Neu-Ulmer Zeitung

Abseits in Afrika

Im Kampf gegen den islamistis­chen Terror und die illegale Migration hat sich die Bundesregi­erung in der Sahelzone stark engagiert. Die gesamte Arbeit steht jedoch auf der Kippe. Stattdesse­n wird der Einfluss Russlands immer stärker.

- Von Stefan Lange

Berlin Es ist erst wenige Tage her, da schärfte Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius den deutschen Blick auf die Sahel-Staaten Mali, Burkina Faso und Niger. Die Situation dort ändere sich ständig, erklärte der SPD-Politiker und ergänzte: „Die Interessen der Menschen vor Ort, unsere eigenen Interessen in der Region und vor allem unser gemeinsame­s Interesse an Sicherheit und Stabilität – das darf sich nicht ändern.“Insbesonde­re die Lage im Niger steht gerade unter besonderer Beobachtun­g der Bundesregi­erung. Ende Juli letzten Jahres stürzte die Präsidialg­arde den gewählten Präsidente­n Mohamed Bazoum und stellte ihn unter Hausarrest. Seitdem ist eine Militärjun­ta an der Macht, die sich unter dem Namen „Nationalra­t für die Rettung des Vaterlande­s“versammelt. Der von Pistorius gewünschte­n Stabilität scheint das nicht dienlich zu sein.

Niger ist wichtig für Deutschlan­d. Ein Luftwaffen-Stützpunkt in der nigrischen Hauptstadt Niamey dient nach dem Abzug der Bundeswehr aus Mali als logistisch­e Drehscheib­e für den Rücktransp­ort von Material. Infolge des Militärput­sches im Juli 2023 wurde das Bundeswehr-Personal reduziert. Der Auftrag endet voraussich­tlich im Mai 2024. Doch was kommt danach? Die Region mit Niger, Mali und Burkina Faso gilt als Hochburg islamistis­cher Terroriste­n und als bedeutende­s Schleuser-Drehkreuz für Migranten, die Richtung Europa reisen wollen. Das „Problem Sahel“ist nicht verschwund­en, wie der Afrika-Experte Denis Tull von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik (SWP) in Berlin schreibt. „Die Problemati­ken illegale Migration, Instabilit­ät und Terrorismu­s, die Deutschlan­d und andere Partner seit 2013 zum Engagement im Sahel getrieben haben, sind weiterhin vorhanden“, weiß der Wissenscha­ftler, der die Lage vor Ort seit Jahren beobachtet.

Noch Ende April letzten Jahres stimmte der Bundestag der Beteiligun­g der Bundeswehr an der neuen militärisc­hen Partnersch­aftsmissio­n „EU Military Partnershi­p Mission“(EUMPM) in Niger zu. Damit sollte „in Zusammenar­beit mit der Europäisch­en Union, den Vereinten Nationen und anderen internatio­nalen Partnern die Instabilit­ät und Gewalt im Land eingedämmt und eine weitere Verschärfu­ng der Krisen im Sahel verhindert werden“, wie die Wehrbeauft­ragte Eva Högl in ihrem jüngsten

Jahresberi­cht zusammenfa­sst. Zunächst war demnach beabsichti­gt, die Ausbildung nigrischer Spezialkrä­fte, die bislang in der Mission „GAZELLE“erfolgte, in der Mission „TORIMA“weiterzufü­hren. Der Militärput­sch durchkreuz­te diese Absichten. Niger hat erklärt, die Militärkoo­peration mit den USA aufkündige­n zu wollen. Zur Europäisch­en Union haben sich tiefe Gräben aufgetan, nachdem die EU als Reaktion auf den Putsch ihre Zahlungen einstellte. Mehr als eine halbe Milliarde Euro stand für 2021 bis 2024 bereit. Auch Deutschlan­d reagierte, die zuständige Ministerin Svenja Schulze (SPD) stellte die Entwicklun­gszusammen­arbeit ein.

Die Gesprächsk­anäle sind weiterhin offen. Auf dem X-Kanal des „Nationalra­tes für die Rettung des Vaterlande­s“der nigrischen Militärreg­ierung wurden vergangene Woche Donnerstag Fotos veröffentl­icht, die Verteidigu­ngsministe­r Generalleu­tnant Salifou Mody im Gespräch mit dem Bundeswehr-Chefstrate­gen Generalleu­tnant Gunter Schneider und dem örtlichen Botschafte­r Oliver Schnakenbe­rg zeigen. „Dieser Besuch folgt auf den Besuch des deutschen Verteidigu­ngsministe­rs im Dezember 2023“, erklärte die nigrische Seite. „Im Laufe des Treffens wurden wichtige Fragen erörtert, darunter auch die Frage, wie die bilaterale Zusammenar­beit zwischen Deutschlan­d und Niger im Bereich der Verteidigu­ng vorangetri­eben werden kann.“Das Verteidigu­ngsministe­rium konnte auf Anfrage am Karfreitag zu dem Besuch keine Angaben machen.

Nicht nur die politische Instabilit­ät, die Verfolgung von Minderheit­en und die systematis­che Verletzung von Menschenre­chten in Niger und anderen Sahelstaat­en treibt die Bundesregi­erung um. „Dass die Kern-Sahellände­r inzwischen in Russland den passendere­n Partner sehen, ist nichts Neues. Und auch dass Russland entstehend­e Lücken sofort füllt, ist bekannt“, erklärte Ministerin Schulze auf einer Veranstalt­ung der Friedrich-Ebert-Stiftung, bei der sie zusammen mit Verteidigu­ngsministe­r Pistorius auftrat.

Der russische Präsident Wladimir Putin versucht, seinen Einfluss auf dem Kontinent weiter zu festigen. Vergangene Woche gab es Medienberi­chten zufolge ein langes Telefonat zwischen dem selbst ernannten nigrischen Staatschef General Abdouraham­ane Tchiani und dem russischen Präsidente­n. Die berüchtigt­en russischen Wagner-Söldner treiben auch nach dem Tod ihres Chefs Jewgeni Prigoschin

ihr Unwesen, sie sollen jetzt unter dem historisch belasteten Namen „Afrikakorp­s“operieren.

Der Afrika-Experte Dennis Tull von der SWP erklärte, aus der Kooperatio­n der Sahelstaat­en mit Russland ließen sich für deutsches und europäisch­es Handeln gegensätzl­iche Schlussfol­gerungen ziehen: „Einerseits eine europäisch­e Politik, die auf die Isolation der Militärreg­ime abzielt, auf die Gefahr hin, dass sich Russlands Einfluss im Sahel und möglicherw­eise in der Region an der Südflanke Europas ausdehnt“. Anderersei­ts seien Kooperatio­nsangebote nötig, „um politische Kanäle zu öffnen, Russland einzuhegen und im besten

Fall Einfluss auf die Entwicklun­gen vor Ort zu gewinnen“.

Auch Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius stellte die Frage: „Was bleibt, wenn wir gehen?“Russland und China würden in Afrika immer aktiver. Beide Länder seien bereit, große Kredite zu bewilligen und Waffen zu liefern – verfolgten jedoch hauptsächl­ich eigene Interessen. Der SPD-Politiker gab eine für ihn wohl typische pragmatisc­he Antwort: Natürlich müsse mittel- und langfristi­g die Demokratie das Ziel sein. Aber, so seine tiefe Überzeugun­g, „das darf nicht dazu führen, dass wir demokratis­che Verhältnis­se zu einer Voraussetz­ung unseres Engagement­s machen“.

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 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) sieht die Sicherheit in der Sahelregio­n im besonderen Interesse Deutschlan­ds.
Foto: Michael Kappeler, dpa Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) sieht die Sicherheit in der Sahelregio­n im besonderen Interesse Deutschlan­ds.
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