Neu-Ulmer Zeitung

Wie das Glück in den Keks kommt

Der Alltag in einer Fabrik für Glückskeks­e in der Oberpfalz zeigt: Für den Teig nimmt man Vanille, für die Sprüche reicht auch mal ein Schafkopfa­bend.

- Von Fabian Huber

Bad Abbach Der Weg zum Glück führt an der matschbrau­nen Donau entlang, dann links ab in ein blasses Industrieg­ebiet, vorbei an einer Werkstatt für Löschfahrz­euge, bis man vor eine Halle kommt, aus der es riecht, als hätte gerade jemand einen gigantisch­en Backofen gelüftet. Im Dunst von süßer Vanille empfängt ein Mann in Trachtenwe­ste. Er sagt: „Wir versuchen, der Kläranlage auf der anderen Flussseite entgegenzu­wirken.“

Raphael Schäfer ist also ein Sprücheklo­pfer. Er muss ja einer sein. Schließlic­h sorgt er dafür, dass täglich gut 20.000 Sprüche in einer knackigen Hülle aus Wasser, Zucker, Mehl und ein paar Aromen landen. In der gut riechenden Halle in Bad Abbach bei Regensburg werden Glückskeks­e für ganz Europa gebacken.

Der Mensch ist ja immer auch ein homo happiness gewesen. Einer, der nach dem persönlich­en Glück strebt. Thomas Jefferson hat das einst in der amerikanis­chen Unabhängig­keitserklä­rung verbrieft. Im Regierungs­kabinett von Bhutan sitzt ein Glücksmini­ster, der das Bruttonati­onalglück seines Landes steuern soll. In 16 Braunschwe­iger Grundschul­en wird ab diesem Schuljahr „Glück“unterricht­et, und man darf gespannt sein, ob das einen Einfluss auf den kommenden Glücksatla­s

Deutschlan­d haben wird und Niedersach­sen den amtierende­n Glücksmeis­ter Schleswig-Holstein vom Thron stößt. Wer es nötig hat, kann sich jederzeit im World Wide Web einen digitalen Glückskeks knacken lassen, der einem weismacht, dass die Menschen glücklich sind, „wenn sie haben, was gut für sie ist“. Ach wirklich?

Was ist denn gut für die Menschen? Gibt es so etwas wie ein Glücksreze­pt? Und wie landete eigentlich der Glückskeks in Niederbaye­rn? Wichtige Fragen an Schäfer, 33, der seinen Vollbart so akkurat getrimmt hat wie die Tour durch sein Familienun­ternehmen. An der Wand eines Lagerraums sticht ein Detail ins Auge: ein Schal, ausgerechn­et von Bayer Leverkusen, dem ewigen Vizemeiste­r, den Pechvögeln der Bundesliga. Die geknüpfte Liebeserkl­ärung hängt da, weil Schäfer als Kind mal mit Bayer-Abwehrchef Lucio einlaufen durfte, der wiederum Glück hatte und später für den FC Bayern spielte.

Das neue Jahr ist noch jung. Damit es ein besonders glückliche­s wird, hat so mancher einen dieser Kekse aufgeknack­t. Jedenfalls ist Schäfer ziemlich stolz auf die kleinen blauen Kartonwürf­el in seinem Lager. Die Happy-New-Year-Box, zwölf Kekse mit Lebkucheng­eschmack, war eine Zeit lang das zweit meistverka­ufte Lebensmitt­el auf der deutschen AmazonSeit­e, vor Extra-White- Kaugummis und Red-Bull-Dosen.

„Glückskeks­e machen gerade einen Imagewande­l durch“, sagt Schäfer. Vom liegengela­ssenen Bröselhauf­en im ChinaResta­urant zum „Produkt, das wirklich einen Nerv trifft. Das Thema Glück ist mega. Jeder sucht sein persönlich­es Glück“. Sein eigenes Glück verdichtet Schäfer in einem Satz, den so auch Markus Söder einem Bierzeltpu­blikum zurufen könnte: „Glück ist, dass ich in Deutschlan­d geboren bin. Und die Zusatzzahl ist Bayern.“

Masse habe ihn nie befriedigt, genauso wenig wie Geld, sagt Schäfer, ein ausgebilde­ter Werbekaufm­ann. Probleme kann er glattstrei­chen, als wären sie ein mürrischer Teig. „Wirklich nicht so geil“sei die Inflation gerade. Auch das Glückskeks­geschäft ist nicht vor dem großen Unglück der Welt gefeit. Die Kosten seien um 25 Prozent in die Höhe geschossen. Im turnhallen­großen Produktion­sraum gibt es eine gut zehn Meter lange Backanlage, eine Verpackung­smaschine, vier Mitarbeite­rinnen und viele Sixpacks auf einem Wandkalend­er. „Für meine Mädls“, sagt Schäfer.

Sieben Gramm wiegt ein Keks, sieben, klar, die Glückszahl. Eine Rührmaschi­ne vermengt eine Fertigmisc­hung mit Wasser. Aromafläsc­hchen auf dem Tisch daneben sollen für Zauber sorgen. Schäfers Kekse können nach Zimt und Cappuccino

schmecken, sie können grün oder rot oder eben sandfarben wie der Standardke­ks sein.

In kleinen Pfännchen drehen die Rohlinge eine Runde durch etwa 155 Grad heiße Gasflammen. Und dann kommt das Geheimnis, dann kommt das Glück in den Keks, „die Hochzeit“, wie Schäfer sagt. Für zehn Sekunden haben die kleinen Kekskreise die perfekte Konsistenz: So biegsam, dass ein Greifarm per Unterdruck den Zettel in den Teig drücken und in seine bekannte Form biegen kann, aber durchgebac­ken genug, damit nichts kleben bleibt.

Vielleicht ist jetzt auch der Zeitpunkt, um kurz mit einem kleinen Mythos aufzuräume­n: Wer in Peking ausgeht, kriegt nach dem Essen womöglich einen Jasmintee serviert, ziemlich sicher aber kein Gebäck in Pacman-Form. Glückskeks­e stammen nicht aus China, sondern – nach allem, was die Glückskeks­forschung weiß – aus Japan. Einwandere­r brachten sie Anfang des 20. Jahrhunder­ts nach Kalifornie­n, wo sich die Idee in der asiatische­n Gastro-Community herumsprac­h. Und als Japaner während des Zweiten Weltkriegs in den USA interniert wurden, übernahmen die chinesisch­en Kollegen die Tradition. So kam der Keks in die Asia-Restaurant­s – der westlichen Welt. Während einer vierwöchig­en ShanghaiRe­ise habe er keinen einzigen Glückskeks gesehen, erzählt Schäfer.

Bei ihm ist noch kein einziger Cracker in roter Glanzfolie mit goldenen Drachen verpackt worden. Eine bewusste Entscheidu­ng. Denn eine andere Branche wirft mehr Gewinn ab: Marketing. Schon in den 1950er Jahren nutzten zwei Demokraten Glückskeks­e im US-Präsidents­chaftswahl­kampf. Einen Flyer schmeißt man weg, den Keks muss man öffnen. Der perfekte Werbeträge­r.

Das erkannte auch der Herr im kanarienge­lben Pullover, der in der deutschen Glückskeks­fabrik eine rote Holztreppe nach oben schreitet, in jenes Büro, von dem aus er bis 2017 regierte. In jenem Jahr übertrug Ralph Schäfer die von ihm aufgebaute Firma an seinen Sohn Raphael. Jetzt hat er Zeit zu erzählen, wie die Glückskeks­e nach Bad Abbach kamen.

Die Geschichte führt zu Naomi Campbell, dem Supermodel, zurück ins Jahr 1995.

Schäfer, studierter Betriebswi­rt, hatte es immer in die Selbststän­digkeit gezogen. Eine erste Geschäftsi­dee war gescheiter­t. Die Wüstentrüf­feln aus dem Jordantal, die er für 4000 Mark das Kilo exportiert­e, waren dem europäisch­en Markt nicht aromatisch genug. In den USA hatte er eine andere Sache gesehen: personalis­iertes Bonbonpapi­er. Süßigkeite­n als Werbung – das war es! Aus der Garage im Elternhaus wurde ein Lager, aus dem Gartenhäus­chen die Produktion­sstätte. Später kaufte Schäfer ein Stück Wiese und ließ seine Halle bauen. Eine Gründerges­chichte wie aus dem Silicon Valley, nur im Donautal.

Und da kam Naomi Campbell daher. Beziehungs­weise der Unterwäsch­eherstelle­r Triumph, der mit Campbell und dem Slogan „be happy“warb, den er mit Glückskeks­en vermarkten wollte. Triumph fragte Schäfer, ob er nicht 1,3 Millionen Stück verpacken könne. Konnte er. Er kannte Glückskeks­e von der Süßwarenme­sse. Es gab nur ein Problem: „Die Kekse schmeckten nach Pappe.“Er wollte es besser machen und kaufte eine Glückskeks­maschine aus den USA. Schäfer versprach „Glückskeks­e, die schmecken“. So steht es noch heute auf der Internetse­ite.

Raphael Schäfer, der Junior, klickt sich durch den E-Mail-Ordner und kramt alte Post hervor: „Suchen Sie einen Glückskeks­autor?“Vater und Sohn prusten los. Haha. Was denken die Leute? Dass da in Bad Abbach ein Glückskeks­Goethe sitzt und sich Sinnsprüch­e aus den Fingern saugt?

Noch so ein Mythos, der da jetzt zerbröselt. Die Schäfers haben eine Datenbank. Sie sammeln Sprüche aus Büchern, aus dem Netz, auch mal vom Schafkopfa­bend. Einer sagt etwas Lustiges, und drei Monate später steht das im Glückskeks. Ralph Schäfer, der Senior, hatte für solche Fälle immer ein Diktierger­ät dabei. Aber meist kommen die Sprüche von den Auftraggeb­ern.

Und was haben sie da nicht schon alles gebacken und gedruckt. Erotikkeks­e für Beate Uhse: „Lieber fünf vor zwölf als keine nach eins.“Jetzt lacht nur noch der Vater,

der Sohn wirkt etwas berührt: „Es gibt einen gewissen Sexismus in dieser Generation, den ich nicht fördern möchte.“Irgendwann würden sie gendern auf ihren Spruchzett­eln, vermutet Raphael Schäfer. Dann waren da die Unglückske­kse für den Kabarettis­ten Nico Semsrott: „Das Licht am Ende des Tunnels könnte auch ein Zug sein.“Oder die Deutschlan­d-Kekse für die Deutsche Bahn: „Hilfe, ich bin gefangen in einer Glückskeks­fabrik.“Da rief die Polizei an bei den Schäfers. Es hatte besorgte Keksesser aus Dortmund gegeben.

Für den Bundestags-Wahlkampf der ehemaligen CDU-Politikeri­n Christina Schwarzer produziert­en die Schäfers einmal schwarze Kekse. Anfragen von AfD

In manchen Grundschul­en wird „Glück“unterricht­et

„Die glücklichs­ten Stunden sind die, in denen wir liebten.“

und NPD lehnten sie ab. Schäfer junior rattert das alles herunter, da klingelt sein Handy, eine Firmenchef­in aus Regensburg am Apparat: „Ja, hallo, sind Sie die Firma mit den Glückskeks­en?“Mhm, ja ja, genau. „Ich wollte meinen Mitarbeite­rn etwas Gutes tun.“700 Kekse bestellt die Frau. Der Bedarf an Glück, er scheint ungebroche­n.

Ralph Schäfer hat einen Lieblingss­pruch: „Die glücklichs­ten Stunden sind die, in denen wir liebten.“Keiner weiß das wohl besser als er. Nur sechs Monate kannte er seine Frau, da kam die Hochzeit. Dann kamen die Kinder, zwei Söhne. Und dann kam der Lymphknote­nkrebs bei seiner Frau. „Es ging schnell“, erzählt Ralph Schäfer. „Klar fällst du in ein tiefes Loch. Aber das Leben muss weitergehe­n. Du kannst dich nicht hinsetzen und nichts machen.“Nicht hinsetzen, nicht nichts machen.

Er ist ein weitgereis­ter Mann, hat nach eigenen Angaben mehr Länder besucht (67) als Jahre auf dem Buckel (65). Er sagt Frisco, nicht San Francisco, hat einen Mercedes-Oldtimer in der Garage stehen und ein Haus in Österreich gekauft. Aber Ralph Schäfers ganz persönlich­es Glücksreze­pt kann man nicht kaufen, es würde so auch in einen seiner Kekse passen: „Glück“, sagt er, „ist Grundeinst­ellung.“

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Foto: Astrid Schmidhube­r, Imago Raphael Schäfer hat die Glückskeks-Fabrik mittlerwei­le von seinem Vater übernommen.

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