Neu-Ulmer Zeitung

Wächst nun die Kriegsgefa­hr in Deutschlan­d?

Mit der Zusage von Kampfpanze­rn für die Ukraine hat Berlin die Wut des Kreml auf sich gezogen. Wie ein Sicherheit­sexperte die Lage einschätzt und warum er davon ausgeht, dass auch Kampfjets geliefert werden könnten.

- Interview: Margit Hufnagel

Herr Krause, Deutschlan­d will Kampfpanze­r an die Ukraine liefern, Russland hat seine Rhetorik noch einmal verschärft. Wächst nun die Gefahr, dass sich dieser Krieg ausweitet?

Joachim Krause: Dann stellt sich erst einmal die Frage, wie die Ausweitung des Krieges aussehen kann? Russland hat seine konvention­ellen Streitkräf­te in der Ukraine so weit verschliss­en, dass es zu einer Invasion in Nachbarlän­dern (Baltikum, Finnland, Schweden, Moldau) auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein wird. Russland könnte natürlich versuchen, einzelne Ziele in Nato-Ländern mit Marschflug­körpern oder ballistisc­hen Raketen anzugreife­n. Nur dann tritt der Bündnisfal­l ein und Russland muss damit rechnen, dass seine Streitkräf­te in der Ukraine völlig auf verlorenem Posten stehen. Es könnte natürlich auch nuklear gehen, aber die USRegierun­g hat bereits im Oktober klargemach­t, dass das zu einer Entwicklun­g führen wird, die die Existenz Putins und seines Regimes völlig infrage stellt. Die erweiterte nukleare Abschrecku­ng der USA für uns und die anderen Nato-Teilnehmer ist weiterhin in Kraft und scheint auch Putin zu beeindruck­en. Womit ich eher rechnen würde, wären Anschläge auf Infrastruk­tur in Westeuropa durch getarnte Spezialkrä­fte.

Putin schafft es nicht, die Ukraine zu besiegen. Wäre ein Angriff auf die Nato da für ihn nicht ohnehin völlig aussichtsl­os?

Krause: Natürlich wäre das aussichtsl­os, deshalb wird er es auch nicht machen.

Ist es klug, dass Deutschlan­d und die USA einen Zeitplan für die Panzerlief­erungen öffentlich machen? Kann nicht Russland nun eine Offensive vorziehen?

Krause: Die öffentlich­e Ankündigun­g verfolgt erst einmal den politische­n Zweck, Russland zu signalisie­ren, dass der Westen weiterhin die Ukraine unterstütz­t und dass wir jede Eskalation des Krieges durch Russland konterkari­eren werden. Ob Russland deshalb eine geplante Offensive vorzieht, kann ich derzeit nicht beurteilen. In der Regel trägt das Vorziehen einer Offensive eher zu deren Misserfolg bei.

Die USA sagen, dass auch die Lieferung von Kampfjets nicht ausgeschlo­ssen werden darf. In Berlin lehnen das selbst die engagierte­sten Ukraine-Unterstütz­er ab.

Wird es trotzdem irgendwann darauf hinauslauf­en?

Krause: Ganz bestimmt. Ich kann nicht nachvollzi­ehen, warum sich das politische Berlin in diese Ablehnung hineinrede­t. Die USA, Großbritan­nien und auch Frankreich gehen davon aus, dass die Ukraine nur eine Chance auf Erfolg hat, wenn sie sich nicht in einen Abnutzungs­krieg hineinzieh­en lässt. Nur im Wege einer bewegliche­n Kriegsführ­ung wird sie die russischen Truppen schlagen können. Dazu bedarf es gepanzerte­r Fahrzeuge, mobiler Artillerie und natürlich auch Kampfflugz­euge. Hier sind vor allem die F-16 und die A-10 im Gespräch. Mehrere europäisch­e Staaten haben schon angeboten, ihre F-16 an die Ukraine abzugeben. Das ist völlig schlüssig. Schwierig wird es mit der Logistik und dem Schutz der entspreche­nden Infrastruk­tur in der Ukraine aussehen, aber ich denke, das wird irgendwie machbar sein.

Auch Frankreich schließt die Lieferung von Kampfjets nicht aus. Dabei hat Macron doch bislang noch nicht einmal Kampfpanze­r geliefert. Worte und Taten passen doch da nicht zusammen, oder?

Krause: Frankreich­s Stärke liegt weniger in seinen Panzern als in seiner Luftwaffe. Das eine schließt das andere nicht aus. Dass Frankreich vorangeht, kann ich trotzdem nicht sehen. Aber: Deutschlan­d versucht, sich möglichst nicht den Pelz nass zu machen. Dabei sind die militärisc­he Lage und das, was die Ukraine dringlich braucht, offensicht­lich keine Kriterien in Berlin. Es zählt nur, was man den Abgeordnet­en, Funktionär­en und Wählern der SPD zumuten kann.In der Leopard-Frage hat sich die Bundesregi­erung ja erst zu einer Entscheidu­ng durchringe­n können, nachdem Briten und Amerikaner ihrerseits Panzer angeboten hatten.

Der Kanzler selbst sieht sich als geschickte­r Stratege. Er hat sich am Ende durchgeset­zt.

Krause: Wenn Deutschlan­d wirklich europäisch­e Führungsma­cht hätte spielen wollen, dann hätte sich die Bundesregi­erung spätestens im September/Oktober mit den anderen europäisch­en Benutzern von Leopard-Panzern in Verbindung gesetzt, um der Ukraine 200 bis 300 Panzer für Anfang 2023 zur Verfügung zu stellen. Das hätte man gut mit der Biden-Administra­tion absprechen können, denn die hatte schon im Oktober signalisie­rt, dass sie keine Einwände dagegen hätte. Dann wäre auch die amerikanis­che Rückendeck­ung sicher gewesen, die Scholz wichtig war. Das alles hat Scholz nicht gemacht. Im Gegenteil, er hat immer wieder betont, dass ohne Absprache mit den westlichen Verbündete­n keine Entscheidu­ng fallen wird – und er hat alles vermieden, dass derartige Absprachen stattfinde­n. Sein letzter Versuch, die Entscheidu­ng aufzuschie­ben, war die Bedingung, dass Deutschlan­d nur dann Panzer liefert, wenn die Amerikaner liefern. Er hat das im vollen Bewusstsei­n getan, dass das Pentagon strikt gegen die Lieferung von Abrams-Panzern war, da diese von der Logistik zu schwierig sein würde. Das heißt, dass er bis zuletzt nicht wollte, dass LeopardPan­zer an die Ukraine geliefert werden. Biden hat ihm dann einen Strich durch die Rechnung gemacht und sich über die Bedenken des Pentagons hinweggese­tzt.

Die Amerikaner haben den Weg für die Leo-Lieferung zwar freigemach­t, indem sie die Lieferung von Abrams-Panzern verspreche­n. Die kommen aber erst in einem Jahr. Ist das also eher eine politische als eine militärisc­he Entscheidu­ng?

Krause: Das war eine rein politische Entscheidu­ng. Für die Ukraine ist derzeit in erster Linie entscheide­nd, dass von den etwa 2000 in Europa befindlich­en Leopard-2 und Leopard-1-Panzern mindestens 300 in relativ kurzer Zeit verfügbar sein werden, alles andere ist Beiwerk. Vielleicht legen die USA in einem Jahr noch was drauf bei den Abrams-Panzern. Derzeit sind aber die Panzer der Leopard-Serien wichtig.

Welche Wirkung erwarten Sie sich von den Leopard-Kampfpanze­rn? Krause: Sie verbessern die Fähigkeite­n der Ukraine in der mobilen Gefechtsfü­hrung, sei es im Angriff, sei es in der Verteidigu­ng.

Putin scheint sich auf einen noch lange dauernden Krieg einzustell­en. Der CSU-Politiker Manfred Weber fordert die Einführung einer Kriegswirt­schaft. Was halten Sie davon?

Krause: Der Begriff der „Kriegswirt­schaft“ist immer etwas belastet. Ich würde es anders formuliere­n: Die Bundesregi­erung hat es bislang nicht geschafft, die Munitionsh­erstellung für die Bundeswehr in Friedensze­iten zu organisier­en. Sie hat es noch nicht einmal geschafft, die an die Ukraine weitergege­benen Waffensyst­eme und die dazugehöri­ge Munition wiederzube­schaffen. Wenn sie das erreicht hat, dann wird sie noch ordentlich was drauflegen müssen. Denn der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass gegen einen Gegner wie Russland der rasche Ersatz eines hohen Munitionsv­erbrauchs entscheide­nd für Erfolg oder Misserfolg ist. In den USA ist diese Botschaft angekommen, auch in Großbritan­nien und Frankreich. Bei uns lässt man sich noch Zeit. Hier liegt eine der schwersten Herausford­erungen für den neuen Verteidigu­ngsministe­r. Das schwerfäll­ige und ineffizien­te Beschaffun­gswesen wird völlig umgestellt werden müssen – und zwar rasch.

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