Lutz Seiler erhält den Bertolt-Brecht-Preis
Im Jubiläumsjahr zum 125. Geburtstag des Augsburger Dichters geht die Auszeichnung an einen Schriftsteller, der erst über Umwege zur Literatur fand. Die Jury würdigt seinen „magischen Sound“.
Augsburg An Preisen fehlt es nicht in der Schriftstellerkarriere Lutz Seilers; Deutscher Buchpreis, Preis der Leipziger Buchmesse, Bremer Literaturpreis und auch einige Auszeichnungen, die im Namen großer Kollegen Sailers vergeben werden: Bachmann-Preis, AnnaSeghers-Preis, Uwe-JohnsonPreis. In diese Reihe fügt sich nun der Bertolt-Brecht-Preis der Stadt Augsburg ein. Am Donnerstag wurde bekannt gegeben, dass Lutz Seiler den mit 15.000 Euro dotierten Preis erhält.
Seiler, so die Jury des Brechtpreises, habe das literarische Leben der Gegenwart mit seinen Werken nachhaltig geprägt. „Seilers Prosa besticht durch ihren magischen Sound. Poetische Lakonik, Redlichkeit, Elegisches und Humorvolles entfalten sich in unvergleichlichen Szenen. Die Texte dieses Dichters erinnern an Verschollenes, rufen Unerledigtes auf, und sie reichen in die Lebenszeit des Stückeschreibers aus Augsburg hinein: Flucht und Migration, die Folgen der Ablösung gesellschaftlicher Systeme, die Arbeit der Erinnerung, Alternativen zum Jetzt“, heißt es in der Begründung der Jury.
1963 im thüringischen Culmitzsch geboren, findet Lutz Seiler mit Verzögerung zur Literatur. „Literatur interessierte mich nicht“, schreibt er später in einem Essay. Erst als 21-Jähriger in der Nationalen Volksarmee, nachdem er eine Lehre als Baufacharbeiter gemacht und als Maurer und Zimmermann gearbeitet hatte, entdeckt er das Lesen – und dann auch sofort das Schreiben – für sich. Es folgen ein Germanistikstudium in Halle und Berlin sowie erste Gedichtbände, die ihm viel Kritikerlob für seine Genauigkeit der Sprache und die Kraft der Bilder einbringen.
Der „sehr große Bahnhof“, wie er es in seiner Dankesrede zum Deutschen Buchpreis formuliert, wird ihm allerdings erst bereitet, als er sich auch der Prosa zuwendet. 2014 erscheint sein mit diesem öffentlichkeitswirksamen Preis ausgezeichnetes Romandebüt „Kruso“, von der Literaturkritik als bedeutender Wenderoman gefeiert, von Seiler selbst als Geschichte einer Männerfreundschaft beschrieben. Persönliche Schicksale im Spiegel der Wende zeichnet Lutz Seiler auch in seinem 2020 veröffentlichten Roman „Stern 111“nach, der den Preis der Leipziger
Buchmesse gewinnt. Beide Romane sind von eigenen Erfahrungen Seilers geprägt; „Kruso“von der Zeit, in der er als Aushilfskellner in Hiddensee gejobbt hatte, „Stern 111“von der Hausbesetzerszene der Nachwendezeit in Berlin. Heute lebt Lutz Seiler mit seiner Frau, einer Schwedin, zeitweise in Stockholm sowie im ehemaligen Wohnhaus des Dichters Peter Huchel
in Wilhelmshorst bei Potsdam, wo er auch das literarische Programm leitet.
In Augsburg reiht sich Lutz Seiler nun in eine Reihe mit im Namen Brechts ausgezeichneter Schriftsteller und Schriftstellerinnen wie Sibylle Berg (2020), Nino Haratischwili (2018), Silke Scheuermann (2016), Ingo Schulze (2013) und Albert Ostermaier (2010) ein.
Den Literaturpreis zu Ehren des 1898 in Augsburg geborenen Dichters Bertolt Brecht verleiht die Stadt Augsburg seit 1995 an Persönlichkeiten, die sich in ihrem literarischen Schaffen durch die kritische Auseinandersetzung mit der Gegenwart auszeichnen. Im Jubiläumsjahr zu Brechts 125. Geburtstag wird der Preis zum elften Mal vergeben. Das jeweils ausgezeichnete Werk soll in Beziehung zu Bertolt Brecht stehen und dessen Geist weitertragen. Der achtköpfige Jury unter der Leitung von Kulturreferent Jürgen K. Enninger gehörten in diesem Jahr Barbara Mundel (Intendantin Münchener Kammerspiele), Kira Kirsch (Dramaturgin und Leiterin brut Wien), Prof. Jürgen Hillesheim (Leiter Brecht-Forschungsstätte Augsburg), Prof. Mathias Mayer (Literaturwissenschaftler, Universität Augsburg), Hubert Spiegel (Deutschland-Korrespondent im Feuilleton, Frankfurter Allgemeine Zeitung), Uwe Wittstock (Literaturkritiker, Autor und Journalist) und Prof. Erdmut Wizisla (Leiter des Brechtarchivs Berlin, Vertretung der Brecht-Erbinnen) an. Die Preisverleihung findet am Donnerstag, 20. April, statt. (m-b)