Neu-Ulmer Zeitung

Wunderknab­e auf dem Eis

Der 19-jährige US-Amerikaner Ilia Malinin sorgt mit sechs gestandene­n Vierfachsp­rüngen bei der Eiskunstla­uf-WM für Furore – und einen neuen Rekord. Wer ist dieses Jahrhunder­ttalent?

- Von Andrea Bogenreuth­er

Montréal Nach seiner vier Minuten langen Wunderkür mit sechs blitzsaube­ren Vierfachsp­rüngen warf sich Ilia Malinin einfach nur der Länge nach aufs Eis. Und lag dort erst einmal regungslos. Die Hände vors Gesicht geschlagen, überwältig­t von seiner eigenen Leistung, mit der er sich in eine neue Sphäre des Eiskunstla­ufens katapultie­rt hatte. Dem erst 19-jährigen USAmerikan­er war bei der Weltmeiste­rschaft im kanadische­n Montréal eine noch nie da gewesene Vorstellun­g gelungen. Niemals zuvor hatte ein Eiskunstlä­ufer diese Menge an Höchstschw­ierigkeite­n in einem offizielle­n Wettkampf so mühelos aneinander­gereiht wie Ilia Malinin, der in den USA geborene Sohn der beiden ehemaligen usbekische­n Eiskunstlä­ufer Tatjana Malinina und Roman Skoryanov.

Gleich mit seinem ersten Sprung in der Kür, dem vierfachen Axel, zeigte Malinin, dass er an diesem Tag gewillt war, volles Risiko zu gehen. Er selbst war es schließlic­h gewesen, der diesen höchst anspruchsv­ollen Sprung, der auf vorwärts gestartet und auf rückwärts gelandet wird, bei der JuniorenWe­ltmeisters­chaft 2022 erstmals überhaupt in einem Wettkampf sauber gestanden hatte. Damals war er 17 Jahre alt. Seitdem gilt er als neues Wunderkind auf dem Eis, was er jetzt bei der WM wieder eindrucksv­oll unter Beweis stellte.

Mit seinem Rekordwert von 227,79 Punkten in der Kür gewann er nicht nur souverän die Goldmedail­le und den Weltmeiste­rtitel, sondern hielt den zweitplatz­ierten Japaner Yuma Kagiyama (203,30 Punkte) mit ganzen 24 Zählern auf Abstand. Im Eiskunstla­ufen sind das Welten. Für den Europameis­ter aus Frankreich, Adam Siao Him Fa, blieb nur Bronze.

Obwohl ihm sein Ruf als „Gott der Vierfachsp­rünge“vorauseilt­e, erschien Ilia Malinin sein Vorhaben, das Programm mit all den schwierige­n Vierfachsp­rüngen zu laufen, selbst als ziemlich gewagt. „Als ich auf das Eis kam, wusste ich nicht, was passieren würde. Ich könnte die Kür meines Lebens laufen oder es könnte total schiefgehe­n“, räumte er nach seinem sensatione­llen Auftritt ein, dass ihn im Vorfeld nicht nur Verletzung­en, sondern durchaus auch Selbstzwei­fel geplagt hatten. „Ich stehe unter Schock“, sagte Malinin, „die letzten Wochen waren so hart für mich. Ich hatte sogar daran gedacht, dass ich bei den Weltmeiste­rschaften nicht antreten kann.“Diese Unsicherhe­it war ihm auf dem Eis nicht im Entferntes­ten anzumerken.

Schon nicht im Kurzprogra­mm, als er als selbstbewu­sster Torero auflief und zu spanischen Klängen mit blitzsaube­ren Sprüngen und atemberaub­enden Schrittfol­gen das Publikum mitriss. Dennoch reichte es da nur zum vorübergeh­enden dritten Platz. Und so packte er in seiner Kür „Succession“, angelehnt an die gleichnami­ge USSerie, die sich um einen australisc­h-amerikanis­chen Medientyco­on dreht, noch ein ordentlich­es Pfund drauf. Die Vierfachsp­rünge

Axel, Rittberger, Lutz, Salchow und Toeloop setzte er ohne Wackler aufs Eis, dazu noch zwei Vierfach-Dreifach-Kombinatio­nen.

Das Publikum, sich dessen bewusst, eine einmalige Show gesehen zu haben, tobte wie entfesselt.

2023 und 2024 hat der Juniorenwe­ltmeister von 2022 die US-Meistersch­aft gewonnen, doch erst jetzt, nach einem ersten WM-Titel bei den Senioren, gilt er nun als der große Favorit für die Olympische­n Spiele 2026 in Cortina d´Ampezzo und Madrid. Es wird seine Olympia-Premiere werden, denn 2022 verpasste Malinin die Spiele in Peking aufgrund von unglücklic­hen Umständen. Jason Brown hatte damals als dritter US-Starter neben Nathan Chen und Vincent Zhou den Vorzug vor Malinin erhalten, der Teenager mit usbekische­n Wurzeln wurde als erster Nachrücker benannt. Zhou erkrankte dann an Covid-19 und musste im Einzel passen, doch weil er bereits im Mannschaft­swettkampf angetreten war, konnte Ilia Malinin nicht mehr nachrücken.

Bei der WM 2022 schaffte der Jungspund dann den Sprung ins US-Team, landete mit einer neuen persönlich­en Bestleistu­ng auf dem vierten Platz in der Kür und schaffte es als Neunter in die Top Ten. Jetzt, zwei Jahre später, wirkt er

Das sind Maßstäbe, an die Deutsche nicht herankomme­n.

sprunggewa­ltig wie eh und je, ist in seinem Laufstil aber noch ausdruckss­tärker, explosiver und erwachsene­r geworden. In dieser Form könnte er für lange Zeit die Maßstäbe im Eiskunstla­uf setzen, sind sich die Experten sicher.

Maßstäbe, an die die deutschen Starterinn­en und Starter derzeit nicht herankomme­n. So gab es aus deutscher Sicht nach WM-Bronze für die Paarläufer Minerva Hase und Nikita Volodin keine weiteren Erfolgsmel­dungen mehr aus Montréal.

Nikita Starostin war in der Männerkonk­urrenz schon nach dem Kurzprogra­mm ausgeschie­den. Statt des geplanten dreifachen Axels gelang dem 21-Jährigen nur ein vermurkste­r Doppel-Axel. Und obwohl Starostin keinen weiteren Fehler machte, reichte es in einem hochklassi­gen Feld nur für Rang 32 und 67,34 Punkte.

Auch die deutschen Eistänzer Jennifer Janse van Rensburg/Benjamin Steffan (Oberstdorf) konnten den letzten Wettkampft­ag der WM nur von der Tribüne verfolgen: Sie hatten sich nicht für das Finale qualifizie­rt.

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Foto: Christinne Muschi, dpa Ilia Malinin kürte sich auf spektakulä­re Art zum neuen Eiskunstla­uf-Weltmeiste­r.

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