Dem Wahnsinn, dem entrinnst du nicht
Josef Hader geht aufs Eis. Es ist großes, bitterböses Kabarett, mit dem der Wiener im ausverkauften Roxy den alltäglichen Wahn in Szene setzt.
Ulm War es das? „Hader on ice“sei sein letztes Programm, doch die Ankündigung gehört bereits zum Stück. Wer weiß da schon wirklich, wer da gerade auf der Bühne steht? Der Privatmensch Josef Hader, oder der Kabarettist, der die Rolle des Josef Hader als Privatmensch spielt? Erster Knoten im Kopf schon nach wenigen Minuten, erstes Vexierspiel auf der Roxy-Bühne in Ulm an einem anspruchsvollen, lange vorher ausverkauften Abend. Fehlte noch, dass er den Brenner trifft, den er in den rabenschwarzen Wolf-Haas-Verfilmungen spielt, als einen abgebrannten Detektiv nah am Totalabsturz. Ein Fast-Absturz immerhin ist drinnen im neuen Programm.
Josef Hader wird später auch noch einen Kritiker seiner selbst geben, der das aktuelle Programm gegen ein frühes abwägt. „Privat“sei besser gewesen. Das Programm, mit dem der Künstler Hader
den Durchbruch auf der Kabarettbühne schaffte, ach was, mit dem er gleich das klassische Nummernkabarett hinwegfegte und eine neue Form etablierte: die Hader’sche Endlosschleife an Geschichten, mal scheinbar belauscht, mal eher doch literarische Fiktion.
Seither gibt es das bei ihm nicht mehr, dass man sich als Publikum gemütlich einrichtet. Hier wir, die Aufgeklärten, denen ein bequemer Sessel zusteht, und dort die Dummerchen und dann, oh ja, diese Politiker? Mit Hader sind Grenzen und Gewissheiten verschwunden. Gut und Böse? „Jeder ist im Prinzip gleich egoistisch“, hat er einmal in einem Interview gesagt, „egal, ob er die Welt rettet oder ob er sich kleine rote Sportwagen kauft.“
Und um diese Unentrinnbarkeit geht es. Das neue Programm ist wie die vorherigen, bloß an der Oberfläche mit neuen Phänomenen und Figuren angereichert. Hader spielt Hader, diesmal auf der Flucht ins Landleben. Er will dem
Trend folgen, eine Autobiografie („vierbändig“) zu schreiben und ein Kochbuch und der Hektik der Moderne entfliehen. „Ach, das schöne alte Handwerk, kommt alles wieder, der Henker, der Scharfrichter,
der Diktator.“Das ist der Einstieg. Eine Pastorale, doch schon bald in sich zusammenbricht.
Egal, wohin du gehst, lauert bereits der Schrecken. Bei Hader kommt er auf leisen Sohlen dahergeschlichen, in Teil zwei wird sein lakonisch-schnoddriger Sound dann schärfer, die Figur Hader immer kaputter. Im Trinker, den er so nebenher über die volle Länge mimt, bricht nun vollends der soziopsychopathische Charakter durch. In einer ultrakurzen Sequenz geistert dann sogar noch der Hitler ins Spiel, das voller Doppelbödigkeit ist und zynismusgetränkt.
Da ist Hader bereits durch mit dem Verschwörungsschwurbler, dem alternden Chauvinisten und dem Sklavenhalter, welche ihre Welt jeweils so interpretieren, dass es passt. Wie der so die mentalen Landschaften durchstreift, kann das auch mal in einen Horrortrip münden wie auf LSD. Mit fliegenden toten Tieren und der Empfehlung, mit Heroin erst ab 80 zu beginnen. Er war mit einem Wolf, der die freiwillige Domestizierung vorzog, beim Lidl und hat eine zentrale Mär der Rechtsradikalen bestätigt: Ihm war nämlich aufgefallen,
„dass in hundert Jahren immer fast die gesamte Bevölkerung ausgetauscht wird“.
Mehr als zwei Stunden geht das so. Ein Stakkato an messerscharfen Formulierungen, assoziativ, wild, verspielt und bitterböse, Running Gags als Klammer. Der Filterkaffee! Hader live, ein Marathon auch in der Gestik, von jovial bis fratzig, von schmeichelnd bis drastisch spielt der Kabarettist die ganze Klaviatur. Höchste Konzentration ist schon deshalb angebracht, weil ständig Fallen lauern. Das Gelände ist durchwegs kontaminiert, und schnell wird man als Publikum zum Komplizen. Dem Wahnsinn, dem entrinnst du nicht.
Und dass der Tod immer nahe ist, ja sicher, das ist bei einem Österreicher auf der Bühne ja kein Wunder. Bei Hader wird die Komik neu vermessen. Heiter ist das alles nicht, aber erhellend und schreckenslustig. Großes, sprachkünstlerisch ausgefeiltes, fintenreiches und perfekt in Szene gesetztes, ganz großes Theater.