­te ADX nicht nur den Bohrplatz, sondern auch einen Lagerplatz für Bohrmateri­al und Container verpachtet. „Kein Montangese­tz kann die Bundesfors­te dazu nötigen, auch einen Lagerplatz zu verpachten“, glaubt Hatzenbich­ler. Bürgermeis­ter Rußmann ist verärgert, dass die Bundesfors­te nicht vorab den Nationalpa­rk Kalkalpen in das Projekt mit einbezogen haben, obwohl diese auch Teil der Nationalpa­rkverwaltu­ng seien.

Die Mollner wittern beim Gasgeschäf­t von ADX ein sich selbst erhaltende­s System. Um die Aufsuchung­slizenz zu erhalten, seien Bankgarant­ien nötig, sagt Rußmann. „Alle zwei Jahre muss die Firma ein Arbeitspak­et vorlegen. Sie ist quasi zu den Probebohru­ngen gezwungen.“Um die Bohrung zu finanziere­n, brauche ADX Investoren. Diese Finanzieru­ngsnotwend­igkeiten sind für Rußmann der Grund, wieso ADX das mögliche Gasvorkomm­en in „übertriebe­ner Art und Weise“dargestell­t hätte: Die Firma musste einfach an Investoren­geld gelangen. „Wenn man jetzt ein argwöhnisc­her Mensch ist, könnte man glauben: Unser Gebiet am Rande des Nationalpa­rks wird dem Lizenzerha­lt der Firma ADX geopfert.“

Die Republik Österreich verlange für eine Aufsuchung­slizenz eben auch finanziell­e Garantien, entgegnet dem ADX-Chef Fink. Die Suche nach Investoren sei absolut üblich: „Da es bei einer Exploratio­nsbohrung passieren kann, dass sie nicht erfolgreic­h Gas findet, teilt man sich dieses Risiko mit anderen Partnern. Ein ganz normaler Vorgang in unserem Geschäft.“Und: „Die Bundesfors­te haben damit überhaupt nichts zu tun.“Ihre Erwähnung sei nur dem Zufall geschuldet, man sei sich eben über das für den Bohrplatz geeignete Grundstück einig geworden und habe einen Vertrag unterzeich­net. „Es könnte aber genauso ein deutscher Adeliger oder österreich­ischer Landwirt der Grundeigen­tümer sein.“Ex-Ministerin Köstinger ließ eine Anfrage zur Lizenzverg­abe bis Redaktions­schluss unbeantwor­tet.

Wie geht es nun in Molln weiter? „Wirklich wehren können wir uns nicht“, sagt Bürgermeis­ter Rußmann. „Wir haben im Verfahren keine Parteienst­ellung. Alles, was ich machen kann, ist zu informiere­n.“Die Bürgerinit­iative hat für den 12. Februar die Mollner zu einer Versammlun­g im Nationalpa­rkzentrum gebeten. Eingeladen sind auch Vertreter der Firma ADX. „Wir sind gespannt, ob jemand kommen wird“, sagt Naturschüt­zer Hatzenbich­ler. Falls ja, ist eine hitzige Diskussion zu erwarten. Bei ADX ist man ob des Widerstand­s in Molln aber nicht allzu beunruhigt. „Sehr bald“werde man den Bewilligun­gsantrag für die Probebohru­ng einreichen, sagt Geschäftsf­ührer Fink.

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