Wie das Glück in den Keks kommt
Der Alltag in einer Fabrik für Glückskekse in der Oberpfalz zeigt: Für den Teig nimmt man Vanille, für die Sprüche reicht auch mal ein Schafkopfabend.
Bad Abbach Der Weg zum Glück führt an der matschbraunen Donau entlang, dann links ab in ein blasses Industriegebiet, vorbei an einer Werkstatt für Löschfahrzeuge, bis man vor eine Halle kommt, aus der es riecht, als hätte gerade jemand einen gigantischen Backofen gelüftet. Im Dunst von süßer Vanille empfängt ein Mann in Trachtenweste. Er sagt: „Wir versuchen, der Kläranlage auf der anderen Flussseite entgegenzuwirken.“
Raphael Schäfer ist also ein Sprücheklopfer. Er muss ja einer sein. Schließlich sorgt er dafür, dass täglich gut 20.000 Sprüche in einer knackigen Hülle aus Wasser, Zucker, Mehl und ein paar Aromen landen. In der gut riechenden Halle in Bad Abbach bei Regensburg werden Glückskekse für ganz Europa gebacken.
Der Mensch ist ja immer auch ein homo happiness gewesen. Einer, der nach dem persönlichen Glück strebt. Thomas Jefferson hat das einst in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung verbrieft. Im Regierungskabinett von Bhutan sitzt ein Glücksminister, der das Bruttonationalglück seines Landes steuern soll. In 16 Braunschweiger Grundschulen wird ab diesem Schuljahr „Glück“unterrichtet, und man darf gespannt sein, ob das einen Einfluss auf den kommenden Glücksatlas
Deutschland haben wird und Niedersachsen den amtierenden Glücksmeister Schleswig-Holstein vom Thron stößt. Wer es nötig hat, kann sich jederzeit im World Wide Web einen digitalen Glückskeks knacken lassen, der einem weismacht, dass die Menschen glücklich sind, „wenn sie haben, was gut für sie ist“. Ach wirklich?
Was ist denn gut für die Menschen? Gibt es so etwas wie ein Glücksrezept? Und wie landete eigentlich der Glückskeks in Niederbayern? Wichtige Fragen an Schäfer, 33, der seinen Vollbart so akkurat getrimmt hat wie die Tour durch sein Familienunternehmen. An der Wand eines Lagerraums sticht ein Detail ins Auge: ein Schal, ausgerechnet von Bayer Leverkusen, dem ewigen Vizemeister, den Pechvögeln der Bundesliga. Die geknüpfte Liebeserklärung hängt da, weil Schäfer als Kind mal mit Bayer-Abwehrchef Lucio einlaufen durfte, der wiederum Glück hatte und später für den FC Bayern spielte.
Das neue Jahr ist noch jung. Damit es ein besonders glückliches wird, hat so mancher einen dieser Kekse aufgeknackt. Jedenfalls ist Schäfer ziemlich stolz auf die kleinen blauen Kartonwürfel in seinem Lager. Die Happy-New-Year-Box, zwölf Kekse mit Lebkuchengeschmack, war eine Zeit lang das zweit meistverkaufte Lebensmittel auf der deutschen AmazonSeite, vor Extra-White- Kaugummis und Red-Bull-Dosen.
„Glückskekse machen gerade einen Imagewandel durch“, sagt Schäfer. Vom liegengelassenen Bröselhaufen im ChinaRestaurant zum „Produkt, das wirklich einen Nerv trifft. Das Thema Glück ist mega. Jeder sucht sein persönliches Glück“. Sein eigenes Glück verdichtet Schäfer in einem Satz, den so auch Markus Söder einem Bierzeltpublikum zurufen könnte: „Glück ist, dass ich in Deutschland geboren bin. Und die Zusatzzahl ist Bayern.“
Masse habe ihn nie befriedigt, genauso wenig wie Geld, sagt Schäfer, ein ausgebildeter Werbekaufmann. Probleme kann er glattstreichen, als wären sie ein mürrischer Teig. „Wirklich nicht so geil“sei die Inflation gerade. Auch das Glückskeksgeschäft ist nicht vor dem großen Unglück der Welt gefeit. Die Kosten seien um 25 Prozent in die Höhe geschossen. Im turnhallengroßen Produktionsraum gibt es eine gut zehn Meter lange Backanlage, eine Verpackungsmaschine, vier Mitarbeiterinnen und viele Sixpacks auf einem Wandkalender. „Für meine Mädls“, sagt Schäfer.
Sieben Gramm wiegt ein Keks, sieben, klar, die Glückszahl. Eine Rührmaschine vermengt eine Fertigmischung mit Wasser. Aromafläschchen auf dem Tisch daneben sollen für Zauber sorgen. Schäfers Kekse können nach Zimt und Cappuccino
schmecken, sie können grün oder rot oder eben sandfarben wie der Standardkeks sein.
In kleinen Pfännchen drehen die Rohlinge eine Runde durch etwa 155 Grad heiße Gasflammen. Und dann kommt das Geheimnis, dann kommt das Glück in den Keks, „die Hochzeit“, wie Schäfer sagt. Für zehn Sekunden haben die kleinen Kekskreise die perfekte Konsistenz: So biegsam, dass ein Greifarm per Unterdruck den Zettel in den Teig drücken und in seine bekannte Form biegen kann, aber durchgebacken genug, damit nichts kleben bleibt.
Vielleicht ist jetzt auch der Zeitpunkt, um kurz mit einem kleinen Mythos aufzuräumen: Wer in Peking ausgeht, kriegt nach dem Essen womöglich einen Jasmintee serviert, ziemlich sicher aber kein Gebäck in Pacman-Form. Glückskekse stammen nicht aus China, sondern – nach allem, was die Glückskeksforschung weiß – aus Japan. Einwanderer brachten sie Anfang des 20. Jahrhunderts nach Kalifornien, wo sich die Idee in der asiatischen Gastro-Community herumsprach. Und als Japaner während des Zweiten Weltkriegs in den USA interniert wurden, übernahmen die chinesischen Kollegen die Tradition. So kam der Keks in die Asia-Restaurants – der westlichen Welt. Während einer vierwöchigen ShanghaiReise habe er keinen einzigen Glückskeks gesehen, erzählt Schäfer.
Bei ihm ist noch kein einziger Cracker in roter Glanzfolie mit goldenen Drachen verpackt worden. Eine bewusste Entscheidung. Denn eine andere Branche wirft mehr Gewinn ab: Marketing. Schon in den 1950er Jahren nutzten zwei Demokraten Glückskekse im US-Präsidentschaftswahlkampf. Einen Flyer schmeißt man weg, den Keks muss man öffnen. Der perfekte Werbeträger.
Das erkannte auch der Herr im kanariengelben Pullover, der in der deutschen Glückskeksfabrik eine rote Holztreppe nach oben schreitet, in jenes Büro, von dem aus er bis 2017 regierte. In jenem Jahr übertrug Ralph Schäfer die von ihm aufgebaute Firma an seinen Sohn Raphael. Jetzt hat er Zeit zu erzählen, wie die Glückskekse nach Bad Abbach kamen.
Die Geschichte führt zu Naomi Campbell, dem Supermodel, zurück ins Jahr 1995.
Schäfer, studierter Betriebswirt, hatte es immer in die Selbstständigkeit gezogen. Eine erste Geschäftsidee war gescheitert. Die Wüstentrüffeln aus dem Jordantal, die er für 4000 Mark das Kilo exportierte, waren dem europäischen Markt nicht aromatisch genug. In den USA hatte er eine andere Sache gesehen: personalisiertes Bonbonpapier. Süßigkeiten als Werbung – das war es! Aus der Garage im Elternhaus wurde ein Lager, aus dem Gartenhäuschen die Produktionsstätte. Später kaufte Schäfer ein Stück Wiese und ließ seine Halle bauen. Eine Gründergeschichte wie aus dem Silicon Valley, nur im Donautal.
Und da kam Naomi Campbell daher. Beziehungsweise der Unterwäschehersteller Triumph, der mit Campbell und dem Slogan „be happy“warb, den er mit Glückskeksen vermarkten wollte. Triumph fragte Schäfer, ob er nicht 1,3 Millionen Stück verpacken könne. Konnte er. Er kannte Glückskekse von der Süßwarenmesse. Es gab nur ein Problem: „Die Kekse schmeckten nach Pappe.“Er wollte es besser machen und kaufte eine Glückskeksmaschine aus den USA. Schäfer versprach „Glückskekse, die schmecken“. So steht es noch heute auf der Internetseite.
Raphael Schäfer, der Junior, klickt sich durch den E-Mail-Ordner und kramt alte Post hervor: „Suchen Sie einen Glückskeksautor?“Vater und Sohn prusten los. Haha. Was denken die Leute? Dass da in Bad Abbach ein GlückskeksGoethe sitzt und sich Sinnsprüche aus den Fingern saugt?
Noch so ein Mythos, der da jetzt zerbröselt. Die Schäfers haben eine Datenbank. Sie sammeln Sprüche aus Büchern, aus dem Netz, auch mal vom Schafkopfabend. Einer sagt etwas Lustiges, und drei Monate später steht das im Glückskeks. Ralph Schäfer, der Senior, hatte für solche Fälle immer ein Diktiergerät dabei. Aber meist kommen die Sprüche von den Auftraggebern.
Und was haben sie da nicht schon alles gebacken und gedruckt. Erotikkekse für Beate Uhse: „Lieber fünf vor zwölf als keine nach eins.“Jetzt lacht nur noch der Vater,
der Sohn wirkt etwas berührt: „Es gibt einen gewissen Sexismus in dieser Generation, den ich nicht fördern möchte.“Irgendwann würden sie gendern auf ihren Spruchzetteln, vermutet Raphael Schäfer. Dann waren da die Unglückskekse für den Kabarettisten Nico Semsrott: „Das Licht am Ende des Tunnels könnte auch ein Zug sein.“Oder die Deutschland-Kekse für die Deutsche Bahn: „Hilfe, ich bin gefangen in einer Glückskeksfabrik.“Da rief die Polizei an bei den Schäfers. Es hatte besorgte Keksesser aus Dortmund gegeben.
Für den Bundestags-Wahlkampf der ehemaligen CDU-Politikerin Christina Schwarzer produzierten die Schäfers einmal schwarze Kekse. Anfragen von AfD
In manchen Grundschulen wird „Glück“unterrichtet
„Die glücklichsten Stunden sind die, in denen wir liebten.“
und NPD lehnten sie ab. Schäfer junior rattert das alles herunter, da klingelt sein Handy, eine Firmenchefin aus Regensburg am Apparat: „Ja, hallo, sind Sie die Firma mit den Glückskeksen?“Mhm, ja ja, genau. „Ich wollte meinen Mitarbeitern etwas Gutes tun.“700 Kekse bestellt die Frau. Der Bedarf an Glück, er scheint ungebrochen.
Ralph Schäfer hat einen Lieblingsspruch: „Die glücklichsten Stunden sind die, in denen wir liebten.“Keiner weiß das wohl besser als er. Nur sechs Monate kannte er seine Frau, da kam die Hochzeit. Dann kamen die Kinder, zwei Söhne. Und dann kam der Lymphknotenkrebs bei seiner Frau. „Es ging schnell“, erzählt Ralph Schäfer. „Klar fällst du in ein tiefes Loch. Aber das Leben muss weitergehen. Du kannst dich nicht hinsetzen und nichts machen.“Nicht hinsetzen, nicht nichts machen.
Er ist ein weitgereister Mann, hat nach eigenen Angaben mehr Länder besucht (67) als Jahre auf dem Buckel (65). Er sagt Frisco, nicht San Francisco, hat einen Mercedes-Oldtimer in der Garage stehen und ein Haus in Österreich gekauft. Aber Ralph Schäfers ganz persönliches Glücksrezept kann man nicht kaufen, es würde so auch in einen seiner Kekse passen: „Glück“, sagt er, „ist Grundeinstellung.“