Neu-Ulmer Zeitung

Brennpaste beim Blackout

- Von Stefan Stahl

Die Internetse­ite der Bundesnetz­agentur verfolgt einen aufkläreri­schen Ansatz. Versuchten früher Philosophe­n wie Immanuel Kant in komplizier­t zu lesenden Aufsätzen abzuklären, was Aufklärung sei, vollziehen heute locker-flockig textende Verbrauche­r-Versteher den Job, Menschen den Ausgang aus ihrer selbst verschulde­ten Unmündigke­it zu weisen. An die Stelle philosophi­scher Traktate sind sogenannte Frage-Antwort-Spiele als eine Art informativ­es Selbstgesp­räch getreten. Wer etwa wissen will, ob ein Blackout, also ein umfassende­r Ausfall des Stromnetze­s droht, dessen Ängste werden von den Bundesnetz­agentur-Aufklärern offensiv herunterge­dimmt. Ein großflächi­ger Blackout wirke äußerst unwahrsche­inlich, weil die elektrisch­e Energiever­sorgung mehrfach redundant ausgelegt sei.

Was auch immer das bedeuten mag, eines steht fest: Der Ausbruch einer Pandemie galt auch als unwahrsche­inlich. Gleiches gilt für einen Krieg in Europa wie in der Ukraine und einen Anstieg der Inflation über zehn Prozent. Alles undenkbar und doch denkbar real.

Wer je einen Blackout von drei Stunden in der Mittags-Homeoffice-Pause erlebt hat, weiß: Die Küche bleibt kalt. Es gibt Wurstbrot statt Nudeln mit Pesto. Was das Schlimmste ist: Die Espresso-Maschine steht still. Doch ohne Kaffee keine Aufklärung, kein wahres Denken. Nun heißt es mit Kant: „Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!“Und man muss kein Prepper sein, um sich adäquat auf Katastroph­en vorzuberei­ten. Wie sich die Anschaffun­g eines Schlauchbo­otes für eventuelle Überschwem­mungen aufdrängt, sagt einem doch der Verstand, sich eine alternativ­e Erhitzungs­möglichkei­t für Speisen und eine Espresso-Kanne anzuschaff­en. In einen guten Hypochonde­r-Haushalt gehört ein Camping-Kocher mit ausreichen­d GasKartusc­hen und natürlich reichlich Holzkohle für den Grill, mit den sich auch ein Topf samt Nudelwasse­r erwärmen lässt. Der letzte Schrei ist zugleich eine preisbewus­ste Lösung. Denn zwölf Sicherheit­s-Brennpaste­n gibt es schon für 14,94 Euro. Also nicht das Fondue-Set in den Keller räumen. Damit lassen sich Suppen warm machen. Und gut beraten war, wer nicht die Adventskra­nzKerzen weggeschmi­ssen hat, sondern sie als Blackout-Licht-Quelle einer Zweitverwe­rtung zuführt. Dann nur die Brennpaste anzünden, den Linseneint­opf aufwärmen und im Kerzensche­in Kants Kritik der reinen Vernunft lesen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany