Bahn kommt nur langsam in Fahrt
Die Situation des Konzerns ist ernüchternd. Nun werden Milliarden investiert, doch der Vorstand steckt in einem doppelten Dilemma.
Berlin Normalerweise versuchen Firmen in der Krise, die Dinge schönzureden. „Wir haben die Probleme erkannt, wir arbeiten daran, es wird bald besser“, wird den Kunden zweckoptimistisch verkündet. Nicht so bei der Deutschen Bahn. Der Staatsbetrieb steckt derart tief im Schlamassel, dass Schönreden nicht mehr hilft. Bahn-Vorstandsmitglied Michael Peterson räumte in einem Gespräch mit der ZEIT unumwunden ein, dass die Infrastruktur an einem „Kipppunkt“steht. Der Begriff ist in den zurückliegenden Jahren durch die Klimaforschung bekannt geworden. Ist ein Kipppunkt erreicht oder überschritten, verschlechtert sich die Gesamtsituation erheblich.
Der wichtigste Indikator für den Erfolg eines Eisenbahnunternehmens ist die Pünktlichkeit. Sie lag im Februar nach eigenen Angaben der Bahn im Fernverkehr bei 70 Prozent. Das heißt, dass jeder dritte ICE oder IC nicht pünktlich im Bahnhof einrollte. Immerhin hat sich der Wert im Vergleich zum Ende des vergangenen Jahres etwas gebessert. Im Dezember kamen vier von zehn Zügen im Fernverkehr zu spät. Die mangelnde Pünktlichkeit ist ein großes, aber nicht das einzige Problem. Fahrgäste berichten in sozialen Netzwerken von abenteuerlichen Nothalten im Nichts, geschlossenen oder defekten Bord-Bistros und fehlenden Informationen, wie es bei einer Reise weitergeht.
Das erste Dilemma der Bahnvorstände ist, dass sie die Lage automatisch verschlechtern, wenn sie an der Verbesserung arbeiten. In Schienen, Brücken und Weichen wird so viel Geld investiert wie seit Jahrzehnten nicht. Das allerdings mündet in viel mehr Baustellen, als das Gleisnetz vertragen kann. Baustellen führen zu Umleitungen oder gestrichenen Verbindungen, zu Schienenersatzverkehr und Verspätungen.
In den nächsten Jahren sollen die wichtigsten Strecken generalüberholt werden – wofür sie monatelang gesperrt werden.
Los geht es nächstes Jahr mit dem Abschnitt zwischen Frankfurt am Main und Mannheim, folgen soll unter anderem die Strecke zwischen Nürnberg und Würzburg. Die Vollsperrung solcher stark befahrenen Tangenten führt dazu, dass sich Passagiere auf zeitfressendes Umfahren und Ersatzverkehr einrichten müssen.
Das zweite Dilemma der Bahnvorstände besteht darin, dass sie nicht Herr im eigenen Hause sind. Die Bahn gehört dem Bund und der hat ihnen aufgetragen, das staatseigene Unternehmen zum Instrument im Kampf gegen den Klimawandel zu machen. Mehr Leute sollen das Auto stehen lassen und den Zug nehmen. Bis 2030 soll sich die Zahl der Fahrgäste im Fernverkehr im Vergleich zu den Vor-Corona-Jahren verdoppeln.
Damit die Leute das Auto stehen lassen, sollen die großen Städte im engen Takt verbunden sein, im von der Politik beschriebenen Idealbild halbstündlich. Ursprünglich sollte das bis 2030 gelingen, was von Beginn an unrealistisch war. Nun wird es wohl schlappe 40 Jahre länger dauern. Das löst viel Spott aus. Dabei bedeutet es natürlich nicht, dass die halbstündlichen Verbindungen alle erst 2070 kommen. Über die Jahre wird die Taktung auf immer mehr Strecken immer enger – wenn der Plan denn aufgeht.
„Es ist zu befürchten, dass das Bahnnetz bis 2030 wegen der schrittweisen Sanierung noch erheblich belastet ist“, sagte der Bahnbeauftragte der Bundesregierung, Michael Theurer, unserer Redaktion. „Es muss leider bei der Bahn erst einmal schlechter werden, damit es wieder besser werden kann. Bahn-Kunden brauchen Geduld. In wenigen Jahren wird es aber deutliche Verbesserungen geben“, fügte der FDP-Politiker hinzu. Mehr dazu im Leitartikel.