Wenn der Mann in der Beziehung zum Opfer wird
Studie zeigt Ausmaß der Übergriffe
Hannover Wenn in Familien Gewalt eskaliert, sind in der Regel Männer die Täter. Davon zeugen überfüllte Frauenhäuser und die Fälle, die der Polizei bekannt werden. Bei Gewalt in Partnerschaften waren im Jahr 2022 bundesweit 78,3 Prozent der Tatverdächtigen Männer. Allerdings können auch sie Opfer von Beziehungsgewalt werden, wie eine neue Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen belegt. In einem OnlineFragebogen gaben mehr als die Hälfte der befragten 18- bis 69-jährigen Männer an, schon einmal Gewalt in einer Partnerschaft erlebt zu haben. 40 Prozent berichteten von psychischer Gewalt, 39 Prozent von Kontrollverhalten der Partnerin oder des Partners und fast 30 Prozent von körperlicher Gewalt. Gut fünf Prozent gaben an, sexuelle Gewalt erfahren zu haben, sechs Prozent waren schon von digitaler Gewalt betroffen.
In dem Projekt waren in einer Online-Befragung 12.000 Männer kontaktiert worden, 1209 nahmen teil. Eine zentrale Erkenntnis ist laut Mitautorin Laura-Romina Goede, dass es in den meisten Fällen keine klaren Täter-Opfer-Konstellationen gibt. Knapp 75 Prozent der Befragten gaben an, sowohl schon einmal Täter als auch Opfer gewesen zu sein.
„Gewalt in Partnerschaften ist komplex, es gibt eine Dynamik“, sagt die Kriminologin. Häufig beginne es mit übergriffigem Verhalten, Abwertungen und Schuldzuweisungen oder auch einer Isolation vom sozialen Umfeld. „Irgendwann waren dann die Grenzen so weit verschoben, dass es auch zu körperlicher Gewalt kam“, beschreibt Mitautor Philipp Müller. Bei der psychischen Gewalt handelte es sich oft um Anschreien, Beschimpfungen und Beleidigungen. Der Studie zufolge nahmen nur acht Prozent der Befragten nach der Gewalterfahrung Kontakt zu Polizei oder Beratungsstellen auf. Fast zwei Drittel derjenigen, die keinen Kontakt suchten, gaben als Grund an, dass sie die Gewalt als „nicht so schlimm“empfunden hätten. „Wir wollen mit unserer Studie nicht das Thema Gewalt gegen Frauen relativieren“, betont Müller. Notwendig sei aber ein größeres Bewusstsein in der Gesellschaft darüber, dass auch Männer Opfer werden könnten. (dpa)