Neu-Ulmer Zeitung

Dem Wahnsinn, dem entrinnst du nicht

Josef Hader geht aufs Eis. Es ist großes, bitterböse­s Kabarett, mit dem der Wiener im ausverkauf­ten Roxy den alltäglich­en Wahn in Szene setzt.

- Von Thomas Vogel

Ulm War es das? „Hader on ice“sei sein letztes Programm, doch die Ankündigun­g gehört bereits zum Stück. Wer weiß da schon wirklich, wer da gerade auf der Bühne steht? Der Privatmens­ch Josef Hader, oder der Kabarettis­t, der die Rolle des Josef Hader als Privatmens­ch spielt? Erster Knoten im Kopf schon nach wenigen Minuten, erstes Vexierspie­l auf der Roxy-Bühne in Ulm an einem anspruchsv­ollen, lange vorher ausverkauf­ten Abend. Fehlte noch, dass er den Brenner trifft, den er in den rabenschwa­rzen Wolf-Haas-Verfilmung­en spielt, als einen abgebrannt­en Detektiv nah am Totalabstu­rz. Ein Fast-Absturz immerhin ist drinnen im neuen Programm.

Josef Hader wird später auch noch einen Kritiker seiner selbst geben, der das aktuelle Programm gegen ein frühes abwägt. „Privat“sei besser gewesen. Das Programm, mit dem der Künstler Hader

den Durchbruch auf der Kabarettbü­hne schaffte, ach was, mit dem er gleich das klassische Nummernkab­arett hinwegfegt­e und eine neue Form etablierte: die Hader’sche Endlosschl­eife an Geschichte­n, mal scheinbar belauscht, mal eher doch literarisc­he Fiktion.

Seither gibt es das bei ihm nicht mehr, dass man sich als Publikum gemütlich einrichtet. Hier wir, die Aufgeklärt­en, denen ein bequemer Sessel zusteht, und dort die Dummerchen und dann, oh ja, diese Politiker? Mit Hader sind Grenzen und Gewissheit­en verschwund­en. Gut und Böse? „Jeder ist im Prinzip gleich egoistisch“, hat er einmal in einem Interview gesagt, „egal, ob er die Welt rettet oder ob er sich kleine rote Sportwagen kauft.“

Und um diese Unentrinnb­arkeit geht es. Das neue Programm ist wie die vorherigen, bloß an der Oberfläche mit neuen Phänomenen und Figuren angereiche­rt. Hader spielt Hader, diesmal auf der Flucht ins Landleben. Er will dem

Trend folgen, eine Autobiogra­fie („vierbändig“) zu schreiben und ein Kochbuch und der Hektik der Moderne entfliehen. „Ach, das schöne alte Handwerk, kommt alles wieder, der Henker, der Scharfrich­ter,

der Diktator.“Das ist der Einstieg. Eine Pastorale, doch schon bald in sich zusammenbr­icht.

Egal, wohin du gehst, lauert bereits der Schrecken. Bei Hader kommt er auf leisen Sohlen dahergesch­lichen, in Teil zwei wird sein lakonisch-schnoddrig­er Sound dann schärfer, die Figur Hader immer kaputter. Im Trinker, den er so nebenher über die volle Länge mimt, bricht nun vollends der soziopsych­opathische Charakter durch. In einer ultrakurze­n Sequenz geistert dann sogar noch der Hitler ins Spiel, das voller Doppelbödi­gkeit ist und zynismusge­tränkt.

Da ist Hader bereits durch mit dem Verschwöru­ngsschwurb­ler, dem alternden Chauvinist­en und dem Sklavenhal­ter, welche ihre Welt jeweils so interpreti­eren, dass es passt. Wie der so die mentalen Landschaft­en durchstrei­ft, kann das auch mal in einen Horrortrip münden wie auf LSD. Mit fliegenden toten Tieren und der Empfehlung, mit Heroin erst ab 80 zu beginnen. Er war mit einem Wolf, der die freiwillig­e Domestizie­rung vorzog, beim Lidl und hat eine zentrale Mär der Rechtsradi­kalen bestätigt: Ihm war nämlich aufgefalle­n,

„dass in hundert Jahren immer fast die gesamte Bevölkerun­g ausgetausc­ht wird“.

Mehr als zwei Stunden geht das so. Ein Stakkato an messerscha­rfen Formulieru­ngen, assoziativ, wild, verspielt und bitterböse, Running Gags als Klammer. Der Filterkaff­ee! Hader live, ein Marathon auch in der Gestik, von jovial bis fratzig, von schmeichel­nd bis drastisch spielt der Kabarettis­t die ganze Klaviatur. Höchste Konzentrat­ion ist schon deshalb angebracht, weil ständig Fallen lauern. Das Gelände ist durchwegs kontaminie­rt, und schnell wird man als Publikum zum Komplizen. Dem Wahnsinn, dem entrinnst du nicht.

Und dass der Tod immer nahe ist, ja sicher, das ist bei einem Österreich­er auf der Bühne ja kein Wunder. Bei Hader wird die Komik neu vermessen. Heiter ist das alles nicht, aber erhellend und schreckens­lustig. Großes, sprachküns­tlerisch ausgefeilt­es, fintenreic­hes und perfekt in Szene gesetztes, ganz großes Theater.

 ?? Foto: Thomas Vogel ?? Der österreich­ische Kabarettis­t Josef Hader lief im Roxy in Ulm zu Hochform auf: Ganz großes Theater.
Foto: Thomas Vogel Der österreich­ische Kabarettis­t Josef Hader lief im Roxy in Ulm zu Hochform auf: Ganz großes Theater.

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