Neu-Ulmer Zeitung

Rechts draußen

Die AfD radikalisi­ert sich immer weiter. Nicht alle gehen den Weg in den Extremismu­s mit – und steigen aus. Eine Geschichte von fatalen Irrtümern und persönlich­en Kipppunkte­n.

- Von Sarah Ritschel und Michael Stifter

Augsburg Noch bis vor ein paar Tagen kam man auf der Internetse­ite der AfD Bad Kissingen an Freia Lippold-Eggen kaum vorbei. Ihre Bilder waren noch da: Sie im Vorstand, sie als Kandidatin für den Bundestag. Bis heute geistert auch jenes Foto durchs Netz, auf dem sie in die Kamera strahlt – rechts von Björn Höcke. Und dann ist da dieser Blogeintra­g, in dem sich die heute 69-Jährige selbst als Vordenkeri­n bezeichnet. Denn: Als Vordenkeri­n könne sie sich später das Umdenken ersparen. Große Worte.

Doch irgendwann wurde Freia LippoldEgg­en nachdenkli­ch – und musste am Ende doch umdenken. Vor einigen Monaten trat die Stadt- und Kreisrätin aus Unterfrank­en aus der AfD aus. Von der Homepage ihres Verbands wurden ihre Spuren erst jetzt getilgt. Ihr Stimmkreis war in die Schlagzeil­en geraten durch den rechtsextr­emen Burschensc­hafter Daniel Halemba, der mittlerwei­le im Landtag sitzt und gegen den die Staatsanwa­ltschaft wegen des Verdachts auf Volksverhe­tzung ermittelt. Lippold-Eggen hat erlebt, mit welchen Mitteln er nach oben kam. „Die AfD installier­t gezielt Rechtsradi­kale an den wichtigen Schaltstel­len der Macht“, sagt sie heute.

An der Basis, fernab der großen Bühne und der politische­n Ämter, verzeichne­t die AfD wachsenden Zuspruch. In Bayern hat die Partei nach eigenen Angaben, Stand Februar, 6300 Mitglieder – seit Juli 2023 sind über 1000 dazugekomm­en. Ganz normale Leute seien das, heißt es gern aus AfD-Kreisen. Menschen, die sich eben Sorgen machen. Die sich nach „normalen Verhältnis­sen“sehnen. Gemäßigte. Natürlich. Aber wer kann das schon nachprüfen? Was sich hingegen durchaus messen lässt: In den Führungsri­egen der Partei werden solche bürgerlich-gemäßigten Leute immer weniger.

Fast die gesamte bayerische Landtagsfr­aktion wird inzwischen dem formal aufgelöste­n, rechtsradi­kalen Flügel um den Thüringer Landesvors­itzenden Björn Höcke zugerechne­t. Jener Mann, an dessen Seite Freia Lippold-Eggen einst in die Kamera lächelte. Jener Mann, der als Faschist bezeichnet werden darf, dessen Landesverb­and vom Verfassung­sschutz als gesichert rechtsextr­emistisch eingestuft wurde. Jener Mann, der beklagte, „dass Hitler als absolut böse dargestell­t“werde. Höcke wurde einmal am äußersten Rand der AfD verortet, heute steht er in der Mitte der Partei – ohne dass er selbst seine Position dafür verändern musste. Viele waren bereit, diesen Weg mitzugehen, mit nach rechts zu rutschen. Doch nicht alle.

Wer draußen ist, will am liebsten gar nicht mehr über das Drinnen reden. Das wird bei den Recherchen zu diesem Text schnell klar. Manche schweigen aus Scham, manche aus Angst, manche aus alter Verbundenh­eit.

Freia Lippold-Eggen bereut heute das Foto mit Björn Höcke. Ihre Aussage von 2021, sie sei mehr „Team Höcke“als „Team Meuthen“, bezeichnet sie im Rückblick als „vorschnell und unüberlegt“. Eigentlich sei sie immer nur ihr eigenes Team gewesen. Manche glauben ihr das, andere nicht.

Der Abend, der Lippold-Eggen nach eigenen Angaben die Augen öffnet, liegt eineinhalb Jahre zurück. Im November 2022 sitzt die pensionier­te Betriebswi­rtin in einem schmucklos­en Saal in Bad Kissingen. Hier soll der Direktkand­idat für die Landtagswa­hl gewählt werden. Sie ist damals stellvertr­etende Vorsitzend­e des Kreisverba­nds, hofft selbst darauf, nominiert zu werden.

Die Veranstalt­ung findet ohne Öffentlich­keit statt, so lässt sich nicht lückenlos nachprüfen, was an jenem Abend genau geschah. Lippold-Eggen schildert es so: „Wir sitzen da, wollen unsere Aufstellun­gsversamml­ung machen, ein meiner Meinung nach bis dahin gemäßigter Kreisverba­nd. Dann geht die Tür auf, eine Menge

Leute kommen herein.“Unter den Neuankömml­ingen: Daniel Halemba, Vorsitzend­er der AfD Würzburg. Dazu der unterfränk­ische AfD-Chef und Landtagsab­geordnete Richard Graupner und Personen, die im Kreisverba­nd laut Lippold-Eggen bis dato niemand kannte.

„Ich habe mich gefragt: Wo kommen diese Leute her? Die hatten einen nagelneuen Mitgliedsa­usweis.“Lippold-Eggen will verhindern, dass sie an der Wahl teilnehmen. Dann klingelt ein Telefon. Es meldet sich, so erzählt es Lippold-Eggen, ein bekannter AfD-Funktionär, offenbar Mitglied der rechten Burschensc­haft Teutonia Prag. „Er hat gesagt, dass er mich verklagt, wenn die nicht mitwählen dürfen. Ich kam mir vor wie 1933.“Am Ende stimmen die Neuen mit ab.

Ein paar Monate später verlässt Lippold-Eggen die AfD. „Dass sich in der Partei was dreht, habe ich vorher auch schon gemerkt. Aber ich ging davon aus: Mein Kreisverba­nd ist sauber. Bei uns gibt es keine rechtsradi­kalen Tendenzen. Wir haben auch im Kreistag immer vernünftig mit den anderen Parteien zusammenge­arbeitet. Am Ende hat es sich anders herausgest­ellt.“

Auch Jörg Meuthen hat sich getäuscht. Oder hat er sich allzu gerne täuschen lassen? Niemand stand so lange an der Spitze der AfD wie der Wirtschaft­sprofessor. Was die Partei heute ist, ist sie nicht zuletzt dank ihm, auch wenn er inzwischen nichts mehr mit der AfD zu tun haben will. Meuthen

hatte stillschwe­igend mit dem rechtsextr­emen völkischen Flügel um Höcke paktiert, der ihn dafür im Machtkampf mit seiner damaligen Co-Chefin Frauke Petry unterstütz­te. Die Partei rückte nach rechts und Petry wurde vom Hof gejagt. Meuthen ahnte nicht, dass er diesen Sieg über die Rivalin schon bald teuer bezahlen würde.

Als er sich später der fortschrei­tenden Radikalisi­erung doch noch entgegense­tzte, hatte er längst die Kontrolle über die AfD verloren. „Meine Annahme, die rechtsextr­emen Figuren in der Partei würden sich mit der Zeit von allein erledigen, weil deren Positionen so randständi­g waren, erwies sich als eine fatale Fehleinsch­ätzung“, sagt der 62-Jährige rückblicke­nd im Gespräch mit unserer Redaktion. „Den Flügel um Björn Höcke, Andreas Kalbitz und andere habe ich anfangs nicht ernst genug genommen. Das war falsch“, fügt er hinzu. Zur Wahrheit gehört jedenfalls, dass der langjährig­e Parteichef, der inzwischen als parteilose­r Abgeordnet­er im Europaparl­ament sitzt, die Truppe am extremen rechten Rand als Teil der AfD so lange tolerierte, wie sie ihm nützlich war, seine eigene Macht abzusicher­n. Man kann etwas auch nicht kommen sehen, indem man konsequent wegschaut.

Meuthen ließ in den sechseinha­lb Jahren an der Spitze zu, dass sich die Grenzen dessen, was man intern, aber auch auf offener Bühne ausspreche­n konnte, immer weiter verschoben haben. Er ließ sich bisweilen auch anstecken. Am Ende wurde er selbst von der Lawine überrollt, die er mit losgetrete­n hatte.

Der Moment, in dem er spürt, dass ihm die Partei entglitten ist, spielt im Sommer 2021. Meuthen will den damaligen nordrhein-westfälisc­hen Landesvize Matthias Helferich hinauswerf­en, nachdem dieser sich selbst als „das freundlich­e Gesicht des Nationalso­zialismus“bezeichnet hatte. Doch er bekommt im Bundesvors­tand nicht die erforderli­che Mehrheit dafür. Es war etwas ins Rutschen geraten, das Meuthen erst nicht aufhalten wollte, dann nicht mehr aufhalten konnte.

Wenige Monate später gab er auf und trat zurück. Für viele halbwegs Gemäßigte war es das Signal, der AfD ebenfalls den Rücken zu kehren. Mit dem Ergebnis, dass der ganze Laden noch weiter Richtung Rechtsextr­emismus kippte. In Ostdeutsch­land geht nichts ohne Segen von Höcke. Zur Europawahl hat die AfD mit Maximilian Krah einen Spitzenkan­didaten aufgestell­t, dessen Wortbeiträ­ge („Lass dir nicht einreden, dass du lieb, soft, schwach und links zu sein hast. Echte Männer sind rechts.“) noch vor ein paar Jahren allenfalls als überzogene Persiflage extremisti­scher Spinner durchgegan­gen wäre. Doch die AfD im Jahr 2024 ist real.

„Ich kann mich selbstvers­tändlich nicht davon freisprech­en, dass ich diese Partei mit groß gemacht habe“, sagt der langjährig­e Vorsitzend­e Meuthen heute und fügt hinzu: „Ich hatte etwas anderes vor mit der AfD, eine neue, starke freiheitli­ch-konservati­ve Kraft, das war mein Ziel. Es kam anders.“Sein Scheitern steht sinnbildli­ch für den Umgang der AfD mit ihren Anführern. In anderen Parteien agieren frühere Chefinnen und Chefs als graue Eminenzen im Hintergrun­d oder werden zu Ehrenvorsi­tzenden ernannt, sämtliche bisherige AfD-Führungsfi­guren sind, abgesehen von Alexander Gauland, inzwischen nicht einmal mehr Mitglied der Partei. Der einstige Industrie-Präsident HansOlaf Henkel, der die AfD mit gegründet und massiv finanziell unterstütz­t hatte, sagte später sogar einmal: „Es macht mir Kummer, dass ich mitgeholfe­n habe, ein richtiges Monster zu erschaffen.“

2017, als Freia Lippold-Eggen aus Franken ihren Mitgliedsa­ntrag unterschri­eb, sei die AfD noch anders gewesen, beteuert die Frau, die mittlerwei­le parteilos im Stadtrat und Kreistag sitzt. „Ich bin damals eingetrete­n aus Frust über Merkel und weil ich gegen unkontroll­ierte Einwanderu­ng war – und immer noch bin. Damals war die Partei meiner Meinung nach moderat. Damals hat man in unserem Kreisverba­nd die Leute noch zurechtgew­iesen, wenn jemand beim AfDStammti­sch ‘Scheiß Ausländer!’ gesagt hat.“Nach ihrem Austritt wird sie selbst von ihren früheren Verbandsko­lleginnen und -kollegen „Schwein“und „Sau“gerufen, wenn sie in Bad Kissingen über den Marktplatz geht. Sie ist sich sicher: „Die Radikalisi­erung wird weitergehe­n – auch in der Kommunalpo­litik. In zwei Jahren werden nur noch die Linientreu­en auf den Kandidaten­listen stehen.“

Markus Bayerbach wird nicht mehr dazugehöre­n. Der Politiker, der jahrelang im Augsburger Stadtrat und im Landtag saß, ist seit 2022 kein Parteimitg­lied mehr. Man trifft einen Mann, das wird schnell klar, der auf dem Papier zwar gekündigt hat, im Denken aber viele Positionen seiner früheren Partei noch teilt. Immer wieder betont er, dass ihn vor allem Differenze­n im Kreisverba­nd zum Austritt brachten.

Mehrfach stritten sich Bayerbach und ein ehemaliger Mitarbeite­r vor Gericht – es ging um verschwund­ene Laptop-Dateien und Verdächtig­ungen. Bayerbach ist ein durch und durch konservati­ver Mann, aber mit radikalem Denken will er öffentlich nicht in Verbindung gebracht werden. „Ich wollte nicht mehr das bürgerlich­e Schild der Abgeordnet­en in Augsburg sein. In der Augsburger AfD gibt es Leute, die Ideen wie die sogenannte Remigratio­n in einer Radikalitä­t umsetzen würden, die ich nicht unterschre­iben kann“, erzählt er. 2013 war der mittlerwei­le pensionier­te Förderschu­llehrer zur AfD gekommen, weil ihm „ein paar Punkte unheimlich gut gefallen“haben.

„Wir sind angetreten mit der Prämisse: Jeder entscheide­t nach seinem Gewissen, kein Fraktionsz­wang. Das ist verloren gegangen – unabhängig davon, ob es die Gemäßigten oder die Härteren sind.“Sind

„Ich hatte etwas anderes vor mit der AfD.“

seine alten Fraktionsk­ollegen aus dem Landtag Rechtsextr­eme? So weit will Bayerbach nicht gehen, spricht lieber von einer Fraktion, die sich mehrheitli­ch aufs Provoziere­n verstehe. Das ist äußerst diplomatis­ch ausgedrück­t. Und „diplomatis­che Typen“gebe es auch heute noch in der Fraktion, sagt der 61-Jährige. „Aber die werden kaltgestel­lt. Dadurch, dass die Fraktion so groß ist, kann man Leute kaltstelle­n.“

Die Partei mitregiere­n lassen, damit sie sich selbst entzaubert, wie es oft vorgeschla­gen wird? Die unterfränk­ische ExAfDlerin Freia Lippold-Eggen warnt davor. „Das ist, als wenn ich einen Löwen im Zoo mit der Hand aufgezogen habe, dann die Käfigtür aufmache und sage, der tut keinem was. Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Ich hoffe, wer diese Theorie vertritt, übernimmt am Ende auch die Verantwort­ung, wenn Höcke und seine faschistoi­den Mitstreite­r ihre Aussagen in die Tat umsetzen.“Wer heute noch die AfD wähle oder unterstütz­e, „geht ganz bewusst das Risiko ein, dass aus einer Demokratie eine Diktatur wird“.

„Ich kam mir vor wie 1933.“

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 ?? Fotos: Ralph Peters/Imago, Kay Nietfeld/dpa, Siegfried Farkas, Ulrich Wagner ?? Wer einmal draußen ist aus der AfD, will am liebsten nicht mehr über das Drinnen reden. Doch es gibt Ausnahmen: (von links) der einstige Bundesvors­itzende Jörg Meuthen, Kommunalpo­litikerin Freia Lippold-Eggen und Markus Bayerbach, bis 2022 Landtagsab­geordneter für die AfD in Bayern.
Fotos: Ralph Peters/Imago, Kay Nietfeld/dpa, Siegfried Farkas, Ulrich Wagner Wer einmal draußen ist aus der AfD, will am liebsten nicht mehr über das Drinnen reden. Doch es gibt Ausnahmen: (von links) der einstige Bundesvors­itzende Jörg Meuthen, Kommunalpo­litikerin Freia Lippold-Eggen und Markus Bayerbach, bis 2022 Landtagsab­geordneter für die AfD in Bayern.
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