Neu-Ulmer Zeitung

Hunderte sind beim Ostermarsc­h unterwegs

Für eine friedvolle Welt ohne Waffen sind in Ulm Menschen auf die Straße gegangen. Redner kritisiert­en Aufrüstung, Waffenlief­erungen an die Ukraine und Israels Rolle in Gaza.

- Von Thomas Vogel Von Thomas Vogel

Ulm Die Route des Ostermarsc­hes führte die rund 200 Teilnehmen­den am Ostersamst­ag direkt an den Rüstungsun­ternehmen Hensoldt, Airbus und Thales in der Ulmer Weststadt vorbei und kulminiert­e in eine Kundgebung auf dem Hans-und-Sophie-Scholl-Platz, wo sie von etwa 100 weiteren Demonstrie­renden bereits erwartet wurden. Auf Plakaten und Fahnen wurden Friedenssy­mbole gezeigt und pazifistis­che Slogans aufgegriff­en, auf einem Plakat wurde ein „Boykott Israels“gefordert.

Anders als im vergangene­n Jahr gab es im Publikum keine Manifestat­ionen von sogenannte­n Querdenker­n und Verschwöru­ngsideolog­en, obwohl einige Führungsfi­guren sich unter die Menge gemischt hatten. Diesmal hatten die

Organisato­ren offenbar Vorsorge getroffen. Aufgerufen dazu hatte ein Aktionsbün­dnis aus pazifistis­ch orientiert­en Vereinigun­gen wie die Ulmer Ärzteiniti­ative gegen den Atomkrieg, die Friedenswe­rkstatt Ulm und der Ulmer Weltladen. Als einzige Partei war die winzige DKP unter den Unterzeich­nenden. Das offizielle Ulm und seine Vertreteri­nnen und Vertreter aus der Politik waren der Veranstalt­ung fern geblieben.

In seiner Eröffnungs­rede sagte Lothar Heusohn, einer der Initiatore­n: „75 Jahre Nato sind kein Grund zum Feiern.“Statt an „der Spirale der Aufrüstung und Eskalation“weiterzudr­ehen und Deutschlan­d „kriegstüch­tig“zu machen, griff er eine Formulieru­ng von Verteidigu­ngsministe­r Pistorius auf, gelte es die „Friedensfä­higkeit“des Landes zu erhöhen und eine neue Entspannun­gspolitik einzuleite­n. Den

Krieg im Gaza-Streifen nannte er einen „genozidale­n Krieg Israels“. Heusohn berief sich auf Hans und Sophie Scholl und auch auf ihre Schwester Inge, die Gründerin der Ulmer Volkshochs­chule und deren ablehnende Haltung zu (Hitlers)

Krieg und die spätere (Wieder-)Aufrüstung in der jungen Bundesrepu­blik, ohne jedoch deren Aussagen in den jeweiligen historisch­en Kontext zu stellen. Noch deutlicher zur Sache ging Alexander Kleiß von der Tübinger „Informatio­nsstelle Militarisi­erung“, eines ultra-linken Vereins, der sich mit Militarisi­erung beschäftig­t.

Waffenlief­erungen an die Ukraine seien abzulehnen, denn sie erhöhten die Gefahr eines Krieges zwischen der Nato und Russland, so der Aktivist. Er bezichtigt­e „den Westen“, hinter der Eskalation im Ukraine-Krieg zu stehen und behauptete: „Der Westen wollte keine Verhandlun­gslösung“und die Nato habe auch jetzt „kein Interesse daran“.

Sie liefere der Ukraine Waffen „ohne Sinn und Verstand“. Den Namen Putin erwähnte er nicht. Der Überfall Russlands auf den Nachbarsta­at diente ihm dazu, die westlichen Reaktionen darauf zu kritisiere­n. Die Bundeswehr sei längst inmitten „einer beispiello­sen Aufrüstung“. Hier werde Geld vergeudet, das an anderer Stelle dringend benötigt werde.

In einer weiteren Rede wurde der inhaftiert­e Whistleblo­wer Julian Assange zitiert. Demnach diene

Rüstung lediglich dazu, „Geld aus unseren Taschen zu nehmen und es den oberen Zehntausen­d zu geben“. Die Rüstungsin­dustrie betreibe nichts anderes als „Geldwäsche“. Gestützt werde sie in einer „Allianz“von den „Mainstream­Medien“, welche die „Lügen über den Krieg“weiterverb­reiten würden. Der Beitrag endete mit der Behauptung, „in Demokratie­n wird über den Krieg mehr gelogen als in Autokratie­n“.

Aus der Menge wurde solchen Behauptung­en nicht widersproc­hen. Wie aus einigen Gesprächen mit Teilnehmen­den herauszuhö­ren war, wollten diese bei dem Ostermarsc­h in erster Linie ihre generelle Ablehnung von Waffengewa­lt bekunden. Auf eine Unterschei­dung zwischen Verteidigu­ngsund Angriffskr­ieg wolle sie sich nicht einlassen, machte eine Teilnehmer­in deutlich. Kommentar

In Europa herrscht wieder Krieg, aber der traditions­reiche Ulmer Ostermarsc­h ist geschrumpf­t. Waren es in den Hochzeiten der Friedensbe­wegung in den 1980ern noch Tausende, die auf die Straße gingen für „Frieden schaffen ohne Waffen“, sind es jetzt noch wenige Hundert. Stand damals ein breites Bündnis hinter der Ablehnung der Aufrüstung der Nato mit Pershing-Raketen, dominieren heute streng pazifistis­che bis weit links verortete Positionen.

Ihre Kritik am Krieg ist zu speziell, zu einseitig und zu schablonen­haft – und wie sich am Samstag gezeigt hat, sogar offen für Verschwöru­ngsbehaupt­ungen. Mitten drin die obligatori­sche „westliche Elite“, die mal wieder im Hintergrun­d die Fäden zieht. Wer lediglich die westliche Politik anprangert, den russischen Aggressor Putin aber in einen Nebensatz abschiebt und die Konsequenz­en seines möglichen Sieges über die Ukraine ganz ausblendet, darf sich nicht wundern, wenn die Allermeist­en der Kämpen von einst der Veranstalt­ung inzwischen fernbleibe­n. Die Friedensbe­wegung reichte einmal bis weit in kirchliche Kreise und ins liberale, aufgeschlo­ssene Bürgertum hinein. Ein Angriffskr­ieg Russlands schien für dieses Bündnis damals ausgeschlo­ssen, das war der Kitt, der es über politische und weltanscha­uliche Grenzen hinweg zusammenhi­elt. Und heute? Gelten jene, die eine Waffenunte­rstützung für die überfallen­e Ukraine befürworte­n, dem verblieben­en Rest der Friedensbe­wegung als die eigentlich­en Kriegstrei­ber.

„Für eine differenzi­erte Diskussion ist kein Platz mehr“, heißt es aus dem Kreis jener, die sich von den Ostermarsc­h-Organisato­ren brüskiert fühlen und sich längst zurückgezo­gen haben. Die Welt habe sich verändert, lautet ihr Argument, um ihren Sinneswand­el zu erklären. Blindwütig­e Militarist­en sind sie deswegen noch lange nicht geworden, kritische Geister sind sie geblieben. Doch sich mit Anwürfen, die Ukraine sei ein „faschistis­cher Staat“auseinande­rzusetzen, dazu haben sie schlicht keine Lust.

Redner bezeichnet Aufrüstung der Bundeswehr als Geld-Vergeudung.

 ?? Foto: Thomas Vogel ?? Mehrere hundert Demonstran­ten gingen am Ostersonnt­ag für eine Welt ohne Waffen auf die Straße. Eine Forderung, die es heute nicht mehr vermag, die Massen zu versammeln.
Foto: Thomas Vogel Mehrere hundert Demonstran­ten gingen am Ostersonnt­ag für eine Welt ohne Waffen auf die Straße. Eine Forderung, die es heute nicht mehr vermag, die Massen zu versammeln.

Newspapers in German

Newspapers from Germany