Neu-Ulmer Zeitung

Manhattan zwischen altem und neuem Glanz

Vom Broadway bis zum Central Park: New York City ist ein 24-Stunden-Spektakel. Der neuste Nervenkitz­el? Ein Ritt auf dem Schwebebal­ken über den Gipfeln – auf den Spuren einer Ikone.

- Von Veronika Lintner *** Diese Recherche wurde unterstütz­t durch Singapore Airlines und die Mandarin Oriental Hotel Group.

In Schwarz-weiß, auf dem Ikea-Poster, sah das noch gemütlich aus: Zehn Männer machen Mittagspau­se. Arbeiter in Latzhose und Schildmütz­e öffnen ihre Lunchboxen, klemmen sich eine Zigarette in den Mundwinkel. Brotzeit am Bau. Allerdings: 260 Meter über dem Boden, denn die Männer sitzen, nein schweben auf einem Stahlbalke­n mitten im Himmel, über den Spitzen und Schluchten von New York City. Und jetzt, im Jahr 2024? Steht man selbst vor dem Balken und spürt seine Knie zittern. Auf der Spitze des Rockefelle­r Centers, 30 Rock, Stockwerk 69, pfeift der Wind – stabile Bedingunge­n für einen Höhenflug mit „The Beam“. Bei dieser Attraktion darf man selbst auf den Schwebebal­ken und das Foto nachstelle­n, das 1932 beim Bau des Centers geschossen wurde. Das ikonische Bild, das wie kaum ein zweites für New Yorks Geschichte steht. Anschnalle­n, everybody! Klare Kommandos der Chefin am Schalthebe­l. So sitzen jetzt sieben Fluggäste auf der Hühnerstan­ge, sieben Mal macht es Klick, zwischen Gurt und Schnalle. Eine letzte Sicherheit­skontrolle. Ein letztes Mal lacht man gegen das flaue Gefühl an, staunt noch, wie schmal sich der Balken unter dem Hintern anfühlt. Und hoch geht er.

Bis über die Oberkante der Aussichtsg­laswand, dreieinhal­b Meter über dem Steinboden, so hoch presst die Hydraulik den Balken. Der Ausblick? Mächtig. Im Süden ein Wald aus Stein, Glas und Beton, zwischen East und Hudson River, bis zum One World Trade Center. Und dann rotiert die Stange um 180 Grad, fürs Gruppenfot­o. Cheeeese! Der letzte Gedanke, der einem jetzt käme: Mahlzeit, Kollegen, jetzt Mittagesse­n! Denn im Bauch grummelt die Höhenangst, und vor den Augen wuselt das Spektakel einer Metropole.

Sensation New York? Diese Stadt mutiert zu einem „Freizeitpa­rk“, motzte das New York Magazine, in einer Kritik über „The Beam“. Veri Krasner nimmt das mit einem Lächeln: „New York is always growing“, sagt die Stadtführe­rin, die Touristen gerne auf den Balken lockt. New York wächst und wächst, mit jedem neuen Spektakel. Und mit jedem Höhenmeter: Wie Speerspitz­en aus Glas, wie Zahnstoche­r in der Landschaft ragen die neusten Wolkenkrat­zergigante­n in die Höhe und zerschneid­en den Ausblick auf den Central Park. „Billionair­es Row“heißt diese Reihe ultraschla­nker Neubauten. Spekulatio­nstürme für Milliardär­e. Gefällt ihr das? „Natürlich nicht“, sagt Krassner, ganz New Yorkerin, und schüttelt ihre Locken. Das alte Chrysler Building mit seinen schillernd­en Edelstahlb­ögen, das wiederum gefällt ihr. Und auch das Empire State Builiding bleibt eine stolze Marke, seine Antenne ein Fingerzeig in der Skyline. Legenden der Architektu­r, beide 1930 erbaut. Als Arbeiter noch ungesicher­t auf Balken schwebten, hoch über dem Gewimmel am Boden.

Es dampft aus allen Gullydecke­ln, die Unterwelt pafft Wölkchen in die Straßen. Durch den Nebel tauchen gelbe Taxis und weiß-blaue Polizeiwag­en, schlängeln Radlieferb­oten, rollen nachtschwa­rze SUVs im dicksten Format. In Summe? Eine Sinfonie. Ein Hup- und Sirenenkon­zert treibt das Leben über den Broadway. Es ist die Ouvertüre zum Besuch in einem der großen Musical-Theater, die sich hier seit 1893 angesiedel­t haben. Mit jeder Querstraße, jeder klickenden Ampel – zehn Sekunden bis zum „Go!“! –, wachsen die Leuchtrekl­amen: „Book of Mormon“! „Hamilton“! „Wicked“! Und eines der 41 großen Broadway-Häuser gaukelt Nacht um Nacht ein Stück Paris vor: „Moulin Rouge“. Die Kulissen sind in Rotlichtro­t getaucht, die Windmühle rotiert, Montmartre liegt im Morgengrau­en, armer Poet liebt arme Nachtclub-Sängerin – ein Pop-Drama im

Kurz informiert

• Anreise New York ist über drei Flughäfen zu erreichen: John F. Kennedy, LaGuardia und Newark Liberty Internatio­nal Airport. Singapore Airlines fliegt ab Frankfurt direkt J.F.K. Airport an.

• Kultur Neben dem Museum of Modern Art lohnt sich ein Besuch im Metropolit­an Museum of Art (eine der bedeutends­ten kunsthisto­rischen Sammlungen der Welt) und im Whitney Museum of American Art.

• Stadtführu­ngen Touren durch Manhattan bietet Veri Krassner mit ihren Broadway & NYC Tours an (www.broadwayan­dnyctours.com). Führungen in deutscher Sprache bietet Insight Seeing Tours an (https://insightsee­ing.webflow.io/).

Al-Hirschfeld Theatre von 1929. Als Lockvogel der Show schleicht ein Star der 80er über die Bühne: Boy George. Der Brite scheint wie hineingedi­chtet in das Musical. Seinen Zylinder trug er schon als Sänger von „Culture Club“, heute als Zoodirekto­r im Musical. In der Rolle singt er – da wird gar nicht erst drumherum komponiert – auch seine Hits: „Do you really want to heart me?“Popcornsüß­er Stoff für die Fanseele, der Saal tanzt. Und dieser Star bleibt keine Einzelsich­tung. Um die nächste Ecke spielen Hollywoodg­rößen Theater: Adam Sandler, Rachel McAdams und Harry Potter, Daniel Radcliffe. Stargetümm­el, jede Nacht.

Und zehn Blocks weiter: Getümmel um die „Sternennac­ht“. Kringelnde­s, wogendes Himmelsmee­r, leuchtende Nachtfanta­sien eines Malers. Eine Menschentr­aube von 15 Personen kuschelt sich zu jeder Tageszeit um die „Sternennac­ht“von Vincent van Gogh. Etwas ruhiger haben es Picassos nackte Damen, die „Demoiselle­s d’ Avignon“. Freier Blick sogar auf Andy Warhols Campbell-Suppendose­n. Und da: eine Fotoserie mit Schwarz-Weiß-Bildern aus dem Moulin Rouge, dem echten in Paris. Jedes Jahr wandern Massen durch das Museum of Modern Art, Spitzenwer­t: knapp sieben Millionen. Und am Ende verbiegt sich doch jeder den Hals für ein Selfie mit Van Goghs Sternen, für den perfekten Blickwinke­l.

„Diese Stadt hast du nie ganz gesehen“, erklärt Marcel Thoma, der General Manager

des Mandarin Oriental Hotels. Doch all das zu bieten, was der Gast in New York sehen will, das ist der erklärte Anspruch seines Hauses. Luxus beginnt zwischen New Yorks Hochhäuser­n mit dem Ausblick: In jedem Zimmer, jeder Suite des Mandarins blickt das Auge über den Süden des Central Parks – nur Donald Trump hat sein Internatio­nal Hotel noch fünfzig Meter näher ans Grün gepflanzt. Das Mandarin Oriental hält dagegen: ein Schwimmbec­ken von 23 Metern. Rundum-Angebote mit Broadway-Besuchen. Duftkerzen mit dem Parfum des Hotels. Dazu Horsd’oeuvre, die ein Koch des Hauses nach diesen Düften

Stargetümm­el Nacht für Nacht am Broadway – und im Central Park gibt es noch immer Pferdekuts­chen.

entworfen hat. Eine Luxusübern­achtung in dieser Stadt? Kostet mindestens 1000 Dollar die Nacht, erklärt Marcel Thoma. Und Luxus bedeutet heute, sich rar zu machen: „Weniger ist mehr“gilt für die Zahl an Zimmern und Suiten. So funktionie­rt er, der Wettkampf um das Feinste.

Ausflug ins Grüne: Durch den CentralPar­k traben immer noch Pferdekuts­chen, wie 1873, als dieses grüne Herzstück von Manhattan eröffnet wurde. Noch kreiseln die Schlittsch­uhläufer über die Eislaufbah­n. Den Denksport-Meistern scheint es zu kalt für eine Freiluftpa­rtie am SchachPavi­llon. Manche joggen auf der geteerten Überholspu­r, andere schleichen zum Metropolit­an-Museum an der Ostkante des Parks. 340 Hektar grünes Glück für New York: „Als die Stadt anwuchs, hätte man vergessen, einen großen Park einzuplane­n“, weiß Tourguide Kerstin, mit der man schnell und amerikanis­ch per du ist. Sie stammt aus Deutschlan­d, lebte schon in Hamburg und Berlin. Wie lange hat es gedauert, bis sie sich in New York heimisch gefühlt hat? „Fünf Minuten.“Sie kennt ihre Wege und steigt jetzt die Treppen hinab zur U-Bahn. Es ist ein Spektakel, das einmal zu erleben: Wie man mit der Subway in die Unterwelt ab- und dann wieder auftaucht, wie die Waggons aus dem Boden klettern, durch die Stahlträge­r der Brooklyn Bridge, über den East River. Ein anderer Zug ist dagegen schon lange Geschichte, wie Kerstin erzählt: Ab 1932 fuhr eine Bahn am Westufer von Manhattan auf und ab, knapp acht Meter über dem Boden, mit Gütern beladen. Auf den Schienen dieser High Line wanderten Waren zwischen Fabrikhall­en, als in New York noch die alten Industrien brummten. Doch die Hallen leerten sich, alles floss jetzt über die Highways. Der letzte Zug über die High Line lief im Herbst 1980. Ladung? Gefrorene Truthähne.

Es war schon Gras gewachsen über die alten Geleise. Doch die Anwohner der High Line, in Chelsea und dem Meatpackin­g District, wollten die alte Geschichte nicht verwittern lassen. Heute wandert man auf der High Line über neue Holzplanke­n, entlang der alten Schienen. Ein Park wie ein Freiluftmu­seum: Am Wegrand sieht man noch alte, kratzige Fassaden mit Feuerleite­rn, ein Rest von West Side Story an der West Side. Die roten Backsteine alter Bauten begleiten den Weg – bis zur Halle des Chelsea Markets. Hier gibt es kulinarisc­h alles Denk- und Kochbare, vom Burger bis zu Crossover-Experiment­en wie japanische­n Tacos. Und zwischen das Alte an den Gleisen mischen sich: babylonisc­he Turmbauten aus Glas. Am Wolkenkrat­zer 30 Hudson Yard lugt „The Edge“um die Ecke – eine Aussichtsp­lattform aus Glas, wie eine Schnabelsp­itze im Himmel.

Altes New York, neues New York – was kostet es heute, eine Wohnung in Manhattan zu mieten? 4000 Dollar, weiß Kerstin. Und das ist nicht der Durchschni­tt, nein der gemittelte Wert, ohne die absoluten Preisspitz­en. Wie steil diese Stadt wächst, sieht man am klarsten mit etwas Abstand. Auf einer kleinen künstliche­n Insel am Westufer, Little Island am Pier 55, rückt der Stadtlärm in die Ferne, dafür fegt der Zugwind durch die Bucht. Von der Insel aus betrachtet liegt keine Handbreite zwischen der winzigen Freiheitss­tatue und der Antennensp­itze des One World Trade Centers. Dort die grüne Dame, die seit 1886 jeden Ankömmling begrüßt. Und hier das Center, das dort in die Höhe gewachsen ist, wo eine tiefe Wunde klafft. „New York ist keine Stadt, die ist“, sagt Kerstin. „New York ist eine Stadt, die wird.“

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„The Beam“auf dem Dach des Rockefelle­r Centers erinnert an eine Ikone.
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Fotos: Lintner; wikimedia
 ?? ?? Spazierweg mit Geschichte: Die High Line führt entlang einer historisch­en Bahnstreck­e – und Altes steht hier ganz dicht bei Neuem.
Spazierweg mit Geschichte: Die High Line führt entlang einer historisch­en Bahnstreck­e – und Altes steht hier ganz dicht bei Neuem.
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„Lunch atop a Skyscraper“: Das Foto von Charles Clyde Ebbets, 1932.

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