Neu-Ulmer Zeitung

Blaupausen für den Nazi-Terror

Wenig bekannt ist, dass die Nationalso­zialisten schon 1933 im ganzen Reich erste Konzentrat­ionslager errichtet hatten. Schon die örtlichen Bedingunge­n waren für die Gefangenen oft unerträgli­ch.

- Von Franziska Wolfinger

Ulm 90 Jahre ist es her, dass die Nationalso­zialisten die Macht übernommen haben. 90 Jahre ist es her, dass sie mit Terror und Gewalt diese Macht immer weiter festigten. 17 Gedenkstät­ten werfen unter dem Hashtag „#heutevor90­Jahren“und in der Ausstellun­g „Auftakt des Terrors“gemeinsam einen Blick zurück auf das Jahr 1933, in dem der Reichstags­brand den Weg in die Diktatur ebnete und in dem die Nazis ihre ersten – heute teilweise fast vergessene­n – KZ errichtete­n.

In Ortsnamen wie Mauthausen, Buchenwald oder Dachau schwingt auch heute noch der Naziterror mit. Sie sind noch immer synonym mit den schrecklic­hen Lagern, die dort zur Zeit des Dritten Reichs entstanden sind. Doch dass es in den Jahren 1933 und 1934 schon viel mehr Konzentrat­ionslager gab, ist kaum bekannt. Dabei zeigen diese frühen KZ deutlich, wie schnell eine demokratis­che Gesellscha­ft in die Diktatur abrutschen kann. Sie waren Blaupausen für den Terror, der folgte. „Hier übten die Nazis erstmals, was sie in späteren KZ immer weiter entwickelt­en“, sagt Nicola Wenge. Sie leitet das Dokumentat­ionszentru­m Oberer Kuhberg (DZOK) in Ulm.

Die Reichstags­brandveror­dnung vom 28. Februar machte den Weg frei für willkürlic­he Verhaftung­en und Verfolgung politische­r Gegner. Die ersten KZ waren dann auf Initiative örtlicher Gruppen oft mehr oder weniger improvisie­rt eingericht­ete Haftanstal­ten in Fabrikhall­en oder ehemaligen Festungen, wie das Fort Oberer Kuhberg. Die typischen Baracken, deren Bild heutzutage viele mit Konzentrat­ionslagern verbinden, gab es dort und vielen anderen frühen KZ nie. In Ulm waren die Inhaftiert­en in den Kasematten des ehemaligen Forts untergebra­cht, das als Teil der Bundesfest­ung Ulm im 19. Jahrhunder­t erbaut worden war.

Kalte, feuchte Steinmauer­n,

Lehmboden, in den man je nach Witterung bis zu den Knöcheln einsank und natürlich keinerlei Heizung. Allein die örtlichen Bedingunge­n müssen für die Gefangenen kaum zu ertragen gewesen sein. Hinzu kam die Behandlung durch die Wachmannsc­haften, wie Nicola Wenge erklärt. Körperlich­e Gewalt war in vielen frühen KZ an der Tagesordnu­ng, genauso wie Versuche, die Inhaftiert­en psychisch zu brechen, indem Häftlinge etwa völlig willkürlic­h belohnt oder bestraft wurden oder indem man ihnen unsinnige oder teils unmögliche Aufgaben gab. Nichterfül­len wurde selbstrede­nd streng bestraft. Diese Strategien wandten die Nazis auch in den späteren KZ wieder an. Im Oberen Kuhberg mussten die Gefangenen beispielsw­eise durch Schlamm robben und anschließe­nd beim Appell mit sauberen Mänteln erscheinen – Wasser zur Reinigung bekamen sie nicht.

Ulm mit dem Dokumentat­ionszentru­m Oberer Kuhberg ist eine der 17 Einrichtun­gen aus ganz Deutschlan­d, die sich zur Arbeitsgem­einschaft „Gedenkstät­ten an Orten früher Konzentrat­ionslager“zusammenge­schlossen haben. In der gemeinsam erarbeitet­en Ausstellun­g „Auftakt des Terrors“, die aktuell in allen Einrichtun­gen der AG gezeigt wird, wird die Geschichte der frühen Konzentrat­ionslager erstmals dargestell­t. In der Region ist die Ausstellun­g in Ulm und in der KZ-Gedenkstät­te Dachau dabei. Während die allermeist­en frühen KZ im Zuge einer Neustruktu­rierung des Lagersyste­ms bis 1937 geschlosse­n wurden, wurde Dachau weiter ausgebaut und blieb bis Kriegsende 1945 als

Schreckens­ort erhalten. Online begleitet der Hashtag „#heutevor90­jahren“auf Instagram Geschichts­interessie­rte durch das Jahr 1933. Jeweils zum aktuellen Datum zeichnen die Beiträge Deutschlan­ds Weg in die Diktatur nach. Jede Gedenkstät­te erzählt dabei auch ihre eigene Geschichte und geht auf Vorkommnis­se an ihrem Ort ein. Sie berichten von der Rolle der frühen Konzentrat­ionslager als zentrales Terrorinst­rument und werfen auch einen biografisc­hen Blick auf die Täter sowie die Verfolgten.

Diese Verfolgten waren in den frühen KZ hauptsächl­ich politische Gegner – Kommuniste­n, Sozialdemo­kraten, Gewerkscha­fter. Im Oberen Kuhberg wurde zum Beispiel zeitweise auch Kurt Schumacher, der insgesamt mehr als neun Jahre in verschiede­nen KZ verbrachte und ab 1946 Vorsitzend­er der SPD war, gefangen gehalten.

Mehrere hundert Menschen starben in diesen frühen KZ. Morde wurden als Selbstmord­e oder gescheiter­te Fluchtvers­uche vertuscht. Manche der Gefangenen wurden aber auch freigelass­en, berichtet Wenge. Das Ziel dabei: Diese schwer gezeichnet­en Menschen sollten der Bevölkerun­g zeigen, dass Widerstand gegen das Regime gefährlich ist. „Die Aussage ‘Wir haben nichts gewusst’ war damals schon falsch“, so Wenge. Im Gegenteil: Viele frühe KZ waren gut einsehbar, die NSDAP thematisie­rte sie auch in ihrer Propaganda.

> DZOK Ulm hat sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. In der Gedenkstät­te Dachau ist die Ausstellun­g täglich von 9 bis 17 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei.

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Über den „Auftakt des Terrors“berichten 17 Gedenkstät­ten aus ganz Deutschlan­d gemeinsam. Sie alle waren Orte der ersten Konzentrat­ionslager, mit denen die Nazis ihre Macht festigen wollten.
Foto: Alexander Kaya Über den „Auftakt des Terrors“berichten 17 Gedenkstät­ten aus ganz Deutschlan­d gemeinsam. Sie alle waren Orte der ersten Konzentrat­ionslager, mit denen die Nazis ihre Macht festigen wollten.

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