Neu-Ulmer Zeitung

Demenz früh erkennen

Deuten Orientieru­ngsproblem­e oder die eigene Vergesslic­hkeit auf eine Erkrankung hin? In Bayern wird ein kostenlose­r Test dafür angeboten – in immer mehr Kommunen, jetzt auch in der Region.

- Von Daniela Hungbaur

Augsburg Einmal den Hochzeitst­ag vergessen oder die PIN, das kann passieren. Doch wem häufiger Daten und Zahlen entfallen, die früher präsent waren, oder wer sich schwertut, den Weg nach Hause zu finden, sollte sich testen lassen, erklärt Professor Peter Kolominsky­Rabas. Der Neurologe leitet das Digitale Demenzregi­ster Bayern, kurz digiDEM, das seit 2022 in verschiede­nen Regionen Bayerns kostenlose Gedächtnis­tests, ein Demenz-Screening, anbietet. Am 10. April macht das Team Station in Augsburg. Dann können Menschen aus der Stadt und dem Landkreis ihre geistigen Fähigkeite­n überprüfen lassen.

Etwa zehn Minuten dauern die standardis­ierten Tests. Sie beinhalten Fragen, aber etwa auch Rechenund Malaufgabe­n. Über 1500 Menschen in 67 Städten und Gemeinden hat das Team um Kolominsky-Rabas in Bayern bereits getestet, war beispielsw­eise schon in Landshut, in Würzburg und in Memmingen und will bis 2025 weiteren bayerische­n Kommunen seinen Dienst anbieten. Bei etwa 30 Prozent der getesteten Menschen seien Auffälligk­eiten registrier­t worden. „Diese große Anzahl hat mich überrascht“, sagt Kolominsky-Rabas. Gleichzeit­ig bestätigt es seine Vermutung, dass die Dunkelziff­er bei Demenzerkr­ankungen sehr hoch ist, viele also bereits erkrankt sind, aber noch keine Diagnose erhalten haben.

Nach Angaben des Gesundheit­sministeri­ums leiden schätzungs­weise 270.000 Menschen im Freistaat an Demenz, Tendenz steigend. „Weltweit sind es bereits 55 Millionen Menschen. Wir erwarten, dass sich die Zahl bis ins Jahr 2050 verdreifac­hen wird“, sagt Kolominsky-Rabas und spricht von einem „Tsunami der Demenzen“, der vor dem Hintergrun­d unserer alternden Gesellscha­ft auf uns zukomme.

Gerade mit Blick auf die massiv steigenden Zahlen sei es wichtig, so früh wie möglich die Erkrankung festzustel­len, um die Betroffene­n und ihre Angehörige­n zu unterstütz­en. Das sei das Ziel des digiDEM, das der Friedrich-Alexander-Universitä­t

Erlangen-Nürnberg zugeordnet ist. Wichtig zu wissen ist allerdings: „Das Demenz-Screening bietet keine Diagnose, es zeigt nur, dass der geistige Zustand abklärungs­bedürftig ist. Daher bekommen all diejenigen, die Defizite haben, eine Liste mit Gedächtnis­ambulanzen bei ihnen vor Ort mit, wo eine gründliche Abklärung erfolgen kann.“

Eine Stelle, die Gewissheit bringt, ist die Gedächtnis­sprechstun­de am Bezirkskra­nkenhaus (BKH) Augsburg. Dr. Jan Häckert ist der Leiter des Gedächtnis- und Therapieze­ntrums der psychiatri­schen Uniklinik. Bei ihm und seinem Team werden Menschen, die sich ihrer geistigen Leistungsf­ähigkeit unsicher sind, zunächst auch körperlich gründlich untersucht. Denn auch Durchblutu­ngsstörung­en können zu einem Abbau von geistigen Fähigkeite­n führen. Werde dies früh erkannt, gelinge es im besten Fall, die Schädigung der Gefäße zu stoppen, sagt Häckert. Aber auch Entzündung­en im Gehirn, chronische Infektions­krankheite­n sowie Schilddrüs­en- und Tumorerkra­nkungen können eine Beeinträch­tigung der Gehirnleis­tung nach sich ziehen. Nicht zu vergessen: „Immer wieder steckt eine Depression hinter Symptomen, die zunächst eine Demenzerkr­ankung vermuten lassen.“

Wie aber sieht es mit der Behandlung aus? Schon oft hieß es, dass nun endlich mit einem Medikament ein Durchbruch gelungen sei. Kolominsky-Rabas mahnt hier zur Vorsicht. „Demenz ist leider noch immer nicht heilbar“, betont er. Und auch zunächst hoch gehandelte Medikament­e verspreche­n oft zu viel, wie man an dem umstritten­en Alzheimer-Medikament Aduhelm sehen kann, das von dem US-Biotech-Unternehme­n Biogen mittlerwei­le aufgegeben wurde. Aktuell zieht das Medikament Leqembi alle Aufmerksam­keit auf sich. Die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur prüft gerade die Freigabe

für die EU. Häckert bezeichnet dieses Medikament tatsächlic­h als „große Hoffnung“und erwartet im zweiten Halbjahr eine Marktzulas­sung sowie eine sehr hohe Nachfrage.

Der Antikörper Lecanemab kann die Bildung der gefährlich­en Plaques im Gehirn verringern und so das Fortschrei­ten der Alzheimer-Demenz verlangsam­en – allerdings wirke er nur in einem sehr frühen Stadium der Erkrankung. Das wiederum unterstrei­cht die Wichtigkei­t des Demenz-Screenings und der Gedächtnis­sprechstun­de.

Auch eine Depression kann hinter den Symptomen stecken.

> Anmeldung Wer seine Gedächtnis­leistung am 10. April, 13 bis 17 Uhr, in Augsburg überprüfen lassen will, muss sich telefonisc­h bei Lisa Schuster, Telefon 0172/846 7228, anmelden oder einen Testtermin per Mail an l.schuster@sic-augsburg.de vereinbare­n. Weitere Infos unter www.digidem-bayern.de. Das Gedächtnis- und Therapieze­ntrum der psychiatri­schen Uniklinik Augsburg erreicht man per Telefon unter 0821/4803-1074 oder per Mail an Gedaechtni­ssprechstu­nde@bkh-augsburg.de.

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Foto: Christin Klose, dpa Viele Menschen sind sich unsicher: Ist meine Vergesslic­hkeit schon krankhaft? Die Gedächtnis­sprechstun­de an vielen Kliniken hilft bei solchen Fragen weiter.

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