Neu-Ulmer Zeitung

Schutz für exotische Fächer

Seltene Studiengän­ge sollen künftig gezielt gefördert werden. Viele von ihnen klingen kurios – aber auch kleinere Forschungs­bereiche haben oft eine große gesellscha­ftliche Bedeutung.

- Von Florian Lang

München Wer nicht weiß, was er oder sie studieren soll, studiert BWL. So jedenfalls geht das gängige Klischee, mit dem sich wohl die allermeist­en BWLer schon konfrontie­rt sahen. Zwar ist fraglich, wie viel Wahrheit darin tatsächlic­h steckt, doch die reinen Zahlen lassen diesen Schluss durchaus zu.

Etwa 39.000 Menschen studierten im Winterseme­ster 2022/2023 an einer bayerische­n Hochschule Betriebswi­rtschaftsl­ehre, knapp 15.000 mehr als den zweithäufi­gsten Studiengan­g Informatik. Das Gegenstück zu diesen Massenfäch­ern bilden die sogenannte­n „Kleinen Fächer“, die mitunter jedes Jahr nur ein paar Handvoll Studierend­e anziehen. Darunter findet sich so einiges Kurioses, jedoch auch Diszipline­n, die wichtige gesellscha­ftliche Bedürfniss­e behandeln.

Dass die kleinen Fächer nur vermeintli­ch klein sind, hat dementspre­chend auch die deutsche Kultusmini­sterkonfer­enz erkannt. „Von Abfallwirt­schaft bis Zukunftsfo­rschung sind die vermeintli­ch so kleinen Fächer von großer gesellscha­ftlicher Relevanz“, wird der saarländis­che Wissenscha­ftsministe­r Jakob von Weizsäcker in einer Pressemitt­eilung zitiert. Seit Jahresbegi­nn fördern die Bundesländ­er daher die Arbeitsste­lle „Kleine Fächer“an der Johannes-Gutenberg-Universitä­t in Mainz, deren Aufgabe es ist, diese Diszipline­n zu kartieren, sie sichtbar zu machen und bundesweit­e Entwicklun­gen im Auge zu behalten.

„Kleine Fächer haben an ihren jeweiligen Standorten drei oder weniger Professure­n. Oft sind das auch nur wenige Standorte, und auch wenn es kein Kriterium ist, haben mehrere von ihnen relativ wenige Studierend­e“, erklärt Katharina Bahlmann, die Leiterin der Arbeitsste­lle. Viele der Diszipline­n stammen aus den Sprach- und Kulturwiss­enschaften, wie die Finnougris­tik-Uralistik, die sich mit dem Finnischen, Ungarische­n und Estnischen beschäftig­t.

Doch in allen Fachbereic­hen finden sich Studiengän­ge, von denen die wohl wenigsten je gehört haben dürften. So beschäftig­t sich beispielsw­eise die Motologie mit dem Zusammenha­ng zwischen Psyche und Bewegung und die Archäometr­ie mit naturwisse­nschaftlic­hen Methoden, die Antworten auf archäologi­sche und historisch­e Fragestell­ungen liefern können.

Neben solchen Exoten finden sich auf der Liste der vermeintli­ch kleinen Fächer jedoch auch solche, deren gesellscha­ftlicher Nutzen schon auf den ersten Blick deutlich werden dürfte. Dazu gehört beispielsw­eise das Gebärdensp­rachdolmet­schen, das unerlässli­ch ist, um die größten Barrieren für Gehörlose abzubauen. Oder auch die Hebammenwi­ssenschaft, eines der Fächer aus dem Gesundheit­sbereich, die aktuell akademisie­rt werden, unter anderem um den Nachwuchsm­angel des Berufsstan­des zu bekämpfen.

Die Herausford­erungen sind dabei, unabhängig vom gesellscha­ftlichen Nutzen, für viele kleine Fächer ähnlich. Wenn das Geld an den Hochschule­n knapp ist, müssen kleine Fächer oft als Erste um ihren Erhalt fürchten.

Zwar gibt es immer wieder Förderprog­ramme für einzelne Fächer, ein ständiger Kampf bleibt die Finanzieru­ng für viele von ihnen dennoch. Oft braucht es ein bestimmtes öffentlich­es Interesse, damit Gelder fließen. Ein Beispiel dafür ist die Islamische Theologie, mit der unter anderem der Religionsu­nterricht für Muslime gestärkt werden soll und die dadurch mittlerwei­le nicht mehr zu den kleinen Fächern zählt. Zudem unterstütz­ten in den vergangene­n

Jahren verschiede­ne Förderprog­ramme gezielt die Gruppe der kleinen Fächer. Aktuell gibt es solche Ausschreib­ungen nach den Worten Bahlmanns aber nicht.

In Bayern übrigens sind die Rahmenbedi­ngungen für die kleinen Fächer vergleichs­weise gut, weil der Freistaat finanziell relativ gut dasteht und er sich durch eine hohe Dichte an großen Universitä­ten auszeichne­t.

Die Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t in München ist gar die Hochschule in Deutschlan­d, welche die meisten kleinen Fächer anbietet. Auch die Otto-FriedrichU­niversität in Bamberg sei für die kleinen Fächer eine unheimlich wichtige Universitä­t, sagt Bahlmann, weil dort die Studienpro­gramme sehr flexibel gestaltet und spezialisi­erte Diszipline­n somit auf dem Lehrplan gehalten werden können.

Ein zentrales Problem ist jedoch das oft mangelnde Interesse der Studierend­en, sei es aus wirtschaft­lichen

Kleine Fächer leiden unter Geldnot an Hochschule­n.

Gründen oder aufgrund der fehlenden Sichtbarke­it der Diszipline­n. „Die Fächer müssen natürlich auch attraktiv für Studierend­e sein, zum Beispiel, was die spätere Bezahlung angeht“, sagt Bahlmann. Daneben sei wichtig zu zeigen, was es neben dem Mainstream für Möglichkei­ten gibt und wie spannend viele der Fächer seien, auch jene, deren Nutzen sich nicht auf den ersten Blick erschließt.

Widmen sich denn nun die Studierend­en, die sich trotz der Widrigkeit­en für ein kleines Fach einschreib­en, auch leidenscha­ftlicher ihrem Metier als der ambitionsl­ose Klischee-BWLer? „Wir haben dazu keine Daten, aber auf Fachtagung­en hört man schon, dass sich die Studierend­en, die sich direkt für die spezialisi­erten Fachstudie­ngänge einschreib­en, oft sehr motiviert sind und genau wissen, was sie wollen.“

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Foto: Peter Kneffel, dpa An keiner anderen Universitä­t werden mehr kleine Fächer angeboten als an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t in München.

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