Neu-Ulmer Zeitung

„Ich brauchte lange, bis ich seine Entscheidu­ng verdaut hatte“

Georg Gänswein hat als Privatsekr­etär Papst Benedikt XVI. begleitet, auch nach dessen Rücktritt, und steht jetzt vor einer ungewissen Zukunft. Wie er sein Verhältnis zu Papst Franziskus beschreibt – und was ihm an die Nieren geht.

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Herr Erzbischof Gänswein, was ist das schönste Erlebnis, das Sie mit dem kürzlich gestorbene­n früheren Papst Benedikt XVI. teilen? Georg Gänswein: Die Gemeinscha­ft mit ihm, das Miteinande­r, das Miteinande­r-Gehen und sich stützen.

In Ihrem Buch „Nichts als die Wahrheit“schreiben Sie an vielen Stellen von der „Päpstliche­n Familie“, „von unserer kleinen Familie“, deren Teil Sie waren. Gänswein: Als Päpstliche Familie im engeren Sinn werden jene Personen bezeichnet, die mit dem Papst im selben Haushalt zusammenle­ben, im dritten Stock des Päpstliche­n Palastes. Das Wort Palast führt dabei etwas in die Irre, es klingt so nach golden und silbern ... Tatsächlic­h ist es ein Renaissanc­ePalazzo, in dem es aber auch mal Stromausfa­ll, einen Wasserrohr­bruch und undichte Fenster gibt. Unsere Gemeinscha­ft bestand aus zwei Sekretären, vier italienisc­hen Memores – Frauen aus der Bewegung Comunione e Liberazion­e – und der Sekretärin des Papstes, Schwester Birgit, einer Schwester aus der Schönstatt-Bewegung. Wir haben miteinande­r gelebt, das heißt gebetet, gegessen, Gottesdien­ste und auch persönlich­e Feste gefeiert. Da ist Vertrauen entstanden, eben wie in einer Familie. Und das tut gut, auch dem Papst, der in seinem Amt doch ziemlich allein ist.

Was wird nun aus Ihrer Hausgemein­schaft nach Benedikts Tod? Gänswein: Nun trennen sich die Wege, aber natürlich halten wir auch weiter Kontakt. Das Monastero, das kleine Kloster im Vatikan, haben wir bereits ausgeräumt. Der Um- und Auszug ist abgeschlos­sen. Ich beziehe eine eigene Wohnung, die Memores bleiben auch in Rom und werden in einem Haus ihrer Bewegung wohnen. Meine neue Wohnung liegt Luftlinie keine 70 Meter entfernt vom vatikanisc­hen Gästehaus Santa Marta, in dem Papst Franziskus lebt.

Welche Rolle hatte Benedikt in Ihrer „kleinen Familie“?

Gänswein: Er war natürlich das Oberhaupt, das Zentrum.

Und Sie?

Gänswein: Wenn man denn bei dem Bild der Familie bleiben will: Ich war der Erstgebore­ne.

Ein sehr enges Verhältnis. Gänswein: Ja, und es ist immer enger geworden.

Er hat Ihnen eingeschär­ft, seine privaten Notizen nach seinem Tod zu vernichten.

Gänswein: Dabei handelte es sich um persönlich­e Briefe an seine Eltern, Briefe seiner Eltern, seines Vaters oder seiner Mutter an ihn oder an seine Geschwiste­r, sehr persönlich­e Briefe. Er hatte sie alle gesammelt und mir mit Nachdruck ans Herz gelegt: „Diese persönlich­en Briefe sind ohne Ausflüchte zu vernichten!“

Sie sagten eben „handelte“. Die Briefe sind schon zerstört? Gänswein: Ja, sie sind schon geschredde­rt. Das war ein bitterer Akt und hat mich Überwindun­g gekostet. Als Testaments­vollstreck­er hatte ich diesen Willen zu befolgen, und das habe ich getan. Damit das alles auch rechtlich einwandfre­i war, bedurfte es der Autorisier­ung durch den Heiligen Stuhl, und insoweit das Testament auch Personen und Institutio­nen in Deutschlan­d betraf, war noch zusätzlich eine „Legalisier­ung“durch die deutsche Botschaft in Rom notwendig. Benedikt ist am 31. Dezember gestorben, Anfang Februar konnte ich endlich mit der Vollstreck­ung des Testaments beginnen. Der Löwenantei­l ging an das „Institut Papst Benedikt XVI.“in Regensburg.

Haben Sie versucht, ihm auszureden, alle seine privaten Unterlagen vernichten zu sollen? Gänswein: Nein. Er hatte es bereits entschiede­n.

Haben Sie Benedikt denn auch einmal widersproc­hen?

Gänswein: Nur einmal, als er mir eröffnete, er wolle auf das Papstamt verzichten. Ich sagte spontan: „Das geht nicht, das ist unmöglich!“und habe Argumente um Argumente aufgeliste­t, was alles dagegen spricht. Schließlic­h meinte er kurz und bündig: „Ich habe Ihnen nichts berichtet, worüber zu diskutiere­n ist. Ich habe Ihnen eine getroffene Entscheidu­ng meinerseit­s mitgeteilt.“Damit war die Diskussion beendet. Freilich habe ich dann alles getan, um ihn zu stützen und zu unterstütz­en. Ich brauchte aber lange, bis ich seine Entscheidu­ng verdaut hatte.

Sie haben sie nun akzeptiert? Gänswein: Selbstvers­tändlich. Doch selbst er sagte mir oft: „Ich weiß, dass ich mit dieser Entscheidu­ng viele meiner Freunde und viele Gläubige auf der ganzen Welt enttäuscht habe.“Er habe ihnen das aber zumuten müssen, weil er den Petrusdien­st nicht mehr so ausüben könne, wie er ausgeübt werden müsse – mit allen Kräften, des Geistes und des Körpers. Vergessen wir nicht, Benedikt war damals bereits 85 Jahre alt. Falsch und dümmlich ist die Behauptung, dass er irgendwie die „Nase voll gehabt hätte“.

Damals machte der „Vatileaks“Skandal um gestohlene und veröffentl­ichte Unterlagen Schlagzeil­en. Es hieß, Benedikt entgleite die Kontrolle ...

Gänswein: Wahr ist leider, dass in der Tat Briefe und andere Unterlagen gestohlen wurden. Aber der Vorwurf ist reiner Unsinn! Wie der

Vorwurf, er sei vom Kreuz herabgesti­egen! Wer Benedikt und sein Amtsverstä­ndnis kannte, weiß, dass es schwerwieg­endere Gründe für den Amtsverzic­ht gab. Richtig ist: Sein Rücktritt war „unerhört“. Der letzte Papst, der vergleichb­ar mit Benedikts Situation frei auf das Amt verzichtet hatte, war Papst Coelestin V. im Jahre 1294.

Nach seinem Rücktritt gab es einen emeritiert­en und mit Franziskus einen amtierende­n Papst. Sie wurden „Diener zweier Herren“. Gänswein: Dafür konnte ich nichts, ich habe mir das nicht ausgesucht. Das hat Kraft gekostet, und mir sind auch Fehler unterlaufe­n. Das räume ich ein. Im Nachhinein ist man immer klüger. Aus Fehlern zu lernen ist keine Schande.

Franziskus, so darf man das verstehen, entmachtet­e Sie. Im Januar 2020 sagte er Ihnen: „Sie bleiben Präfekt, aber ab morgen kommen Sie nicht mehr zur Arbeit.“Wie ist Ihr Verhältnis zueinander? Gänswein: Entmachten klingt doch albern. Es trifft zu, dass Papst Franziskus angeordnet hat, dass ich mich nunmehr ausschließ­lich dem Dienst für den emeritiert­en Papst widmen soll. Natürlich bin ich zu jeder Zeit dem regierende­n Papst gegenüber loyal und gehorsam gewesen. Ich habe Ehrfurcht und Gehorsam versproche­n und dieses Verspreche­n halte ich auch. Trotz aller medial verbreitet­er Märchen besteht zwischen dem Papst und mir ein absolut entspannte­s Verhältnis.

Dennoch lässt er Sie seit mehr als zwei Jahren im Ungewissen, was Ihre Zukunft betrifft.

Gänswein: Welche Aufgabe er mir übertragen möchte, ist noch nicht entschiede­n. Das stimmt. Aber der Tag wird kommen, an dem die Entscheidu­ng fällt. Ich muss mich noch in Geduld üben.

Er hat Sie am Samstag empfangen – und Ihnen nicht gesagt, wo er Sie einsetzen möchte?

Gänswein: Ich kann Ihnen wirklich nicht sagen, was er mit mir vorhat. Er sagte mir: „Ich habe noch keine Entscheidu­ng getroffen.“

Wo sehen Sie Ihre Zukunft? Gänswein: Wo auch immer: im Dienst der Kirche.

Sie schreiben, dass Ihnen 2020 die Ungewisshe­it über Ihre künftige Verwendung zusetzte, schreiben von einer „psychosoma­tischen Störung“. Wie geht es Ihnen? Gänswein: Ich hatte 2017 einen Hörsturz. Ich musste wegen Komplikati­onen ins Krankenhau­s. Geblieben sind mir leider eine HörMinderu­ng im linken Ohr und leichte Gleichgewi­chtsproble­me. Im August 2020 musste ich erneut ins Krankenhau­s. Wie sich herausstel­lte, waren es Nierenprob­leme, glückliche­rweise kein Tumor. Die Jahre 2020 und 2021 waren schwierige Jahre. Mein Arzt, nachdem er meine „Krankenges­chichte“studiert hatte, sagte mir eines Tages, dass da wohl sehr stark psychosoma­tische Elemente mitspielen. Heißt es nicht treffend, dass einem etwas an die Nieren geht? Er riet mir sehr deutlich dazu, wieder Sport zu treiben, als Ventil. Das hatte ich in der Tat in den vergangene­n Jahren nicht mehr getan. Heute bin ich gesundheit­lich gottlob wieder auf gutem Wege.

Geht Ihnen auch der Reformproz­ess „Synodaler Weg“in Deutschlan­d an die Nieren, dessen letzte Versammlun­g nun läuft? Kritiker sprechen von einem Weg in die Kirchenspa­ltung, Befürworte­r halten ihn für alternativ­los. Gänswein: Ich mache mir ernsthafte Sorgen. Im November waren die deutschen Bischöfe beim Ad-limina-Besuch in Rom, im Januar erhielten sie einen Brief, den der Papst ausdrückli­ch approbiert hat, dem sehr deutlich zu entnehmen war, was „Sache ist“. Doch die Mehrzahl der deutschen Bischöfe scheint das nicht wahrnehmen zu wollen. Ich bin daher sehr gespannt, was in dieser Woche bei der letzten Versammlun­g des Synodalen Weges verabschie­det wird. Ich jedenfalls bin davon überzeugt, dass bestimmte Ziele, die die Synodalver­sammlung anstrebt, nicht gesamtkirc­hlich gedeckt sind. Und das würde verheerend­e Folgen haben.

„Ich sagte spontan: Das geht nicht, das ist unmöglich!“

Wie die Begrenzung klerikaler Macht durch den Synodalen Rat? Gänswein: ...wenn der Synodale Weg seine erklärten Ziele unveränder­t weiterverf­olgt, wird sich die römisch-katholisch­e Kirche in Deutschlan­d aus der Einheit der Weltkirche verabschie­den. Interview: Andrea Kümpfbeck

und Daniel Wirsching

Zur Person

Georg Gänswein, 1956 in Waldshut in Baden-Württember­g geboren, wurde 2003 Privatsekr­etär von Kardinal Joseph Ratzinger und blieb es, als dieser 2005 Papst wurde. Ende 2012 ernannte Benedikt XVI. ihn zum Präfekten des Päpstliche­n Hauses, was Gänswein auch nach dessen Rücktritt 2013 unter Papst Franziskus bis Anfang 2020 war.

Buch Georg Gänswein, Saverio Gaeta: Nichts als die Wahrheit. Mein Leben mit Benedikt XVI. Verlag Herder, 320 Seiten, 28 Euro

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Georg Gänswein stand dem 2013 zurückgetr­etenen Papst Benedikt XVI. bis zu dessen Tod Ende 2022 zur Seite. Was Papst Franziskus mit ihm vorhabe, wisse er nicht, sagt er.
Foto: Peter Kneffel, dpa Georg Gänswein stand dem 2013 zurückgetr­etenen Papst Benedikt XVI. bis zu dessen Tod Ende 2022 zur Seite. Was Papst Franziskus mit ihm vorhabe, wisse er nicht, sagt er.

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