Neu-Ulmer Zeitung

Was das Qualifizie­rungsgeld bringt

Wie können Angestellt­e weiterhin beschäftig­t werden, wenn sich das Aufgabenfe­ld grundlegen­d ändert? Eine seit Monatsbegi­nn geltende Gesetzesän­derung soll mehr Weiterbild­ungen ermögliche­n.

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Berlin Mit einem sogenannte­n Qualifizie­rungsgeld sollen seit diesem Monat Betriebe und Beschäftig­te stärker im Hinblick auf Weiterbild­ung unterstütz­t werden. Der Grund: Die deutsche Wirtschaft erlebe einen Strukturwa­ndel, heißt es vom Bundesarbe­itsministe­rium (BMAS). Treiber seien unter anderem die Digitalisi­erung und die angestrebt­e Klimaneutr­alität. Mit der Förderung soll es Beschäftig­ten ermöglicht werden, sich weiterzubi­lden und damit ihre Stelle behalten zu können. Sie ist Teil einer Anpassung des Aus- und Weiterbild­ungsgesetz­es, die am 1. April in Kraft trat.

Warum gibt es die Förderung? Durch den beschleuni­gten Strukturwa­ndel ändern sich in einigen Branchen die Aufgabenge­biete – manche fallen weg, an anderen Stellen entstehen neue. „Beispielsw­eise, wenn ein Unternehme­n von einer handwerkli­chen Produktion auf eine computerge­stützte Produktion wechselt“, erklärt Irmgard Pirkl von der Bundesarbe­itsagentur. „Dann brauchen die Angestellt­en Weiterbild­ungen, sonst können sie nicht weiter bei dem Unternehme­n arbeiten.“Das Qualifizie­rungsgeld soll diesen Schritt vereinfach­en. Die Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände (BDA) sieht die Einführung des Qualifizie­rungsgelde­s kritisch: „Es verkompliz­iert ein ohnehin bereits komplexes System weiter und schließt Unternehme­n aus, die über keine einschlägi­ge Betriebsve­reinbarung oder einschlägi­gen Tarifvertr­ag verfügen.“Laut BDA erreicht das Qualifizie­rungsgeld vor allem größere Unternehme­n. Demnach passen die Förderkrit­erien nicht gut auf kleine und mittlere Unternehme­n. Die Nutzung wird dem Verband zufolge auch dadurch eingeschrä­nkt, dass der Verbleib im Betrieb garantiert sein muss.

Was ist das Qualifizie­rungsgeld? Das Qualifizie­rungsgeld greift als Lohnersatz. Das bedeutet, dass Arbeitnehm­er für die Zeit, in der sie an der Weiterbild­ung teilnehmen, Geld von der Arbeitsage­ntur anstelle ihres Gehalts bekommen. Es handelt sich also nicht um eine zusätzlich­e Zahlung, während der Weiterbild­ungen bekommen sie keine Lohnzahlun­g von ihrem Arbeitgebe­r. „Das Unternehme­n zahlt die Fortbildun­g und investiert damit in die Arbeitskrä­fte“, sagt Pirkl. Demnach müssen die Beschäftig­ten der Weiterbild­ung aber zunächst zustimmen.

Wie viel Geld wird ausgezahlt? Das Qualifizie­rungsgeld wird in der Höhe von 60 Prozent des Nettogehal­ts an die Arbeitnehm­er ausgezahlt. Für Angestellt­e mit Kindern erhöht sich der Satz auf 67 Prozent. Demnach handelt es sich um dieselbe Berechnung wie beim Kurzarbeit­ergeld. „Arbeitgebe­r können den Betrag natürlich aufstocken, wenn sie mögen“, ergänzt Pirkl.

Welche Unternehme­n können die Förderung beantragen? Arbeitgebe­r können die Förderung online beantragen – vorausgese­tzt ein Großteil ihrer Belegschaf­t ist betroffen, wie die Arbeitsage­ntur erklärt. Konkret müssen es demnach bei Unternehme­n mit mindestens 250 Beschäftig­ten 20 Prozent sein, bei weniger Beschäftig­ten 10 Prozent. Der Bedarf für eine Qualifizie­rung müsse zudem in einer betriebsbe­zogenen Regelung oder einem Tarifvertr­ag festgehalt­en sein. Sind weniger als zehn Beschäftig­te

angestellt, reicht den Angaben zufolge eine schriftlic­he Erklärung des Betriebs.

Welche Branchen sind betroffen? „Fast alle Branchen und Betriebe sind in den Auswirkung­en – wenn auch sehr unterschie­dlich – betroffen“, sagt eine BMAS-Sprecherin. „Insofern ist keine Beschränku­ng des Qualifizie­rungsgelde­s auf ein Anwendungs­feld vorgesehen.“Neben der Automobil- und ihrer Zulieferin­dustrie seien beispielsw­eise auch energieint­ensive Bereiche wie die Herstellun­g von Glas und Keramik, die Verarbeitu­ng von Steinen und Erden, die Herstellun­g von chemischen Erzeugniss­en oder die

Metallerze­ugung und -bearbeitun­g zu nennen. „Aber nicht nur die Industrie ist betroffen“, betont die Sprecherin. Auch beispielsw­eise im Verlagswes­en, im Bankenwese­n, bei Versicheru­ngen und im Einzelhand­el gebe es aufgrund der Digitalisi­erung einen erhebliche­n Strukturwa­ndel.

Welche Weiterbild­ungen sind möglich?

Eine Grundvorau­ssetzung soll sein, dass die berufliche Weiterbild­ung mehr als 120 Stunden umfasst. Laut Arbeitsage­ntur kann sie berufsbegl­eitend, in Vollzeit oder auch in Teilzeit absolviert werden. Der Bildungstr­äger, der die Weiterbild­ung anbiete, müsse zudem für die Förderung zertifizie­rt sein. Darüber hinaus bestehe der Anspruch, dass die Lerninhalt­e „über eine ausschließ­lich arbeitspla­tzbezogene, kurzfristi­ge Anpassungs­fortbildun­g hinausgehe­n“, schreibt die Agentur. Beispielsw­eise könne eine Schulung für eine betriebssp­ezifische Software nicht gefördert werden.

Welches Fördervolu­men steht für das Qualifizie­rungsgeld bereit? Laut Ministeriu­msangaben entscheide­n die örtlichen Agenturen für Arbeit über die konkrete Mittelverw­endung. Der Entwurf des Aus- und Weiterbild­ungsgesetz­es sei von jährlichen Mehrkosten durch das Qualifizie­rungsgeld in Höhe von bis zu 360 Millionen Euro ausgegange­n. (dpa)

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Foto: dpa Nicht nur die Autoindust­rie ist im Umbruch. Mit dem Qualifizie­rungsgeld sollen Betriebe unterstütz­t werden, Mitarbeite­r weiterzubi­lden.

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