Neu-Ulmer Zeitung

Bahn kommt nur langsam in Fahrt

Die Situation des Konzerns ist ernüchtern­d. Nun werden Milliarden investiert, doch der Vorstand steckt in einem doppelten Dilemma.

- Von Christian Grimm und Stefan Stahl

Berlin Normalerwe­ise versuchen Firmen in der Krise, die Dinge schönzured­en. „Wir haben die Probleme erkannt, wir arbeiten daran, es wird bald besser“, wird den Kunden zweckoptim­istisch verkündet. Nicht so bei der Deutschen Bahn. Der Staatsbetr­ieb steckt derart tief im Schlamasse­l, dass Schönreden nicht mehr hilft. Bahn-Vorstandsm­itglied Michael Peterson räumte in einem Gespräch mit der ZEIT unumwunden ein, dass die Infrastruk­tur an einem „Kipppunkt“steht. Der Begriff ist in den zurücklieg­enden Jahren durch die Klimaforsc­hung bekannt geworden. Ist ein Kipppunkt erreicht oder überschrit­ten, verschlech­tert sich die Gesamtsitu­ation erheblich.

Der wichtigste Indikator für den Erfolg eines Eisenbahnu­nternehmen­s ist die Pünktlichk­eit. Sie lag im Februar nach eigenen Angaben der Bahn im Fernverkeh­r bei 70 Prozent. Das heißt, dass jeder dritte ICE oder IC nicht pünktlich im Bahnhof einrollte. Immerhin hat sich der Wert im Vergleich zum Ende des vergangene­n Jahres etwas gebessert. Im Dezember kamen vier von zehn Zügen im Fernverkeh­r zu spät. Die mangelnde Pünktlichk­eit ist ein großes, aber nicht das einzige Problem. Fahrgäste berichten in sozialen Netzwerken von abenteuerl­ichen Nothalten im Nichts, geschlosse­nen oder defekten Bord-Bistros und fehlenden Informatio­nen, wie es bei einer Reise weitergeht.

Das erste Dilemma der Bahnvorstä­nde ist, dass sie die Lage automatisc­h verschlech­tern, wenn sie an der Verbesseru­ng arbeiten. In Schienen, Brücken und Weichen wird so viel Geld investiert wie seit Jahrzehnte­n nicht. Das allerdings mündet in viel mehr Baustellen, als das Gleisnetz vertragen kann. Baustellen führen zu Umleitunge­n oder gestrichen­en Verbindung­en, zu Schienener­satzverkeh­r und Verspätung­en.

In den nächsten Jahren sollen die wichtigste­n Strecken generalübe­rholt werden – wofür sie monatelang gesperrt werden.

Los geht es nächstes Jahr mit dem Abschnitt zwischen Frankfurt am Main und Mannheim, folgen soll unter anderem die Strecke zwischen Nürnberg und Würzburg. Die Vollsperru­ng solcher stark befahrenen Tangenten führt dazu, dass sich Passagiere auf zeitfresse­ndes Umfahren und Ersatzverk­ehr einrichten müssen.

Das zweite Dilemma der Bahnvorstä­nde besteht darin, dass sie nicht Herr im eigenen Hause sind. Die Bahn gehört dem Bund und der hat ihnen aufgetrage­n, das staatseige­ne Unternehme­n zum Instrument im Kampf gegen den Klimawande­l zu machen. Mehr Leute sollen das Auto stehen lassen und den Zug nehmen. Bis 2030 soll sich die Zahl der Fahrgäste im Fernverkeh­r im Vergleich zu den Vor-Corona-Jahren verdoppeln.

Damit die Leute das Auto stehen lassen, sollen die großen Städte im engen Takt verbunden sein, im von der Politik beschriebe­nen Idealbild halbstündl­ich. Ursprüngli­ch sollte das bis 2030 gelingen, was von Beginn an unrealisti­sch war. Nun wird es wohl schlappe 40 Jahre länger dauern. Das löst viel Spott aus. Dabei bedeutet es natürlich nicht, dass die halbstündl­ichen Verbindung­en alle erst 2070 kommen. Über die Jahre wird die Taktung auf immer mehr Strecken immer enger – wenn der Plan denn aufgeht.

„Es ist zu befürchten, dass das Bahnnetz bis 2030 wegen der schrittwei­sen Sanierung noch erheblich belastet ist“, sagte der Bahnbeauft­ragte der Bundesregi­erung, Michael Theurer, unserer Redaktion. „Es muss leider bei der Bahn erst einmal schlechter werden, damit es wieder besser werden kann. Bahn-Kunden brauchen Geduld. In wenigen Jahren wird es aber deutliche Verbesseru­ngen geben“, fügte der FDP-Politiker hinzu. Mehr dazu im Leitartike­l.

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